Die Letzten werden die Ersten sein. Deshalb sind jene Teenager, die vor einem halben Jahr noch versteckt auf dem Parkplatz des Ernst-Happel-Stadions unsicher wirkende Choreografien probten, derzeit in ihren Facebook-Freundesgruppen wohl ganz vorne. So wie die Dame, die seit Jahren täglich den Ring umrundet – mit ebenjenem Sportgerät, das die Teens auf dem Parkplatz lange zu Freaks machte: mit Kangoo-Jumps.

Kangoo-Jumps entstehen, wenn ein Skischuh einen One-Night-Stand mit einem Blattfeder-Stoßdämpfer hat. Die Feder macht den plumpen Schuh zum dynamischen Siebenmeilenstiefel. Mitte der 90er-Jahre wurde der Kangoo-Jump intensiv beworben – und floppte: Inline-Skating war im Zenit. Etwas anderes als Skates hatte keinen Platz. Nicht im Sportgeschäft, nicht in der "Bravo", nicht auf der Straße: Der Kangoo-Jump kam nie vom Boden weg.

Doch 2014 hopsten auf der Ispo, der großen Sportmesse in München, Kangoo-Jumper. Kurz darauf schlüpften eigene Youtube-Videos in die sozialen Netze. Und seit kurzem gibt es sogar in Wien ein Kangoo-Jump-Studio. Überraschend ist da nur eines: dass es überrascht.

Zeitphänomene

Schließlich dreht sich dieses Rad – gefühlt – seit jeher gleich: Ilse Buck rief den Großeltern "Fit mach mit!" zu. Jane Fonda brachte den Eltern Aerobic bei. Dann rockte Billy Blanks Kampfsport-Workout Tae-Bo die Fitnessstudios – bis der Platz für Zumba gebraucht wurde, während die Street-Workout-Szene Reckstangen im öffentlichen Raum in Beschlag nahm. Wo Teens einst an der Klopfstange hingen, treffen sich Kids heute im Käfig und trainieren nach Apps am Smartphone – als "Freeletics"- oder "Runtastic"-Abonnenten.

Die Trainingsanbieter sind kreativ. Da wreden auch Alltagsgegenstände wie Traktorreifen zweckentfremdet.
Foto: Asics

Und während sich die hippen Indoor-Trendsport-Follower beim Crawling im Fitnessstudio gerade vom aufrechten Gang zurückentwickeln, führen andere das Spiel mit der Evolution im Firmennamen. Aus gutem Grund: Trendsportarten und Fitnesstrends haben das Problem, dass alle Bewegungsmuster des Menschen seit einigen hunderttausend Jahren recht gut definiert sind. Wer mit dem Bewegungsdrang Geschäfte machen will, muss also so tun, als habe er das Rad gerade erfunden. Da das nur schwer geht, muss man es eben neu lackieren. Der moralische Zeigefinger ist da aber fehl am Platz. Zumindest aus sportpädagogischer Sicht, betont der Wiener Freizeitforscher Peter Zellmann: "Alles, was Menschen motiviert, sich zu bewegen, ist zu begrüßen."

Dennoch ist es auch amüsant, sich des Kaisers neue Workouts genauer anzusehen: Was heute als Functional-, Crossfit-oder Bootcamp-Workout angesagt ist, war früher muffigstes Schleifer-Zirkeltraining. "HIIT" (High-Intensity-Intervall-Training) kannte in den 90er-Jahren niemand.

Wenn dieses Frühjahr die 2010 in Norwegen gegründete Evo-Fitness-Kette in Wien an den Start geht, klingt das Rundum-Wording spätestens beim zweiten Hinhören nur halb so sensationell, wie es die PR-Texter gerne hätten: "Natural Body-Movements" heißt die Philosophie, die mit Bewegung Lifestyle-Symptomen wie Verspannungen entgegenwirken will. Unter anderem mit Cardio- und Personaltraining. Das, so Evo-Fitness-Geschäftsführerin Shawsta Young-Leopold, sei, "nicht als Ersatz für Outdoor-Aktivitäten, sondern als ideale Ergänzung" zu verstehen.

