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Rechtspopulist Geert Wilders (rechts hinten) gewann bei der Wahl deutlich dazu, seine Themen dominierten auch den Wahlkampf – von einer Koalition wird seine PVV allerdings ausgeschlossen. Sollte er seine Rhetorik aber abschwächen, könnte sich das in Zukunft ändern, sagt Politologe Paul Dekker.

Ebenfalls am Bild (v.r.n.l.): Mark Rutte, Jesse Klaver, Marianne Thieme, Emile Roemer und Alexander Pechtold.

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Premierminister Mark Rutte musste Stimmenverluste hinnehmen, bleibt mit seiner VVD aber stärkste Kraft. Dekker zufolge hat Rutte am meisten von den diplomatischen Spannungen mit der Türkei profitiert.

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Lodewijk Asscher von der sozialdemokratischen PvdA wurde unter anderem zum Verhängnis, dass er in seinem Auftreten eher Minister als kämpfender Politiker war, sagt Dekker.

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Die rechtsliberale VVD von Premierminister Mark Rutte hat sich bei der Parlamentswahl in den Niederlanden klar gegen Geert Wilders' rechtspopulistische PVV durchgesetzt. Ein Grund dafür sei Ruttes Verhalten im Umgang mit der Türkei gewesen, sagt der niederländische Politikwissenschafter Paul Dekker.

Als größten Fehler der sozialdemokratischen PvdA sieht Dekker die bisherige Koalition mit Ruttes VVD und ihr damit verbundenes Glaubwürdigkeitsproblem.

STANDARD: Die VVD von Premierminister Mark Rutte hat zwar viele Stimmen verloren, aber ihren ersten Platz verteidigt. Warum?

Dekker: Die Belohnung für die Politik der vergangenen Jahre hat sich nur im Ergebnis der VVD widergespiegelt, nicht bei den Sozialdemokraten. Außerdem hat der Streit mit der Türkei eine Rolle gespielt. Viele Leute schwankten zwischen PVV und VVD, und viele wollten belohnen, dass Rutte sich als Premier richtig verhalten hat.

STANDARD: Rutte hat also von den diplomatischen Spannungen mit der Türkei profitiert?

Dekker: Rutte hat am meisten davon profitiert. Wilders haben sie aber auch genützt, denn viele Menschen sahen sich durch die Äußerungen und Aktionen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan darin bestätigt, dass Wilders mit seinen Warnungen in der Vergangenheit recht hatte.

STANDARD: Hat Ruttes Erfolg auch etwas mit seiner Rhetorik zu tun, mit der er sich an Wilders angenähert hat?

Dekker: Das hat sicherlich eine Rolle gespielt, aber nicht nur kurz vor der Wahl. Vor Wochen gab es bereits diese große Anzeige der VVD, die eine Sprache benutzte, die man eher der PVV zugeordnet hätte. Migranten wurden aufgefordert, sich "normal" zu verhalten oder das Land zu verlassen. Das hat sich durchgesetzt. In den Debatten gab es aber einen Punkt, an dem man von Wilders nur Wiederholungen hörte, während man von Rutte noch eher Lösungen erwartete. Man darf natürlich nicht vergessen, dass die PVV doch gewachsen ist und nun 20 Sitze hat – also schlecht hat Wilders das auch nicht gemacht.

STANDARD: Hat Wilders nicht auch in der Hinsicht gewonnen, dass seine Themen, seine Politik die Wahl dominiert haben?

Dekker: Ja, seine Themen sind sehr zentral gewesen. Identität, kulturelle Anpassung, Kriminalität unter Muslimen, der Islam überhaupt – Rutte und auch die Christdemokraten haben das stark übernommen, vor allem in der jüngsten Debatte über Doppelstaatsbürgerschaften. Die Sozialdemokraten sind eher auf das Thema EU-Kritik aufgesprungen. Verschiedene Themen von Wilders wurden übernommen – sein Einfluss ist nicht, dass er Regierungsmacht haben wird, sondern dass er Debatte und Sprache verändert hat und seine Punkte aufgegriffen wurden.

STANDARD: Kann man die PVV langfristig von Koalitionen ausschließen?

Dekker: Die Frage ist eher, ob sich die ganze politische Landschaft so verschiebt und Wilders in den nächsten Jahren dann eventuell doch in einer Regierung sein könnte. Was allerdings auch ein Problem ist, sind misstrauische PVV-Wähler, die hören, dass die Partei von Koalitionen von vornherein ausgeschlossen wird – die betrachten das natürlich als völlig undemokratisch, was auch verständlich ist.

STANDARD: Wäre es besser gewesen, die PVV nicht auszuschließen?

