US-Journalistin Brooke Gladstone rät Journalisten, weniger Zeit für Trumps Tweets aufzubringen.

Foto: David S. Waitz

STANDARD: Bis zum Wahltag selbst hat kaum jemand geglaubt, dass Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt werden würde. Viele Journalisten scheinen jetzt mit seiner Art zu kommunizieren überfordert. Hat er sie auf dem falschen Fuß erwischt?

Gladstone: Er hat das gesamte politische und kulturelle Establishment auf dem falschen Fuß erwischt – nicht nur hier, sondern auf der ganzen Welt. Das Problem ist, dass Journalisten auf der Grundlage vergangener Ereignisse handeln. Das hat in diesem Fall nicht funktioniert, denn Donald Trump war zu einem guten Teil nicht einfach ein Clown oder eine Verirrung, sondern ein Aufbruch. Er zeigte, dass sich die USA an einer Wegscheide befinden – wie viele europäische Staaten.

STANDARD: Trump kommuniziert am liebsten direkt und kümmert sich nicht darum, seine Nachrichten über traditionelle Medien zu verbreiten. Damit sind Demokratien und Journalisten auf der ganzen Welt konfrontiert – wie können wir damit umgehen?

Gladstone: Dass Politiker traditionelle Medien umgehen, passiert seit langem. Niemand hat es bisher so gut gemacht wie Trump. Er schafft es, die Geschichten des Tages zu kontrollieren und Medien mittels sorgfältig geplanter Twitter-Empörungen von wichtigeren Themen abzulenken. Er befindet sich im Krieg mit den Medien, um das Vertrauen in sie zu schwächen. Bis zu einem gewissen Grad ist das erfolgreich. Doch der Krieg könnte auch eine Art der Befreiung sein. Denn die Regeln des Medienestablishments in Washington funktionieren nicht mehr.

STANDARD: Warum?

Gladstone: Journalisten brauchen keine peinlichen Artikel zurückhalten, um dafür ein Zitat des Präsidenten zu bekommen – denn die Regierung überflutet alles mit Zitaten. Nur sind viele davon vollkommen wertlos, weil der Präsident entweder bald der eigenen Aussage widerspricht oder weil sie nachweislich falsch sind. Vielleicht wird nun also ein stärkerer Fokus auf Investigation gelegt. Abgesehen davon ist Washington gerade undicht wie ein Sieb: Medien haben jetzt so viele Quellen für gute Informationen. Außerdem müssen sie nicht mehr versuchen, ihren Ruf zu wahren, weil sie durch Trumps Angriffe kaum mehr etwas zu wahren haben. Das ist eine Art der Freiheit.

STANDARD: Der Satiriker Jon Stewart hat Trumps Präsidentschaft eine "großartige Chance für Selbstreflexion und Besserung" des Journalismus genannt – ich schätze, er hat da bewusst übertrieben …

Gladstone: Da bin ich mir nicht so sicher! Das könnte der größte Motivationsschub für Journalisten seit Watergate sein. Watergate wird heute oft erwähnt: Der große Skandal eines Präsidenten, der die Medien gezwungen hat, ein anderes Spiel zu spielen und den Einsatz zu erhöhen. Dieser hohe Einsatz ist furchteinflößend – aber auch aufregend.

The Late Show with Stephen Colbert

STANDARD: Stewart war allerdings auch nicht allzu optimistisch, dass die Medien diese Chance nutzen werden. Trumps Strategie, mit ein paar verrückten Tweets von wichtigeren Themen abzulenken, funktioniert nach wie vor. Warum fallen so viele Journalisten darauf rein?

Gladstone: Ich glaube, sie lernen inzwischen zumindest, die Ablenkungstweets als solche zu identifizieren. Das ist an sich überraschend und toll. Es ist ein langsamer Prozess, es ist schwer, ein Kreuzfahrtschiff in einer Minute um 180 Grad zu drehen – so lange ist Trump ja noch nicht Präsident. Ich beobachte Veränderung, extreme Wachsamkeit – und sehr viel kurzsichtige Berichterstattung aus der Echokammer, aber die gab es vorher auch schon. Natürlich stecken wir in der Klemme, da gibt es nichts zu beschönigen. Aber es besteht eine Chance, und ich sehe Veränderung – nicht so viel, wie ich gern hätte, aber sie ist da.

STANDARD: In welche Richtung soll das Schiff steuern?

Gladstone: Weniger Zeit mit den Tweets verbringen. Der Linguistikprofessor George Lakoff hat eine Exegese darüber verfasst, wie ein Trump-Tweet zu interpretieren ist: Es gibt den "Preemptive framing"-Tweet – ein Vorwurf mit einer eingebauten Annahme. Als Journalist muss man die Annahme hinterfragen, bevor man den Vorwurf behandelt. Dann gibt es den Abfälsch-Tweet, mit dem er andere Leute angreift, obwohl er selbst verantwortlich ist. Den Ablenkungs-Tweet sehen wir oft, der Versuchsballon und so weiter. Laut Lakoff soll man zuerst die Wahrheit klarstellen, dann den Tweet zitieren, erklären, welche Art Tweet es ist und wovon er ablenken soll – und die Geschichte ist erledigt. Das würde ich Journalisten auftragen, wäre ich Königin der Medien. Außerdem: Bildet Gruppen! Gruppen für Recherchen über Korruption, Interessenkonflikte, Gesundheits- und Immigrationspolitik. Diese Politikfelder bleiben oft im Dunkeln, weil über Trumps Tweets berichtet wird.

STANDARD: Trumps Feindseligkeit gegenüber den Medien hat viele schockiert – nicht erst, seit er sie zum "Feind des Volkes" erklärt hat. Aber auch einige seiner Vorgänger waren der Presse nicht gerade positiv gesinnt, oder?

Gladstone: Jeder einzelne Präsident ist mit der naturgemäß gegnerischen Presse zusammengestoßen. Dafür sind die Medien da: um Autorität zu hinterfragen. Jeder Präsident seit Thomas Jefferson – das war der zweite – beschwerte sich darüber. Das Problem mit der Rede vom "Feind des Volkes" ist, dass sie erklärt, dass es keine freie Presse gibt, sondern nur Interessenvertretung mit einer Agenda, die nicht die der Bevölkerung ist. Er inszeniert sich damit als Sprecher des Volkes und erklärt den Leuten, dass die Presse ihr Gegner ist. Das ist eine Taktik aus dem faschistischen Handbuch.

STANDARD: Der Begriff "Fake-News" wird heute für Artikel verwendet, die erfunden sind, die fehlerhaft sind oder die jemandem nicht gefallen. Haben die Worte noch irgendeinen Wert?

Gladstone: Nein. "Fake-News" ist tot. Eigentlich beschreibt es Artikel, die für Klicks erfunden wurden. Der Rest ist entweder Propaganda oder Bullshit. (Sebastian Fellner, 21.3.2017)