Vergangene Woche war Daniela Kickls letzte Arbeitswoche bei Apple. "Was die Zukunft bringt, weiß ich nicht. Nicht alles ist planbar. Wenn Sie mir vor fünf Jahren gesagt hätten, dass ich mal bei Apple arbeiten würde und es so furchtbar sein würde, dass ich darüber ein Buch schreibe, hätte ich mir das wohl kaum vorstellen können.

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STANDARD: Kaum ein Konzern ist gleichermaßen gehypt und geheimnisumwittert wie Apple. Was hat Sie am meisten schockiert?

Kickl: Es war die Stimmung insgesamt, die ich so schlimm fand, die Firmenkultur. Ständig bekommt man vermittelt, dass das, was man leistet, sowieso nicht ausreicht. Trotz der besten Rückmeldungen kann man sicher sein: Ein Manager wird etwas finden, das nicht passt. Mitarbeiter werden nicht als Menschen wahrgenommen, wir waren wie Hühner in einer Legefabrik. Business-Needs werden über menschliche Bedürfnisse gestellt. Zum Beispiel wurde mir gesagt, dass das Weihnachtsschauspiel meines Sohnes kein gebührender Grund für einen Urlaubstag sei.

STANDARD: Sie schreiben auch von Klozeiten, die auf acht Minuten pro Tag limitiert sind.

Kickl: Inklusive Wegzeit. Jemand, der von den Toiletten weiter entfernt sitzt, kann also nur einmal pro Tag aufs Klo gehen. Wenn diese acht Minuten öfter überschritten werden, dann kann das dazu führen, dass Vorgaben nicht erreicht werden – und man letztlich keine Gehaltserhöhung bekommt.

STANDARD: Sie haben Betriebswirtschaftslehre studiert – bei Apple dann aber "nur" im technischen Support gearbeitet, bei einem nicht besonders üppigen Gehalt von 1800 Euro brutto. Wieso haben Sie das gemacht?

Kickl: Dazu muss man zunächst sagen, dass Irland weniger Steuern abzieht als Österreich. Da bleibt vom Bruttogehalt mehr übrig. Aber natürlich war Apple für mich auch etwas Besonderes. Immerhin ist es ein Weltkonzern und hatte eine ganze Branche revolutioniert! Apple gilt als innovatives, kreatives Unternehmen, und dort zu arbeiten, habe ich mir super vorgestellt.

STANDARD: Auch viele andere Mitarbeiter würden unter ihrer Qualifikation arbeiten, schreiben Sie. Ist die Strahlkraft wirklich so groß?

Kickl: Ja. Mir beispielsweise war aber auch durchaus bewusst, dass ich da etwas machen muss, wofür ich überqualifiziert bin. Dafür, dachte ich, habe ich einen Fuß in der Tür und vielleicht später die Möglichkeit, mich weiterzuentwickeln. Diese Möglichkeit wurde mir auch im Vorstellungsgespräch in Aussicht gestellt.

STANDARD: Schlussendlich waren die Aufstiegsmöglichkeiten aber nicht besonders gut?

Kickl: Ich kann mich an eine Szene noch ganz lebhaft erinnern: Als ich den Trainer, der uns für unsere Arbeit vorbereitet hat, ein Jahr später zufällig in der Pause wiedergetroffen habe, hat er mich gefragt, wie es mir geht, und ich habe ihm geantwortet, dass ich mich gut eingelebt habe und jetzt weiterkommen will, gerne in den USA arbeiten würde. Er hat mich angeschaut und gesagt: "Daniela, ich habe noch von keinem Einzigen gehört, der das geschafft hätte." Und die Zentrale hat immerhin 5000 Mitarbeiter. Das hat mir zu denken gegeben.

STANDARD: Raue Bedingungen, mangelnde Aufstiegschancen – warum haben Sie nicht schon früher gekündigt?

Kickl: Es hat eben eine Zeit gebraucht, bis ich realisiert habe, wie es wirklich läuft. Zu Beginn war ich stolz und engagiert. Ich hatte eine rosarote Brille auf. Wie viele meiner Kollegen habe ich mir lange einzureden versucht, dass ja alles gar nicht so schlimm ist. Außerdem arbeitet man schließlich bei Apple, da muss man sich zusammenreißen und durchhalten.

STANDARD: Sie verwenden in Ihrem Buch auch den selbstkreierten Begriff "Apple-Syndrom" – nach dem Stockholm-Syndrom, das darin besteht, dass sich bei Geiselnahmen die Opfer mit den Tätern solidarisch fühlen.

Kickl: Man versucht eben, sich die Situation schönzureden – einfach um sich selbst zu schützen.

STANDARD: Sie wollen zeigen, "dass falsch auch Dinge sein können, die formal korrekt sind". Wie lange werden es sich große Konzerne noch leisten können, nicht besonders gut mit Mitarbeitern umzugehen? Wird es ein Umdenken geben?

Kickl: Ich hoffe es. Wir können gewisse Dinge nicht schweigend hinnehmen, denn davon lebt das System. Wir müssen sprechen, damit sich etwas verändert. Das war auch die Motivation für mich, dieses Buch zu schreiben.

STANDARD: Wann haben Sie sich dazu entschieden – nachdem Sie Ihre Dokumentationen an das Topmanagement geschickt haben und, wie Sie sagen, nichts zurückkam?

Kickl: Man hat schon mit mir über meine Erfahrungen gesprochen, nur war das eher eine Alibiaktion. Das obere Management hat nicht reagiert. Aber selbst dann habe ich noch weitergemacht, Hoffnung in einen Abteilungswechsel gesetzt. Erst relativ spät dachte ich mir: Jetzt suche ich mir einen Verlag, immerhin habe ich das ganz schön formuliert.

STANDARD: Befürchten Sie Klagen?

Kickl: Nicht wirklich. Ich habe ja keine Betriebsgeheimnisse verraten, sondern nur meine Geschichte erzählt. Außer meinem ist kein anderer Name echt.

STANDARD: Apple wollte keine offizielle Stellungnahme abgeben. Woran, glauben Sie, liegt das?

Kickl: Dinge, mit denen man sich nicht beschäftigen will, zu ignorieren ist eine beliebte Vorgehensweise bei Apple. Ich würde mich aber natürlich sehr freuen, wenn mich Tim Cook kontaktiert, um mit mir zu sprechen. Ich würde dann auch sofort zu ihm fliegen – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass anlässlich meines Besuches jeder Mitarbeiter doppelte Klozeit bekommt. (Lisa Breit, 18.3.2017)