Die Unterschiede bei den Rotationskurven von nahen (links) und fernen (rechts) Galaxien lassen darauf schließen, dass im jungen Universum die Dunkle Materie eine geringere Rolle spielte.

Illustr.: ESO/L. Calçada

Garching – Die äußeren Ränder naher Galaxien rotieren schneller, als man es aufgrund der dort beobachtbaren Sterne, Gas- und Staubwolken erwarten würde. Wo also steckt die unsichtbare Masse, die für die rasante Bewegung sorgt? Astrophysiker nehmen an, dass es sich um Dunkle Materie handelt, eine theoretisch angenommene Substanz, die im Unterschied zur sogenannten baryonischen, also herkömmlichen Materie keinerlei Wechselwirkung mit Licht aufweist und sich alleine durch ihre Schwerkraft bemerkbar macht. Astrophysiker schätzen, dass die Galaxien im lokalen Universums zu 50 bis 90 Prozent aus Dunkler Materie bestehen. Nun zeigt sich, dass das in der Jugendzeit des Kosmos offenbar anderes war.

Ein internationales Astronomenteam rund um Reinhard Genzel vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching konnte mit dem Very Large Telescope der ESO in Chile die Rotation von sechs massereichen, sternbildende Galaxien im fernen Universum messen. Da sie in so großer Distanz zu uns liegen, sehen die Forscher diese Galaxien zu einem Zeitpunkt, als die Galaxienentstehung im Universum auf dem Höhepunkt war – vor 10 Milliarden Jahren.

Ungewöhnlich langsame Rotation

Die Beobachtungen dieser frühen Sterneninseln verblüffte die Wissenschafter: Im Unterschied zu nahe gelegenen Spiralgalaxien scheinen die Außenbereiche dieser fernen Galaxien langsamer zu rotieren als die inneren Regionen. Dies würde nahelegen, dass im fernen Kosmos weniger Dunkle Materie vorhanden ist als man erwartet hätte.

"Überraschenderweise sind die Rotationsgeschwindigkeiten nicht konstant, sondern nehmen nach außen hin ab," meint Reinhard Genzel, Erstautor der nun im Fachjournal "Nature" erschienenen Studie. Die Astronomen vermuten zwei Gründe für das Phänomen: Zum einen könnten die meisten dieser frühen, massereichen Galaxien hauptsächlich aus normaler, baryonischer Materie bestehen. Die Dunkle Materie würde dort demnach nur eine untergeordnete Rolle spielen. Zum anderen dürfte es in den frühen Scheiben deutlich turbulenter zugegangen sein als in den Spiralgalaxien in unserer kosmischen Nachbarschaft.

European Southern Observatory (ESO)

Dunkle Materie ließ sich Zeit

Beide Effekte scheinen stärker ausgeprägt zu sein, je weiter Astronomen in der Zeit und damit ins frühe Universum zurückschauen. Das deutet darauf hin, dass sich 3 bis 4 Milliarden Jahre nach dem Urknall das Gas in Galaxien bereits in flachen, rotierenden Scheiben verdichtet hatte, während die Halos aus Dunkler Materie, die sie umgeben, deutlich größer und ausgedehnter waren. Anscheinend brauchte Dunkle Materie noch mehrere Milliarden Jahre länger, um sich zu verdichten, so dass ihre dominierende Wirkung nur an den Rotationsgeschwindigkeiten heutiger Galaxienscheiben zu sehen ist. Diese Erklärung steht im Einklang mit Beobachtungen, die zeigen, dass frühe Galaxien deutlich kompakter waren und mehr Gas beinhalteten als heutige Galaxien.

Die sechs Galaxien, die in dieser Studie vermessen wurden, gehörten zu einer größeren Stichprobe von hundert fernen Galaxienscheiben mit Sternentstehung, die mit den Instrumenten KMOS und SINFONI am Very Large Telescope der ESO am Paranal-Observatorium in Chile abgebildet wurden. Zusätzlich zu den oben beschriebenen einzelnen Galaxienmessungen wurde eine gemittelte Rotationskurve durch Kombination der schwächeren Signale aus den anderen Galaxien erzeugt. Diese zusammengesetzten Kurven zeigten vom Zentrum der Galaxien nach außen denselben Geschwindigkeitsverlauf. Darüber hinaus unterstützen zwei weitere Untersuchungen von 240 sternbildenden Scheiben diese Erkenntnisse. (tberg, red, 18.3.2017)