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Ungeheuer stabil, mit hoher Leitfähigkeit und dennoch hauchdünn: Graphen besteht aus Kohlenstoffatomen, die in Wabenform angeordnet sind. Seine Qualitäten sind vielfältig, lassen sich aber nur schwer in komplexeren Anwendungen auf den Boden bringen.

Foto: Picturedesk / Science Photo Library / KTS Design

Wien – Ultraschnelle Computer, Akkus mit höchster Leistung, ungeahnt leichte Flugzeuge und Kondome, die niemals reißen: Spätestens seit der Physiknobelpreis des Jahres 2010 an Andre Geim und Konstantin Novoselov Graphen in die mediale Öffentlichkeit katapultiert hat, besteht kein Mangel an Prognosen, welche technischen Errungenschaften das "Wundermaterial" dereinst möglich machen wird.

Angesichts des theoretischen Potenzials sind die tatsächlichen Anwendungen, die sich bisher als marktfähig erwiesen haben, überschaubar. Sie beschränken sich großteils auf Verbundmaterialien, die mit Graphenflocken verstärkt wurden: Helme, Tennisschläger oder Uhren ziehen aus dieser Beigabe nicht nur mehr Stabilität, sondern auch einen entsprechenden Werbeeffekt.

Graphen wird aufgrund seiner Struktur auch als zweidimensionales Material bezeichnet. Es ähnelt Graphit, ist aber hauchdünn und besteht nur aus einer Schicht Kohlenstoffatome, die in Sechseckform kristallartig angeordnet sind. Neben der großen Stabilität weist es eine äußerst hohe Leitfähigkeit und thermische Qualitäten auf. Bis auch neuartige Computer oder Solarzellen von den Vorteilen des Materials profitieren, wird es aber noch eine Zeitlang dauern.

"Kunststoffe mit Graphen stabiler zu machen ist vergleichsweise einfach. Die Nutzung der thermischen oder elektrischen Eigenschaften ist viel komplexer", sagt Thomas Müller, der am Institut für Photonik der Technischen Uni Wien eine Forschungsgruppe leitet, die an Projekten des Horizon-2020-Programms der EU, der Förderagentur FFG und des Wissenschaftsfonds FWF Anteil hat. Vergangene Woche gab Müller gemeinsam mit seinen Kollegen Florian Libisch und Elisabeth Gruber im Rahmen eines "TU Forums" Auskunft über aktuelle Forschungen zu Graphen.

Müller versucht mit seinen Kollegen, Graphen etwa für den Bereich der Optoelektronik nutzbar zu machen. Da sich Lichtimpulse besonders gut zum Übertragen von Daten eignen, könnte eine Kombination von Halbleiterelektronik mit optischen Bauteilen die Leistung von Computern massiv erhöhen. In Glasfaserkabeln, die mittlerweile einen wesentlichen Teil der Internetinfrastruktur ausmachen, wird dieses Prinzip bereits genutzt. Künftig könnte aber auch der Datentransfer zwischen Leiterplatten, Computerchips oder sogar innerhalb eines Prozessors mithilfe von Lichtsignalen gemanagt werden.

Die optischen Bauteile sollen stark verkleinert werden. Zu ihnen gehören einerseits Lichtquellen und Modulatoren, die elektronische Signale in Licht übersetzen, andererseits Fotodetektoren, die die Lichtimpulse wieder zurückverwandeln. "So wie man vor 40, 50 Jahren begonnen hat, elektronische Bauteile wie Transistoren auf Chips zu integrieren, versucht man das heute im Rahmen der Photonik mit optischen Bauteilen", sagt Müller.

Hier kommt das Graphen ins Spiel. Bei diesen Schnittstellen könnte das 2-D-Material eine enorm leistungsfähige und kompakte Alternative zur Halbleitertechnik bieten, die sich aufgrund ihrer zweidimensionalen Struktur gut in Silizium-Computerchips integrieren lässt und im Gegensatz zu konventionellen Bauteilen aus Germanium ein viel breiteres Lichtspektrum absorbieren kann.

Geschwindigkeitsrekord

Ein derartiger Fotodetektor basiert auf einem thermischen Prinzip: Das Graphen absorbiert das Licht, die Temperatur des Materials verändert sich, und es entsteht eine sogenannte Fotospannung. "Obwohl das ein thermischer Effekt ist, ist er alles andere als träge. Die Geschwindigkeit ist viel höher als bei Halbleiter-Fotodetektoren", sagt Müller. "Mit Graphen wäre es leicht, mit sehr hohen Frequenzen zu arbeiten." Müllers Forschungsgruppe konnte vor kurzem im Fachjournal Nano Letters den bisher schnellsten Fotodetektor auf Graphenbasis weltweit präsentieren.

Doch bevor man eine solche Technologie in Computerchips verwenden kann, ist noch ein Hindernis zu überwinden: "Obwohl in Graphen eine 100-mal größere Fotospannung entsteht als in anderen Metallen, ist sie nach wie vor zu gering für marktfähige Anwendungen", erklärt Müller. "Die entstehende Spannung pro absorbiertes Photon muss sich noch erhöhen." Eine ähnlich gelagerte Problematik ergibt sich auch bei den Graphen-Modulatoren.

"Um diese Probleme zu lösen, muss die Qualität von Graphen noch wesentlich besser werden", sagt der Photonik-Experte. Das einlagige, wabenförmige Kristallgitter sollte möglichst fehlerfrei sein und die Struktur nicht durchs Aufbringen auf ein Substrat verändert werden. Müller und Kollegen arbeiten deshalb gerade daran, die Graphenschicht von seiner Umgebung zu isolieren.

Kein Graphen-Computer

So vielversprechend Graphen für die Optoelektronik ist, so skeptisch ist Müller beim Einsatz von Graphen in der Mikroelektronik. "Graphen ist kein Halbleiter. Würde man damit die Transistoren in einem Computerchip aufbauen, würde das einen hohen Energiebedarf bedeuten." Auch wenn manche Gruppen noch an entsprechenden Ansätzen forschen, hält Müller diesen Zug für abgefahren: "Die allgemeine Sichtweise ist heute, dass Graphen wahrscheinlich nicht als Halbleiter einsetzbar ist."

Hoffnung gibt es, dass die Welt der zweidimensionalen "Wundermaterialien" nicht mit Graphen erschöpft ist. "Für uns ist es eines von hunderten 2-D-Materialien", sagt Müller. "Es hat sich zum Beispiel herausgestellt, dass Bornitrid in derselben Struktur ein ausgezeichneter Isolator ist." Kombinationen verschiedener Schichten könnten zu den erwünschten Fähigkeiten führen. "Eine Schicht Bornitrid könnte Graphen im Fotodetektor vor Interaktionen mit dem Substrat, auf dem es aufgebracht ist, schützen", gibt der Photonik-Experte ein Beispiel.

Auf eine ähnliche Art könnten künftig auch ultradünne, flexible und transparente Solarzellen entstehen. Dazu würde man 2-D-Halbleiter, die seit kurzem bekannt sind, zwischen zwei Schichten aus Graphen packen, das hier mit seiner extrem guten Leitfähigkeit punkten kann. In dieser Konstellation könnte es als Kontaktelektrode den gesammelten Strom schnell und effizient ableiten. (Alois Pumhösel, 27.3.2017)