1853 gelang dem amerikanischen Erfinder Elisha Graves Otis eine Sensation. Bei einer Demonstration vor großem Publikum bestieg er einen Aufzug und ließ von einem Assistenten dessen einziges Tragseil durchschneiden. Der Aufzug bremste sich von selbst.

Mit der Möglichkeit, sichere Personenaufzüge einzusetzen, begann in den USA der Siegeszug der Wolkenkratzer. Der knappe, teure Boden in den Stadtzentren konnte so besser genutzt werden und die Stadtwohnungen der reichen Leute fanden sich nun immer häufiger im Penthouse statt in der "Beletage".

"Kathedralen des Kommerzes"

In Europa setzten sich Aufzüge erst in den 1870er Jahren durch, nachdem auf der Weltausstellung 1867 in Paris erstmals ein Hydraulikaufzug präsentiert worden war. Die "Skyline" der europäischen Metropolen blieb aber noch lange bestimmt durch die Türme und Kuppeln der Sakral- und Repräsentationsbauten – wie übrigens bis heute der Kernbereich der amerikanischen Hauptstadt Washington D.C.

Die Bewunderung für die boomenden USA mit ihren Wolkenkratzern als "Kathedralen des Kommerzes" hatte aber längerfristige Beispielwirkung, vor allem nach dem Ende des Ersten Weltkriegs.

Mehrfache Anläufe

Die Faszination der amerikanischen Wolkenkratzer erfasste in den 1920er Jahren auch das "Rote Wien". Nachdem der parteiinterne Streit mit den Anhängern der Siedlerbewegung zugunsten der Großwohnbauten entschieden war, baute das "Rote Wien" in den 1920er Jahren seine "Volkswohnungspaläste". Manche zeigten sich dem Vorbild USA recht nahe – etwa Hubert Gessners Reumannhof (1924-26) am südlichen Gürtel, der "Ringstraße des Proletariats". Der sollte im mittleren Teil sechzehn Stockwerke haben, wurde aber dann doch aus Kostengründen auf acht reduziert.

Ein Volkswohnpalast für die "Ringstraße des Proletariats". Der Reumannhof sollte doppelt so hoch werden. Foto aus der gleichnamigen Ausstellung, dasrotewien-waschsalon.at
Foto: Bruno Kreisky Stiftung

Die bürgerliche Variante bauten ab 1930 die Architekten Theiss und Jaksch. Ihr Hochhaus in der Herrengasse war Jahrzehnte lang "das" Wiener Hochhaus, mit Aussichtscafé und Künstlerwohnungen. Der Plan, in der Nähe des Stephansdoms ein Hochhaus zu errichten, war freilich umstritten. Der Architekt Albert Linschütz rief zum Widerstand gegen den Bau auf und erhielt unter anderem Unterstützung von Josef Frank, der ebenfalls Bedenken wegen des Stadtbilds hatte. Anderen wiederum war das Hochhaus Herrengasse sogar noch zu niedrig und die Zeitungen nannten es zum Teil scherzhaft "Hochhäuserl". Oskar Strnad etwa forderte einen mindestens 200 Meter hohen Wolkenkratzer.

Ein bürgerliches "Hochhäuserl" – das Hochaus in der Herrengasse,
Foto: Robert Newald

Die Weltwirtschaftskrise und der Zweite Weltkrieg sorgten für eine Zwangspause bei der Hochhausentwicklung. Um 1955 kam aber dann der Ringturm. Auf den war man recht stolz. Es gab ein Wahlplakat der SPÖ. "Damit Wien wieder Weltstadt werde", stand darauf. Einen Beigeschmack von Kaltem Krieg hatte die Sache allerdings auch. Das Gebäude sollte als Signal des Westens hinüber in die östliche Besatzungszone leuchten. Dort drüben baute man allerdings gleichzeitig das Globushochhaus am Höchstädtplatz.

