Peter Wawerzinek, "Bin ein Schreiberling". € 18,- / 144 Seiten. Transit 2017

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Am Beginn ist das Gefühl, dass man weiter schreiben wird, als ein Mensch gehen kann, einem alles erlaubt ist und gelingen wird, und dann beginnt einen die Schreibmotivation am langen steifen Arm zu halten, und man droht an ihm zu verhungern, ein Weh-oh-wehe-mir-Wegweiser zu werden. Deswegen irren wir Schreiberlinge so seltsam umständlich herum, irren im Gedankenkreis, als Außenseiter, Einzelgänger. Es heißt, man lernt vor der Vergangenheit schon die Gegenwart kennen, die Zukunft findet in der Fremde statt. Aufrührerische Gedanken tun not und zersetzen Stahl. Die entfesselte Hand greift nicht sofort nach dem Stift. Um anzuklagen, zu beweinen, braucht es erst den Pinsel, danach das Schwert. Man wird nicht von heute auf morgen ein Lautsprecher, wie man nicht zum Schwätzer wird, nur weil man den Leuten die Worte aus ihren Rachen zerrt.

Und dann wird es irgendwann unübersichtlich. Es werden sehr viele Leser. Ich habe keinen Überblick mehr. Es kommen keine Reaktionen mehr. Das übernimmt die Presse.

Die eine leidvolle Erfahrung

Die aber ist nicht wirklich mein Adressat. Die spare ich von vornherein aus. Ich bin ihr Futter. Der Ruhm macht mich nachdenklich. Denn ich denke immer, wieso musste ich erst die eine leidvolle Erfahrung machen, um dann von der anderen, ebenso leidvollen Erfahrung heimgesucht zu werden? Haben sich die Umstände und Leute verändert? Ich habe mit dem Spaß am Vergnügen nicht sehr viele Leute erreicht. Nun mache ich es umgekehrt. Nun habe ich am Vergnügen Spaß, und die Leute lesen mich, als hätten sie Spaß an mir und meinen Texten.

Ich lese mich gern. Ich lese gern über mich. Ich sehe mich gern. Ich sehe mir gern Bilder von mir an. Ich mag mich. Ich mag Leute, die schreiben, dass sie sich mögen. Ich kann aber auch genau das Gegenteil empfinden. Dann stören mich die wohlmeinenden Kommentare, ich sehe sie mir nicht einmal mit der halben Backe an, mein Interesse dafür, was über mich geschrieben steht, ist vorbei und ausgestanden. Und dann ändert sich diese Haltung, und die alte Leier spult auf den Ausgangspunkt zurück. Alles fängt von vorne an, und ich sage von mir: Ich lese mich gern. Ich lese gern über mich ... Ich müsste längst unheilvoll an der Trunksucht vergangen sein. Ich müsste mich längst von einer hohen Brücke gestürzt haben. Ich müsste lange schon wegen Raubmord, Körperentzugs, Seelendiebstahls, Liebeshandels im großen Stil im Gefängnis sitzen. Ich sollte längst vor die Hunde gegangen sein. Verbraucht. Verbraten. Wenn ich nicht ein Schreiberling geblieben wäre. (Peter Wawerzinek, Album, 18.3.2017)