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Kicker Samuel Eto'o ist Kameruns bekanntester Fußball-Export. Der 36-Jährige konnte sich in Europa durchsetzen und ist für viele junge Männer ein Role-Model.

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Niko Besnier: "Die Klubs suchen jemanden, der zurückhaltend ist und nicht prahlt. Wichtigtuer zu sein können sich die meisten nicht leisten."

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STANDARD: Würden Sie sich selbst als Sportfan bezeichnen?

Besnier: Ja. Aber das ist nicht der Grund, warum ich mich mit dem Thema auseinandersetze. Ich habe seit den 1970er-Jahren Feldforschung auf Inseln im Südpazifik betrieben. Während meines letzten langen Aufenthalts im Jahr 2007 auf Tonga habe ich gesehen, dass man die Situation auf den Inseln nicht verstehen kann, wenn man Rugby-Migration nicht versteht: Tonga zählt neben seinen Nachbarinseln wie Fidschi und Samoa zu den größten Exporteuren von Rugby-Talenten. Der Sport hat einen großen Stellenwert auf den Inseln. Ich habe mich für Überlebensstrategien dort interessiert. So entstand mein Interesse am Sport. Das Land wurde in den vergangenen Jahrzehnten von globalen Dynamiken, die großen Einfluss auf den lokalen Kontext haben, transformiert.

STANDARD: Welche Rolle spielt die Globalisierung von Sport in diesen Ländern?

Besnier: Menschen haben dort immer Cricket, Fußball und Rugby gespielt. Der Sport hatte stets einen Platz in der Gesellschaft und besonders im Leben junger Männer. In den letzten Jahrzehnten hat sich etwas geändert: Sport wird nicht mehr nur leger betrieben – er ist Arbeit geworden. Er hat das Potenzial für Anstellungen, dafür, dass man sich um seine Familie kümmern kann. Er wurde zum Traum, viel Geld zu verdienen – was aber nur wenige tatsächlich erreichen.

STANDARD: Wie wirkt sich das auf Geschlechterrollen aus?

Besnier: Männlichkeit wird auf verschiedene, zum Teil überraschende Weisen verändert. Einer meiner PhD-Studenten, Uros Kovac, hat in Kamerun geforscht. Er nahm an, dass die enorme Wichtigkeit von Sport dort eine neue, sehr machoide Form von Männlichkeit hervorbringt. Was er gefunden hat, war etwas anderes: eine sehr gedämpfte Männlichkeit. Es ist eine ganz spezielle christliche Form der Männlichkeit – jene der Pfingstkirchen, einer charismatischen Bewegung. Sie macht die jungen Männer demütig, gottesgläubig, monogam – anders als die Form von Männlichkeit, die man im Westen stereotyp von diesem Teil der Welt hat.

STANDARD: Wieso wird das christliche Männerbild übernommen?

Besnier: Die Pfingstkirche bietet eine Kontrolle über die Zukunft an, die eigentlich nicht kontrollierbar ist, darum ist diese Form des Christentums so erfolgreich in Afrika, sie predigt das Wohlstandsevangelium. Die Ideologie, dass wenn man für Gott gibt, er zurückgeben wird. Hinzu kommt, dass Trainer, Manager und Agenten nicht nach dem Hypermacho suchen, um ihn zum Probetraining nach Europa zu schicken. Sie suchen jemanden, der zurückhaltend ist und nicht prahlt. In der Fußballindustrie unserer Länder wird es der Hypermacho nicht schaffen, denn er wird nicht gemocht werden und als potenzielles Problem abgestempelt werden.

STANDARD: Welche Männer schaffen es?

Besnier: Es sind die jungen Männer, die sich an eine spezielle Lebensführung anpassen können. Jemand, der flexibel und anpassungsfähig ist, jemand, den die Klubs formen können. Das Image eines Machofußballspielers, der sich auf die Brust trommelt, wenn er ein Tor geschossen hat, ist zwar ein sehr sichtbares und auffälliges, aber es ist nur in der Welt der extrem erfolgreichen Spieler erlaubt. Die vielen Spieler in den zweiten und dritten Ligen können es sich nicht leisten, solche Wichtigtuer zu sein.

STANDARD: Was sind die Bedingungen für diese Männer in Europa?

Besnier: Wir müssen die Anforderungen, die die Spieler erfüllen müssen, auch kritisch betrachten. Sie gehen Hand in Hand mit einer Industrie, die herzlos geworden ist. Die Klubs kümmern sich nicht mehr um ihre Spieler. Auch das ist in den letzten Jahren entstanden, davor waren die Klubs loyal zu ihren Spielern. Der Grund dafür ist die Konkurrenz.

STANDARD: Was ist in den 1990ern passiert, dass sich Sport so verändert hat?

Besnier: Die Unternehmenswelt an sich hat sich stark verändert. Die Rolle des Fernsehens ist wichtiger, das Interesse an Sport ist größer geworden. Sport hat viel mehr Platz im Programm als früher. Das hat auch den Geschmack der Leute verändert. Dass etwas, das in Europa aufgezeichnet wird, beispielsweise in Papua-Neuguinea gezeigt wird, führt dazu, dass Menschen die englische Premier League ihrem lokalen Fußball vorziehen. Was die Menschen da sehen, formt ihre Träume.