1955 sollte Wien mit dem Ringturm wieder Weltstadt werden. Bild aus dem Jahr 2016, den Ringturm verhüllt eine Kunstinstallation des tschechischen Malers Ivan Exner.
Foto: STANDARD/Robert Newald

Der Kampf ums Gartenbauhochhaus

Anfang der 1960er Jahre entstand die erste Wiener Hochhausdebatte der Wiederaufbauzeit. Das Gebäude der Wiener Gartenbau-Gesellschaft war 1863 bis 1864 von Architekt August Weber, der auch das Wiener Künstlerhaus erbaute, auf der noch kaum verbauten Ringstraße errichtet worden. Es bot wegen seiner niedrigen Bauhöhe und prominenten Lage einen Anreiz zur spekulativen Bebauungsverdichtung. Schon der Regulierungsplan von 1893 bedrohte den zweigeschoßigen Gebäudekomplex durch Festsetzung einer höheren Bauklasse.

Das einst vornehme Gebäude sollte also einem kommerziellen Neubau weichen – von Weltstadtpathos war hier nicht mehr die Rede. 1960 fiel auch der Mitteltrakt mit dem Kinosaal. Um den seit dem Ende der 1950er Jahre vorgesehenen, zuerst zehnstöckig, dann zwanzigstöckig geplanten Hochhausbau spielten sich in der Folge leidenschaftliche Debatten ab. Nach ersten Pressemeldungen 1957 formierten sich Bürgerinitiativen. Oskar Kokoschka protestierte in scharfen Worten gegen den Neubau, Friedrich Achleitner sprach von dem 1960-63 realisierten vierzehngeschoßigen Bau sogar als "Geschwür" in der Silhouette der Stadt.

Die Debatte um das Gartenbauhochhaus am Parkring wurde hitzig geführt.
Foto: STANDARD/Matthias Cremer

Achleitner kritisierte damals übrigens auch in scharfen Worten das 1961 errichtete neue Hotel Intercontinental am Heumarkt, nannte es eine "Masse ohne Maß." Als Architekten des Interccontinental zeichneten die anerkannten Architekten Carl Appel und Walter Jaksch, allerdings nach Vorgaben des amerikanischen Büros von Holabird & Root. Appel hat auch zwei – wenig bekannte – Wohnhochhäuser geschaffen, in der Belvederegasse (1954-55) und am Modenapark (1957-58). Er war durchaus auch ein "Großarchitekt" – man braucht da nur die Liste seiner Bauten im AzW-Architektenlexikon ansehen. Er leistete sich aber den Luxus, sich vom Hochhausbau zu distanzieren. Ausschlaggebend hierfür waren laut AzW seine Besuche in Le Corbusiers Wohneinheiten in Marseille und Berlin, deren Auswirkungen auf die Bewohner Appel durchaus kritisch sah.

"Masse ohne Maß": Achleitner kritisierte das Hotel Intercontinental am Heumarkt.
Foto: APA/MARTIN FICHTER

Der Konflikt Roland Rainer – Georg Lippert

Der charismatische Roland Rainer war 1958 bis 1962 Wiener Stadtplaner. Georg Lippert, sein Kontrahent, war langjähriger Vorsitzender des Fachbeirates für Stadtplanung und ein pragmatisch denkender Großarchitekt. Lippert war unter anderem ein "Palaisverwerter". Sein Büro errichtete 1965 das Semperithochhaus (anstelle des Palais Erzherzog Rainer), 1965–1967 das Gebäude der Wiener Repräsentanz der Firma Hoffmann-La Roche (anstelle des Palais Lanckoronski), 1973 das heute wieder heftig umstrittene Winterthur-Haus neben der Wiener Karlskirche. 1959 bis 1961 erbaute er das inzwischen bereits wieder abgerissene Hochhaus der Bundesländerversicherung am Ostufer des Donaukanals.