Outdoor-Fitnessstudio

Freilich spielt man auch draußen dieses Spiel: Was früher Geländelauf war, wird als Trailrunning gerade groß. Und weil Trail ist, was höchstens 20 Prozent Asphalt aufweist, laufen glückliche Runner (Joggen? Igitt!) mit Camelbacks im Trail-Rucksack durch Parks.

Auch Radhersteller, die vor Jahren noch spotteten, haben heute E-Mountainbikes im Programm. Wissend, dass damit Forstweg-Spazier-Biker den Weg auf alpine Singletrails finden und mit Wanderern (die seit Jahren "walken") in Konflikt geraten.

Ausweichen kann man aber: aufs Wasser etwa. Stand-up-Paddling hat sich von der maritimen Rettungsschwimmer-Pflicht längst zum It-Sport auf Binnenseen und Flüssen gemausert. Heute wird auf dem Brett auch geturnt: bei SUP-Yoga zum Beispiel. Wobei die Mehrheit derer, die beim Dehnen nass werden wollen, lieber im Schweiß als im Neusiedler See badet: Yoga boomt immer noch. Als besonders heiß gelten weiterhin Hot Yoga und Bikram-Yoga.

Balancieren auf dem Wasser geht aber auch Indoor: Bei Float-Fitness gibt es High-Intensity-Workouts auf dem Wasserbrett. Wackelige Stabilisations-Workouts stärken tieferliegende Muskelschichten. Dafür muss man aber gar nicht zwingend aufs Wasser: Sand tut es auch, erklärt Minna Herskowitz. Mit ihrem Mann David hat sie in Los Angeles "Sandbox" entwickelt: "Seit wir am Strand trainieren, waren wir nicht mehr verletzt. Aus unseren spezifischen Moves haben wir dann Sandbox-Fitness entwickelt." Mittlerweile habe man tausende Kunden – und sucht Franchise- und Lizenznehmer in Europa.

Ob Sandbox oder ein anderer Trendsport das "next big thing" wird, entscheidet sich Anfang April. Da findet mit der Fibo in Köln die weltweit größte Trendmesse der Fitnessbranche statt. Seit 1985 werden auf der Fibo Ideen präsentiert und Lizenzen gehandelt. Die Marketing-Choreografie ist dann ganzheitlich. Und knapp vor der Markteinführung tauchen in den sozialen Netzen dann sich – scheinbar – viral verbreitende Clips und Filmchen auf: Von Kangoo-Jump-Competitions ebenso wie von Disco-Spinning-Choreografien oder lustigen Gruppenworkouts beim "Jumping" auf dem Minitrampolin.

Die Zukunft

Was da heuer groß kommt? Christian Zöbl, Marketing-Mann bei John Harris Fitness, tippt auf Virtual-Reality-Fitness: "Der Trend geht in Richtung Digitalisierung: Radrennen über den Bildschirm etwa. Oder Online-Trainingssessions mit VR-Brille. Da wird viel passieren."

Eines geht im Trubel dann meist unter: Hippe Trendsportarten bleiben fast immer Nischenphänomene, weiß der Freizeitforscher Peter Zellmann. Denn seit Jahrzehnten dominieren Wandern, Radfahren, Laufen, Skifahren und Schwimmen alle Rankings. Unangefochten. "Sogar wenn man Baden und Spazierengehen als Schwimmen und Wandern gelten lässt." Die Statistik spricht eine andere Sprache als das Marketing: Gerade ein Drittel der Bevölkerung treibt überhaupt Sport. Crawling, Kangoo-Jump, Retro- oder Schlager-Aerobic oder Jumping? Zellmann seufzt: "Ich nehme die Überschriften zur Kenntnis, aber die Reichweite dieser Dinge ist zu marginal, um auch nur annähernd repräsentativ zu sein." (Thomas Rottenberg, RONDO, 25.3.2017)


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