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Serbiens Premier Aleksandar Vučić sieht Teile der serbische Medienlandschaft als seine Gegner.

Foto: AP / Darko Vojinovic

STANDARD: Es gibt viele Premiers in Europa, die sich eine derartige Mehrheit im Parlament wünschen würden wie jene, die Sie haben. Warum haben Sie sich entschieden, dass es besser ist, Präsident zu werden, als Regierungschef zu bleiben?

Vučić: Ich war sehr zufrieden mit dem wirtschaftlichen Erfolg, dem Wachstum und dass wir das Defizit senken konnten, und ich hätte meine Position auch nie geändert. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass meine Partei die Wahl verloren hätte, wäre andernfalls sehr groß gewesen, und damit hätte man manchen Leuten erlaubt, dieses Land in die Vergangenheit zurückzubringen. Damit wäre die Wirtschaft wieder abgestürzt, und die Schulden wären wieder gestiegen. Man kann sich nicht immer aussuchen, was für einen selbst besser wäre, man muss sich für die Zukunft des Landes entscheiden. Ich wollte die Stabilität des Landes und der Region absichern – und dass die Reformen weitergehen.

STANDARD: Werden Sie Chef der Fortschrittspartei bleiben, wenn Sie zum Präsidenten gewählt werden?

Vučić: Das weiß ich noch nicht, aber ich werde nicht beim nächsten Parteikongress kandidieren.

STANDARD: Werden Sie ähnlich wie einst Boris Tadić aus der Position des Staatschefs die serbische Tagespolitik mitgestalten?

Vučić: Ich werde als Präsident keine weiteren Kompetenzen bekommen.

STANDARD: Die brauchen Sie auch gar nicht. Der Dialog mit dem Kosovo ist eingeschlafen. Wie kann man ihn reaktivieren?

Vučić: Ich mache nie Schuldzuweisungen, aber im Parlament in Prishtina wurde beschlossen, dass der Dialog gestoppt wird. Außerdem wollten die gegen ihre eigene Verfassung die Armee des Kosovo schaffen, sie wollten uns in gesetzwidriger Weise all unseren Besitz im Kosovo wegnehmen, sie haben angefangen, Leute zu belästigen, die Poster aus Serbien in der Nähe von Prishtina aufhängen wollten, sie bereiten eine neue gerichtliche Instanz vor, nur um alle Serben für tatsächliche und vorgebliche Kriegsverbrechen zu belangen. Was war also unser Fehler? Ich habe das Isa Mustafa (Premier des Kosovo, Anm.) gefragt, und ich habe keine einzige Antwort bekommen. Aber wir sind trotzdem bereit, mit ihnen zu reden. Als ich mit Angela Merkel gesprochen habe, habe ich meine Kollegen in Prishtina nicht kritisiert. Ich habe aber vorgeschlagen, dass wir den Bau der Autobahn zwischen Niš und Prishtina beschleunigen. Denn das wird die Leute zusammenführen, und das wird den freien Verkehr von Kapital, Waren und Menschen ermöglichen. Und das hat ja Tito bereits getan.

STANDARD: Wie soll das Verhältnis zwischen dem Kosovo und Serbien in zehn Jahren aussehen?

Vučić: Während des Wahlkampfs wäre es jetzt das Einfachste für mich zu sagen: "Das ist unser Territorium. Bringt sie (die Albaner, Anm.) nach Tirana!" Aber ich werde das nicht sagen. Ich glaube, dass es Wichtigeres gibt als rechtliche Fragen, und das sind Autobahnen und Verbindungen zwischen verschiedenen Nationen. Wenn wir in der Lage sind, miteinander zu reden, uns wechselseitig zu respektieren und albanische Geschäftsleute nach Serbien zu bringen und mehr von unseren Leuten nach Prishtina und Tirana zu bringen, dann wird es leichter sein, anderes zu lösen. Ich hasse diese "großen rechtlichen Lösungen", die nichts lösen.

STANDARD: Okay, lassen Sie uns über "kleine Lösungen" sprechen. Im Moment geht es um die Idee, einen gemeinsamen Balkanmarkt zu schaffen. Was kann man realistischerweise auf dem Balkangipfel am 12. Juli in Triest erreichen? Es gibt ja Widerstand von Montenegro und dem Kosovo.

Vučić: Montenegro denkt, dass es der einzige Staat in der Region sein wird, der der EU früher als die anderen beitritt. Aber Sie wissen ja, dass das nicht der Fall sein wird. Und ich bin mir auch bewusst, dass wir in drei, vier Jahren nicht Teil der EU sein werden. Dennoch ist diese Region für alle bedeutend. Und ich schäme mich nicht dafür, ein Balkan-Kerl zu sein.