Rainer trat für eine polyzentrische Stadt ohne Hochhäuser ein, Lippert sah die Zentrumserweiterung östlich des Donaukanals als natürliche Sache an – allerdings begnügte man sich damals mit Bauhöhen um die 70 Meter.

Pariser Schockerlebnis

In den 1970er und 1980er Jahren kam es zu einer zeitweiligen Nachdenkpause in der Hochhausfrage. Ab der Mitte der 1960er Jahre hatte sich die Kritik an den Hochhäusern europaweit verstärkt. In Paris wirkte die Tour Montparnasse mit ihren 210 Metern Höhe für viele als Schockerlebnis, und auch das Auftauchen der Hochhäuser von "La Défense" hinter dem Triumphbogen am Ende der großen, vom Louvre ausgehenden Sichtachse der Champs-Élysées wurde vielfach missbilligt.

Langsam wurde man sich im klaren: eine große Zahl zentrumsnaher Hochbauten würde eine unumkehrbare Veränderung des gründerzeitlich geprägten Stadtbildes vieler europäischer Städte bewirken. 1975, drei Jahre nach Fertigstellung des Montparnasse-Turms entschied die Pariser Stadtregierung, die Höhe von Neubauten auf sieben Stockwerke zu begrenzen – allerdings mit "Schlupflöchern". Europaweit verstärkte sich die publizistische Kritik an der drohenden oder bereits erfolgten Veränderung der Großstädte: Von Wolf Jobst Siedlers "Gemordeter Stadt" (1964) zu "A Vision of Britain" von Prinz Charles (1988).

Blick auf den Tour Montparnasse in Paris.
Foto: AFP/JOEL SAGET

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Skyline von "La Défense" im Hintergrund, vorne die Avenue des Champs-Élysées und der Arc de Triomphe.
Foto: REUTERS/Charles Platiau

In Wien erbrachte diese ökologisch und denkmalschutzbewegte Periode 1972 eine Novelle der Bauordnung, die das Konzept der architektonischen Schutzzonen ermöglichte. Im gleichen Jahr kam es auch zu einer restriktiven Hochhausstudie des Architekten Hugo Potyka. Vor allem der neue Paragraf 85 Absatz 5 der Bauordnung, der für Neubauten in Schutzzonen eine stilgerecht angleichende Gestaltung vorsah, wurde freilich für die Architektenlobby um "roten Tuch".

Vorstöße der Hochhauslobby

Die Mehrheit der Stadtbevölkerung hatte und hat weiterhin, so scheint es, gegen die bescheidene Konzeption der durchgrünten "menschengerechten Stadt" mit stabiler Bevölkerung und im altstädtischen Bereich "angepassten" Neubauten wenig einzuwenden – in Wien ebenso wenig wie in Paris oder Berlin.

Weniger Zuspruch erhielt diese Stagnationsidylle allerdings bei Investoren, Architekten und ehrgeizigen Kommunalpolitikern – und die politische Wende im Osten und die aus ihr resultierenden Wanderungsströme stimulierten bald euphorische Wachstumsprognosen. Nun sei es an der Zeit, wieder zu klotzen statt zu kleckern, meinten manche. Der Paragraf 85 der Wiener Bauordnung wurde nach einer massiven Gegenkampagne 1987 novelliert, man sprach von einer "Lex Hollein". Die neue Formulierung forderte für Neubauten in Schutzzonen "Einordnung in zeitgemäßer Weise in das Stadtbild". Das Wort zeitgemäß kann dabei als Beispiel jener vieldeutigen Terminologie gelten, die bald Schule machen sollte. 1992 wurde eine neue Hochhausstudie bei Coop Himmelblau in Auftrag gegeben, die natürlich wesentlich hochhausfreundlicher ausfiel als Potykas Arbeit aus 1972. Das Gelände der geplanten, aber an einem Volksvotum gescheiterten Weltausstellung 1995 im Donaupark zu einer wienerischen Variante von "La Défense" ausgebaut.

