Christiane Rösinger: "Wir sollten nicht so tun, als ob sich in Deutschland Frauen schon seit 200 Jahren bilden könnten."

Foto: Dorothea Tuch
Fischer Verlag

STANDARD: Sie haben mit Deutschunterricht in einer Initiative für Freiwillige begonnen – aber immer betont, dass Sie sehr wohl eine bezahlte Stelle finden wollen, was sich als bürokratische Herausforderung herausstellte. Hat es inzwischen geklappt?

Rösinger: Ja, ich arbeite jetzt für die Berliner Volkshochschule. Die ehrenamtliche Arbeit hat für mich also zu einer bezahlten Tätigkeit geführt, ich habe mich mithilfe des Deutschkurses praktisch auch integriert – in den Arbeitsmarkt. Ich unterrichte an drei Tagen die Woche – ich mache ja noch Musik und schreibe. Aber ich habe mir in den letzten Jahren immer gewünscht, dass ich so etwas noch finde. Natürlich ist es wie bei jedem anderen Job so, dass man manchmal morgens nicht hinwill, aber nach der Stunde ist es doch immer ein gutes Gefühl.

STANDARD: Sie schreiben, dass in Ihren Kursen fast keine Frauen sitzen – ist das noch immer so?

Rösinger: Zu Kursbeginn kommen meist ein paar Frauen, doch sobald das Kind krank wird oder in den Schulferien bleiben sie dann weg. Ich frage dann bei ihren Männern nach, frage, wann sie denn wiederkommen. Derzeit sind die meisten meiner Kursteilnehmer aus Afghanistan, und dort ist durch die verschiedensten Umstände Bildung für Frauen nicht sehr hoch angesehen. Das ist einerseits schon sehr traurig. Aber ich glaube, als Deutschlehrerinnen ist es nicht unsere Aufgabe, diese Frauen zu bekehren oder zu befreien. Wir bieten den Unterricht an, ich ermuntere Frauen auch immer sehr – aber ich denke, man muss es auch akzeptieren. Wenn sich aber ein bestimmtes Thema ergibt, bringe ich mich als Feministin natürlich schon ein. Einmal meinte ein Teilnehmer ganz stolz, in Afghanistan müssten die Frauen nicht arbeiten – in so einem Fall halte ich dann schon eine Lektion. Die Teilnehmerinnen sind dann meist auch sehr einverstanden, wenn ich erzähle, die Frauen hier wollen aber arbeiten. Aber ich finde, dieses Thema wird oft sehr von oben herab angegangen. Wir sollten nicht so tun, als ob sich in Deutschland Frauen schon seit 200 Jahren bilden könnten. Ich wurde in der 1960ern geboren und wurde auch nicht aufs Gymnasium geschickt, weil Mädchen das nicht brauchten, das war die gängige Meinung damals auf dem Land.

STANDARD: Wie ging es Ihnen beim Schreiben? Hatten Sie Sorgen, Klischees zu bedienen?

Rösinger: Einerseits wollte ich nicht in Klischees verfallen, und ich möchte ja immer vermeiden, mit meinen Worten irgendjemanden zu verletzen. Aber manchmal stimmen die Klischees halt auch – das habe ich auch gelernt. Zum Beispiel "die Westafrikaner": Das war immer eine sehr lustige Gruppe, mit denen ich mich immer gut verstanden habe. Trotzdem kann man natürlich nicht schreiben: Der Westafrikaner ist ein lustiger Gesell. Sondern man muss sich einfach fragen, warum es jetzt zwischen denen und mir so gut funktioniert. In dem Fall: weil sie Französisch können, ich Französisch kann – es ist also schon mal eine gemeinsame Sprache da. Vielleicht haben wir auch mit Westafrika mehr gemeinsam als mit Afghanistan. So etwas muss man also immer hinterfragen.

Das Schreiben fiel mir teilweise schwer. Ich hatte vor allem anfangs das Gefühl, für dieses Buch werden mich alle hassen. Die Rechten sowieso. Die werden sagen, dass das Gutmenschentum ist und die blöde Kuh ja sonst nichts zu tun hat. Die Linken werden sagen, dass ich zu wenig auf ihrer Linie bin und auch nicht genug PC bin. Die Deutschlehrer werden sagen, was hat denn die für Methoden, die kann das ja gar nicht richtig. Und dann auch noch die von mir porträtierten Leute, auch die könnten sauer sein. Diese Sorgen haben sich aber mittlerweile aufgelöst, ich bekam auch viel Resonanz von anderen ehrenamtlichen Helfern, die meinten: Ja, genau so ist es.

STANDARD: Sie schreiben auch kritisch über die vielen Kunstprojekte, die Flüchtlinge eingebunden und sie letztlich als "subversives Subjekt" missbraucht haben. Auf Sie trifft das nicht zu?

Rösinger: Erst einmal ist es schon etwas ganz anderes, über meine Erfahrungen mit der Arbeit mit Geflüchteten zu schreiben oder zu sagen: Ich brauche jetzt für mein Kunstprojekt zehn echte Flüchtlinge, weil sich das in meinem Antrag gut macht. Aber natürlich habe ich mir darüber Gedanken gemacht, ob ich selbst die Erfahrungen mit Geflüchteten ausschlachte. Bis zu einem gewissen Grad tue ich das zwar, aber da ich immer biografisch arbeite, wäre es seltsam gewesen, das nun auszusparen. Ich habe in den Kursen für Ehrenamtliche immerhin ein Jahr gearbeitet und unterrichte noch immer. Außerdem hat mein Buch durchaus auch eine politische Absicht. Alles, was mit Geflüchteten zu tun hat – auch wenn es wohlwollend gemeint ist –, wird immer als problematisch und schlimm dargestellt. Ich fand es auch gut, mal zu schreiben, dass man mit diesen Leuten sehr viel Lustiges erleben kann, dass es auch was Schönes und Bereicherndes sein kann.

STANDARD: Feministinnen und männliche Flüchtlinge werden spätestens seit Silvester 2015 gerne als natürliche Feinde betrachtet. In Ihren Liedern und Büchern halten Sie mit Ihrer feministischen Grundhaltung nicht hinterm Berg. Wie sind also Ihre Erfahrungen mit den von Männern dominierten Klassen?

Rösinger: Ich werde immer wieder danach gefragt, wie die Flüchtlinge mit mir als Lehrerin umgehen, und kann immer nur sagen: Es gab nie auch nur irgendein Problem. Auch für meine Kolleginnen nicht. In den verschiedensten Herkunftsländern gibt es ja auch Lehrerinnen, wir sollten also jetzt nicht so tun, als kämen da jetzt allesamt wilde Vergewaltiger. Es hat für mich nie auch nur eine ungute Situation gegeben. Wenn es etwa bei deutschen Männern eine gewisse Anzahl von Vergewaltigern oder Gewalttätern gibt, von der wir wissen, so sehe ich ja auch nicht jeden einzelnen Mann als potenziellen Vergewaltiger. (Beate Hausbichler, 24.3.2017)