Amélie Niermeyer inszeniert "Elisabetta" im Theater an der Wien. Die deutsche Regisseurin hat selbst lange ein Theaterhaus geleitet und weiß nicht zuletzt deshalb etwas über Frauen in Führungspositionen zu sagen.

Foto: Peter M. Mayr

STANDARD: Sie inszenieren Rossinis "Elisabetta, regina d'Inghilterra". Wie kam es dazu?

Niermeyer: Roland Geyer hat Arbeiten von mir gesehen und mir dieses Werk vorgeschlagen. Er wusste, dass ich die Figur der Elisabeth I. gut kenne – ich habe mich im Zuge einer Inszenierung von Schillers Maria Stuart intensiv mit ihr beschäftigt. Und da ich ja vor einiger Zeit in München eine Donizetti-Oper gemacht habe, ist mir auch das Genre der Belcanto-Oper vertraut.

STANDARD: Federico Schmidt hat seinem Libretto einen leichten Drall in Richtung des romantischen Rührstücks gegeben. Ist es nicht enttäuschend, hier ein relativ simples Bild dieser Frau in Szene zu setzen, verglichen etwa mit Schillers Elisabeth?

Niermeyer: Bei der Oper ist man es gewohnt, dass die Geschichte etwas eindimensional erzählt wird, denn die Vielschichtigkeit wird hier durch die Musik und ihre Emotionalität erreicht. Bei Schiller gibt es den großen Monolog der Elisabeth, bei dem sie überlegt, ob sie Maria Stuart hinrichten lassen soll. Der ist natürlich toll geschrieben. Aber Elisabeths Ringen um den Verzicht auf ihre Liebe zu Leicester aus Gründen der Staatsräson, das ist hier fast noch genauer beschrieben als bei Schiller.

STANDARD: Sie siedeln die Geschichte in der Gegenwart an, zeigen Elisabeth als Politikerin heute. Kann man die Machtfülle, die eine absolute Herrscherin wie Elisabeth hatte, mit der einer demokratisch gewählten Politikerin vergleichen?

Niermeyer: Wir zeigen Elisabeth ganz allgemein als eine moderne Frau in einer Führungsposition. Sicher war das System damals anders. Aber die Art, wie Frauen kämpfen müssen, um sich in einem System zu behaupten, hat sich meiner Meinung nach nicht genug geändert. Auch heute müssen Frauen in der Politik oft bestimmte Rollen annehmen, um ihre Positionen klarzumachen. Elisabeth hat sich für öffentliche Anlässe viele aufwendige Kostüme anfertigen lassen, und ich denke, diese Kostüme waren ihr auch eine Art Schutz gegen Anfechtungen, aber auch ein Mittel zur Machtdemonstration.

STANDARD: Zwischen den Wörtern Regie und Regierung gibt es eine Verwandtschaft. Ist eine Regisseurin nicht auch so etwas wie eine absolute Herrscherin auf Zeit?

Niermeyer: In der Oper gibt es ja auch noch den Dirigenten, der viel zu sagen hat. Und ich arbeite auch sonst viel und gern mit meinem Team, dem Bühnenbildner, dem Kostümbildner, dem Choreografen, Dramaturgen ... Aber ich war zehn Jahre Theaterintendantin, und da habe ich mich schon sehr mit dem Thema von Frauen in Führungspositionen beschäftigt. Als Intendantin hat man im Bereich des Theaters eine Menge Macht. Die Frage, wie man damit und auch mit dem Druck der Öffentlichkeit umgeht oder wie es ist, unangenehme Entscheidungen zu treffen: Das kenne ich, und daran musste ich jetzt bei den Proben zu Elisabetta auch ein paarmal denken.

STANDARD: Sie haben den Dirigenten erwähnt: Gab es in der Zusammenarbeit mit Jean-Christophe Spinosi Reibungspunkte, oder hat es im Großen und Ganzen gut funktioniert?

Niermeyer: Jean-Christophe Spinosi ist ein sehr intuitiver Mensch, der oft aus dem Moment heraus entscheidet und dabei auch sehr emotional ist. Er brennt für Rossini, das finde ich toll, und er hat sehr viel Erfahrung mit diesem Komponisten. Die Ouvertüre ist ja ein bekanntes Stück, er will sie aber anders interpretieren, als man sie aus dem Barbiere di Siviglia normalerweise kennt. Natürlich gab es manchmal unterschiedliche Auffassungen über einzelne Stellen und ihre Tempi, ihre Stimmungen, aber das ist ganz normal.

STANDARD: Arbeitet man mit Opernsängern auf szenischem Gebiet eigentlich auf eine andere Weise als mit Schauspielern in einem Theaterstück?

Niermeyer: Die Herangehensweise ist schon anders. Ein Sänger will vom Regisseur genau geführt werden, was das szenische Geschehen anbelangt. Schauspieler improvisieren gern bei den ersten Proben, probieren Dinge aus. Die Sänger des Elisabetta-Ensemble sind aber auch sehr gute Schauspieler – worauf man hier am Theater an der Wien grundsätzlich achtet. Das ist natürlich ein großes Glück. (Stefan Ender, 16.3.2017)