Mediale Hochhauseuphorie

Um die Jahrtausendwende kam es nach einigen Jahren flauer Immobilienkonjunktur zu einer medial gestützten Hochhauseuphorie, vor der Altbürgermeister Helmut Zilk Ende Dezember 1999 zwar explizit warnte – aber er war ja nicht mehr am Ruder.

Die Gebrüder Ortner schienen damals mit ihren Projekten für das Museumsquartier (mit umstrittenem "Leseturm") und für einen bis zu 97 Meter hohen innerstädtisches Hochhauscluster "Wien Mitte" zu Nachfolgern des Georg Lippert heranzuwachsen. Aber ganz so leicht ging das nicht.

Ein neuer Mitspieler

Am 11. Oktober 2003 wurde der Wiener Stadtregierung in einer kleinen Feier die Urkunde übergeben, nach der die Wiener Innenstadt als Weltkulturerbe im Sinne der Unesco-Konvention von 1972 deklariert wurde. Ob die Kommune mit diesem Prädikat sehr glücklich war, bleibt zweifelhaft. Schon vor der Verleihung war es nämlich zu gravierenden Missstimmungen zwischen der Unesco und ihrem Beratergremium Icomos einerseits und der Stadt Wien andererseits gekommen.

Während die Novellierungen des Denkmalschutzgesetzes und der Wiener Bauordnung ab der Mitte des 1990er Jahre in die Richtung zunehmender Liberalisierung und Abkehr vom baulichen Schutzgedanken gegangen waren, handelte man sich mit dem Beitritt zum prestigeträchtigen Welterbeprädikat plötzlich eine lästige supranationale Kontrollinstanz ein, die nur schwer zu manipulieren war. Die Stadt Wien war zwar interessiert am Gütesiegel "Welterbe", vornehmlich aus touristischen Gründen – aber solche "Einmischungen" wollte man nicht. Zähneknirschend wurde die Ortnersche Version des Projekts "Wien Mitte" 2003 aufgegeben, und auch die Organisation einer einschlägigen internationalen Tagung unter dem Motto "Alles ist zulässig, wenn es nur Qualität hat" erwies sich als nicht sehr erfolgreich. Die Kräfte, die für eine Liberalisierung des Hochhausbaues eintraten, wurden aber immer stärker. Die im Jahr 2002 beschlossenen Hochhausleitlinien bedurften einer "Nachschärfung", hieß es plötzlich – und der Gemeinderat verabschiedete 2014 gehorsam die neue Fassung. Beachtenswert ist dabei schon bei der Überschrift die verquaste Sprache des aktuellen Papiers, bei vielen Ausdrücken könnte eine Zielrichtung gemeint sein, zugleich aber auch ihr Gegenteil.

Rendering des geplanten Heumarkt-Areals.
FOTO: APA/ISAY WEINFELD&SEBASTIAN MURR

Die Stadt aber steht heute vor dem selben Dilemma wie zu Anfang des neuen Jahrtausends. Innerstädtische Hochhausprojekte sind nach wie vor nachhaltig unpopulär, überhaupt dann, wenn es um so uninspirierte Spekulationsvorhaben geht wie "Wien Mitte" oder heute den geplanten Hochhauskomplex am Heumarkt.

Ob es gelingen wird, die Unesco-Aufsicht "mit dem Schmäh zu nehmen", kann als längerfristig zweifelhaft gelten. Nicht zuletzt deshalb sammeln die Gegner der Unesco-Prädikatisierung ihre Bataillone und fordern immer unverhohlener die Abkehr der Stadt vom Weltkulturerbe. Man riskiert den Hinauswurf, um wieder "unter sich" zu sein. Wenn das geschehen sollte, hätte das allerdings den Effekt, dass wir uns über kurz oder lang wirklich einen "Saint Stephen’s Tower" in "spannungsvollem Dialog" zum Südturm des Stephansdoms erwarten können. (Robert Schediwy, 15.4.2017)