Dekker: Ich denke, die Parteien werden daran festhalten, solange Wilders so radikale Dinge wie Koranverbote fordert. Aber in dem Moment, wo Wilders sich weniger generell äußert und seine Forderungen abschwächt, entfällt auch das Argument für die Ausschließung.

STANDARD: Rutte hat vor der Wahl erklärt, er wolle mit den Christdemokraten und der proeuropäischen D66 regieren, eine Mehrheit bekommen sie aber derzeit nicht zustande. Welche Möglichkeiten bleiben ihm?

Dekker: Man könnte zu diesen drei Parteien noch die Christenunion dazunehmen, die gesellschaftspolitisch eher rechts, aber wirtschaftlich eher links steht. Dann hätte man eine knappe Mehrheit von 76 Sitzen. Viele fordern auch, dass man den Erfolg von Groen Links nicht ignorieren sollte, aber VVD und Groen Links sind in einigen Bereichen sehr weit auseinander, es wird also keine Koalition erwartet. Eine Minderheitsregierung wäre auch eine Möglichkeit.

STANDARD: Ist eine Linkskoalition ausgeschlossen?

Dekker: Die Christdemokraten müssten da mitmachen, und das wird eigentlich nicht erwartet. Aber es macht ihre Verhandlungsposition mit der VVD natürlich stärker, wenn sie auch andere Optionen haben. Aber in letzter Zeit haben sie sich eher rechts profiliert als links, also wäre es nicht ganz natürlich, wenn sie das tun würden.

STANDARD: Wie lange werden die Verhandlungen dauern?

Dekker: Das ist schwer vorauszusagen. Zuvor dachte man, es wird sehr lange dauern, weil erwartet wurde, dass mindestens fünf Parteien für eine Koalition notwendig sind, jetzt reichen auch vier. Letztes Mal ging es bei den Gesprächen zwischen Ruttes VVD und den Sozialdemokraten ziemlich schnell – das hat man aber nachher auch bedauert. Es verursachte ein Glaubwürdigkeitsproblem, dass die Parteien sich so schnell geeinigt haben, nachdem sie so lange gestritten hatten.

STANDARD: War das die Hauptursache für die großen Verluste der Sozialdemokraten – eine Koalition mit der VVD, nachdem man sich während des Wahlkampfs noch eindeutig distanziert hatte?

Dekker: Viele Leute, die 2012 die PvdA gewählt hatten, fühlten sich danach verraten. Abgesehen davon gibt es auch strukturelle Probleme, die Basis der Sozialdemokraten verkleinert sich, es gibt keine traditionelle Arbeiterklasse mehr et cetera. Das ist natürlich auch ein Problem anderer sozialdemokratischer Parteien in Europa. Aber die PvdA hat ganz klar unter dieser Koalition gelitten. Dass die Niederlande nun wirtschaftlich ganz gut dastehen, wird den Rechtsliberalen zugerechnet.

STANDARD: Lag es womöglich auch am Spitzenkandidaten Lodewijk Asscher?

Dekker: Asscher hatte ein großes Problem, weil er der zweite Mann in der Koalition war. In seinem Auftreten war er eher ein Minister als ein kämpfender Politiker.

STANDARD: Wie kann sich die Partei von dieser Wahlschlappe erholen?

Dekker: Sie könnten versuchen, sich als traditionell sozialistische Partei zu profilieren, aber das macht die sozialistische SP derzeit schon. Auch die Grünen sind hier eine Alternative – wenn es dort aber Krach gibt oder sie in eine Regierung kommen, hätte die PvdA wieder eine Chance. Aber es kann durchaus sein, dass sich die SP zur traditionellen sozialistischen Partei entwickelt und die Grünen quasi die "New Left" werden. Ich weiß nicht, wie leicht es für die Sozialdemokraten dann wird, sich noch hineinzukämpfen.

STANDARD: Welche Auswirkungen hat das Wahlergebnis auf die EU?

Dekker: Dort ist man froh, dass Rutte weitermacht. Ähnlich wie in Österreich ist man zu Hause der EU gegenüber manchmal sehr kritisch, innerhalb der EU verhält man sich aber loyal. Bei Rutte ist das ähnlich, er hat einen guten Ruf in Europa.

STANDARD: Wie wird das Verhältnis zwischen der Türkei und den Niederlanden in Zukunft aussehen?

Dekker: Die Türkei hat viel gedroht und eine kräftige Sprache benutzt, wirtschaftliche Konsequenzen gab es aber keine und wird es vermutlich auch nicht geben. Das kann sich auch wieder beruhigen oder verschieben – wenn sich EU-Länder solidarisch mit den Niederlanden erklären, wird das Problem ein bisschen allgemeiner. (Noura Maan, 16.3.2017)