STANDARD: Welche Rolle spielen Frauen aus diesen Ländern im Sport?

Besnier: In unserer westlichen Welt wurden Frauen im Sport immer marginalisiert oder ausgeschlossen. Frauen mussten darum kämpfen, als Athletinnen wahrgenommen zu werden, und sie mussten Lippenstift tragen, um als Frauen glaubwürdig zu sein. Ihr Geschlecht und ihre Sexualität wurden immer wieder infrage gestellt. Der Markt für Frauen aus dem globalen Süden ist im Sport klein und schlecht bezahlt. Es gibt ein wenig Migration von afrikanischen Staaten in skandinavische Länder. Frauen finden sich meist in Einzelsportarten, die nicht so viel Aufmerksamkeit wie etwa Fußball bekommen.

STANDARD: Was passiert mit den Frauen, die zurückbleiben?

Besnier: Im Kontext des ökonomischen Abschwungs, den die Sportmigration der Männer hervorbringt, haben Frauen gelernt, für sich selbst zu kämpfen. Sie haben eigene Strategien entwickelt: Bildung, Unternehmen, Anstellungen in Offshore-Fabriken, Heirat oder Sexarbeit.

STANDARD: Was bedeutet das für die Gesellschaft?

Besnier: Männer, die erfolgreich migrieren, sind zwar Versorger, aber abwesend. Das unterscheidet sie von der Rolle ihrer Väter und Großväter, die ihre Familie über direkten Weg versorgt haben. Der "Fußballmigrant" verliert den Bezug und den Kontakt zu seiner Herkunftsgemeinschaft.

STANDARD: Was passiert, wenn er nach seiner Karriere in sein Heimatland zurückkehrt?

Besnier: Sie haben den Anschluss und die Einbindung in die Gemeinschaft verloren, verdienen kein europäisches Geld mehr und können niemanden mehr versorgen. Das Ansehen ist gesunken. Die meisten gehen zurück nach Europa in einen anderen, oft schlechteren Beruf.

STANDARD: Sind längere Verträge die Lösung?

Besnier: Man muss auch die Vereine verstehen. Sie wollen überleben, und sie sind Teil eines umbarmherzigen Markts. Die Klubs wollen und müssen erfolgreich sein. Ist ein Spieler längere Zeit verletzt, sinkt sein Wert und Nutzen für den Verein. Der Fußballer ist eine Ware. Er muss Leistung bringen, sonst ist er nutzlos.

STANDARD: Was ist ein nützlicher, was ein nutzloser Mann?

Besnier: In Ländern des globalen Südens gilt ein Mann dann als nützlich, wenn er so schnell wie möglich so viel wie möglich erarbeitet. Er sollte Geld, Nahrung und Waren produzieren, um damit eine Familie ernähren zu können. Er heiratet, bekommt viele Kinder. Das ist dann ein "großer Mann". Wenn ihm die Werkzeuge fehlen, diesen Faktoren nachzukommen, ist er nutzlos.

STANDARD: Was hat sich verändert?

Besnier: Ein Faktor ist Arbeitslosigkeit. In der westlichen Welt gibt es Arbeitslosigkeit schon viel länger, im globalen Süden ist dieses Konzept eher neu. Bezahlte Arbeit und damit Arbeitslosigkeit sind jüngere Phänomene, seit das direkte Versorgungsprinzip nicht mehr diese Bedeutung hat. So gibt es neue Konzepte für Nutzen und Nutzlosigkeit.

STANDARD: Wie sieht das bei Frauen aus?

Besnier: Der offensichtlichste Nutzen ist es, Kinder zu bekommen. In vielen Gesellschaften wird kinderlosen Frauen mit Misstrauen begegnet, sie werden oft bemitleidet. Der soziobiologische Nutzen ist also wichtiger und losgekoppelt von ökonomischen Gegebenheiten.

STANDARD: Sie sagen, Sport lehre Menschen zu scheitern. Was ist damit gemeint?

Besnier: Junge Männer in diesen Gesellschaften träumen davon, Sportstar in Europa zu werden, obwohl die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist. Also scheitern viele von ihnen. Sport lehrt nicht nur das Scheitern, sondern auch das Finden anderer Möglichkeiten, auf Umwegen zu überleben.

STANDARD: Was sind solche Umwege?

Besnier: Sie suchen sich Jobs, in denen Physis und Sportlichkeit auch eine Rolle spielen, zum Beispiel als Securitys.

STANDARD: Ist es nicht sehr frustrierend, in ein Land als Fußballspieler zu migrieren und dann als Security zu enden?

Besnier: In diesen Ländern ist fast jeder arm. Wenn die Menschen einen Job mit Einkommen haben, schätzen sie sich glücklicher als jene, die keines haben. Der Sport lehrt Menschen zu versagen, aber man lernt auch fürs Leben. Diese jungen Männer sind sehr zielorientiert. Sie verbringen viel Zeit mit Training, gehen ins Fitnessstudio, achten auf ihre Ernährung. Sie ändern ihr Leben. (Andreas Hagenauer, Oona Kroisleitner, 22.3.2017)