Joachim Gauck hat viele Facetten und ist doch keine schillernde Figur. Dafür lässt ihm sein Amt, das auf repräsentative Funktionen beschränkt ist, auch wenig Raum. Die erste Amtszeit des 77-Jährigen, der als erster Parteiloser Bundespräsident Deutschlands war, endet am 18. März, für eine zweite hat er aus Altersgründen nicht kandidiert.
Ablehnung der DDR
1940 wurde Joachim Gauck in der Ostseestadt Rostock geboren. Sein Vater, der im Krieg bei der Handelsmarine gedient hatte, wurde 1946 verschleppt, erst Jahre später erfuhr die Familie, dass er in einem sibirischen Arbeitslager inhaftiert war. Die Schulzeit Gaucks war von der Verbitterung der Mutter über das sozialistische System geprägt, das ihr den Mann entrissen hatte. Wilhelm Johann Gauck kehrte 1955 aus der Gefangenschaft zurück, die strikte Ablehnung der DDR durch seinen Sohn minderte das nicht.
Joachim Gauck wurde Pastor, leitete die beiden evangelischen Kirchentage 1983 und 1988 und schloss sich einer Bürgerbewegung an. 1990 wurde er Abgeordneter der ersten frei gewählten Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik, die ihn zum Beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes wählte. Die oft als Gauck-Behörde bezeichnete Einrichtung, der er bis 2000 vorstand, verschaffte ihm auch in Westdeutschland Bekanntheit und den Ruf eines aufrechten Demokraten.
Bis zu seiner Präsidentschaftskandidatur stand er weiter häufig in der Öffentlichkeit und machte sich in mehreren Vereinen für die Völkerverständigung und die Aufarbeitung des Kommunismus und des Nationalsozialismus stark. Nachdem eine erste Präsidentschaftskandidatur 2010 gegen Christian Wulff gescheitert war, wurde Joachim Gauck am 18. März 2012 von der deutschen Bundesversammlung zum elften Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt.
Der Aktivierer Deutschlands
Joachim Gaucks ganzes Denken ist in den sorgsam abgesteckten Grenzen des demokratischen, liberalen Rechtsstaates verhaftet. Auf Entwicklungen und Aussagen, die dessen Rahmen sprengen, reagiert er auch international mit Härte und scharfer Kritik, in seinem Inneren ist er dagegen sehr beweglich. Gauck nennt sich selbst einen "linken, liberalen Konservativen", macht sich damit im politischen Spektrum beinahe unerhört breit und schafft sich in allen Lagern Befürworter und Kritiker.
Er gilt als guter Redner, der verschiedenste gesellschaftliche Gruppen mit biegsamer Rhetorik aus ihrer ideologischen Vermauerung zu stemmen versucht, indem er, je nach Gesprächspartner, einen Standpunkt einnimmt, der dem ihren Paroli bietet.
Der Mann, der nicht in einer Demokratie aufgewachsen ist, hat sie bei ihrem Siegeszug 1990 sofort angenommen und ist bereit, ihre Freiheit zu verteidigen. Mehr als Worte standen ihm dafür nicht zur Verfügung, doch auch die konnten ihre Wirkung entfalten. Mit genau bemessenem Pathos propagierte Gauck in einem wahren Reigen an epochal angelegten Reden die Völkerverständigung und eine aktivere Rolle Deutschlands in der Welt. 2014 formulierte er auf der Münchner Sicherheitskonferenz den Grundsatz, Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen, notfalls auch militärisch, was ihm von links den Vorwurf der Kriegshetze einbrachte. "Schuldig werden durch Zusehen ist politisches Versagen und moralische Schuld", lautet ein Credo des scheidenden Präsidenten.
Integrativ ohne rechts außen
Joachim Gauck füllte die Rolle des integrativen Landesvaters, der für alle da sein will, zunehmend besser aus. Befürworter feierten ihn als volksnah, Kritiker als distanzlos. Die priesterliche Gefahr, ins Lamentieren zu geraten, konnte er dabei nicht immer abwenden.
Das neue deutsche "Wir" war die pronominale Speerspitze in seinem ruhigen Kampf um gesellschaftlichen Ausgleich. Regelmäßig hielt er Bürgerdialoge ab, Kolleginnen und Kollegen aus der Politik sagen ihm ein großes Gespür für die Stimmung der Menschen nach.
In der Flüchtlingsdebatte, die Deutschland wie kein anderes Thema spaltet, sprach er von einem Dilemma. "Unser Herz ist weit, unsere Möglichkeiten sind endlich." Dies wurde als ein Zurechtweisen Merkels gesehen, er selbst widerspricht dieser Interpretation. Kritik von rechts brachte ihm unter anderem die Teilung in ein "helles" und ein "dunkles" Deutschland ein, die er beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft vornahm. In einer Rede sagte er, die freiwilligen Helfer in der Flüchtlingskrise seien Vertreter des ersteren und stünden letzterem gegenüber, das sich etwa in der Attacke auf Asylwerberunterkünfte zeige.
Priesterlicher Ruhepol
Eine Sprache im Umgang mit dem Islam und der pluralistischen Bevölkerung Deutschlands generell musste sich der ehemalige Pastor aus der ethnisch einheitlicheren DDR erst erarbeiten, wie er selbst zugibt. Den Satz seines Vorgängers Christian Wulff "Der Islam gehört zu Deutschland" hat er so nicht wiederholt.
Seinem Land diagnostiziert Gauck eine "Phase der inneren Unruhe." Die Fragen nach der Identität Deutschlands in Europa und der Welt würden drängender gestellt als noch vor fünf oder zehn Jahren. Wegen dieser Unsicherheit habe er lange überlegt, doch noch einmal anzutreten. Bei diesen Worten schimmert seine Überzeugung durch, dass die Kontinuität und ein Weiterführen seines Präsidentschaftsstils Deutschland gut getan hätten. Wegen seines Alters habe es Gauck aber doch bei einer Amtszeit bewenden lassen.
Nun freut er sich darauf, nach seinem Abtritt eine Phase des Erholens zu genießen, in der er nicht mehr jedes Wort und jeden Blick auf die Waagschale legen müsse.
Wir zeigen in einigen Bildern wichtige Stationen der fünfjährigen Amtszeit Joachim Gaucks.