STANDARD: Weshalb sollten Sie das?

Vučić: Na ja, für die anderen Führer hier ist das ein unangenehmes Thema.

STANDARD: Also, was ist erreichbar bis zum Gipfel in Triest?

Vučić: Wenn wir uns auf etwas einigen, dann können wir ein Markt von 20 Millionen Menschen sein, und wir können zwei- oder dreimal so viele Investoren anziehen wie bisher. Und das ist für die anderen Staaten noch viel wichtiger als für Serbien, denn wir ziehen jetzt schon mehr an als die. Angela Merkel wird uns unterstützen. Wir werden in Triest die Angelegenheit nicht zu Ende bringen, denn ich denke, dass einige ihre Politik nicht ändern werden. Aber die Zeit und der Druck der EU können helfen. Zurzeit warten unsere Lastwagen oft 48 Stunden an der Grenze zu Bosnien-Herzegowina. Wir würden viel weniger Geld ausgeben, wenn wir nicht diese schrecklichen Grenzen hätten. Ich spreche nicht über politische Grenzen, sondern nur über Handel.

STANDARD: Geht jetzt etwas beim regionalen Büro für Jugendzusammenarbeit weiter, das auch im Berlin-Prozess geschaffen wurde?

Vučić: Gestern wurde unser Vertreter gewählt. Aber das Ganze hat drei Jahre gedauert, bis das Büro überhaupt geschaffen wurde.

STANDARD: Wird der Generalsekretär des Jugendwerks, ein Serbe, jetzt auch vom Kosovo unterstützt?

Vučić: Ja, das ist am Mittwoch entschieden worden. Zusätzlich haben wir erreicht, dass die Serbische Liste in das Parlament des Kosovo zurückkehrt. (Die Partei, die die Serben im Kosovo vertritt, hatte seit Oktober das Parlament boykottiert. Merkel hatte Vučić gebeten, sich für de Rückkehr einzusetzen, Anm.)

STANDARD: Seit der Wahl Donald Trumps konnte man merken, dass sich Russland zunehmend auf dem Balkan einmischt – insbesondere in Mazedonien. Was bedeutet das für Serbien? Wird der Balkan zu einer Art geopolitischem Schlachtfeld zwischen dem Westen und Russland?

Vučić: Serbien ist ein unabhängiges und souveränes Land. Serbiens strategisches Ziel ist, ein Vollmitglied der EU zu werden. Gleichzeitig werden wir alles tun, um unsere traditionell guten Beziehungen zu Russland und China zu erhalten. Bis jetzt haben wir das geschafft. Wir ändern unsere Politik nicht täglich.

STANDARD: Aber es geht ja nicht um Serbien. Die geopolitische Lage ändert sich.

Vučić: Ja, die Dinge ändern sich, aber bis jetzt mussten wir uns selbst, also die außenpolitische Ausrichtung, nicht ändern.

STANDARD: Die Forschungseinrichtung Birodi hat errechnet ...

Vučić: Die lügen, die haben gesagt, dass ich zweimal so oft im TV-Sender N1 erwähnt wurde wie die anderen Kandidaten. Aber die lügen, weil ich überhaupt nicht mit diesem TV-Sender zusammenarbeite.

STANDARD: Die haben untersucht, wie viele Sekunden über Sie und die anderen Präsidentschaftskandidaten in den TV-Sendern berichtet wird.

Vučić: Das ist ja okay, aber alles, was die sagen, ist von A bis Z eine Lüge. Die sagen, dass ich bei N1 am öftesten erwähnt wurde. Aber wissen Sie, wie die über mich berichten? Sie sagen: dieser Kriminelle, dieser dumme Typ, dieser Bastard ... Im Sender RTS haben andere Kandidaten mehr Berichterstattung als ich, aber ich bin eben der Premier, und die Berichterstattung über mich als Premier wird von Birodi dann einfach dazugerechnet zur Berichterstattung über mich als Präsidentschaftskandidaten.

STANDARD: Birodi hat alle TV-Sender zur dominanten Berichterstattung über Sie untersucht, auch Pink TV, das sehr viel Reichweite hat.

Vučić: Pink TV unterstützt mich, das ist deren Wahl.

STANDARD: Es geht um etwas anderes. Reporter ohne Grenzen berichtet über Serbien, dass der finanzielle und redaktionelle Druck stärker wird und dass jene Medien, die am kritischsten sind, öffentlich angegriffen werden. Wie stehen Sie zur Medienfreiheit?

Vučić: Das ist wichtig für mich, und ich denke, dass wir Medienfreiheit haben. Es gibt aber Entscheidungen von Medieneigentümern, den einen oder anderen Politiker zu unterstützen. Ich frage meine Schweizer oder meine amerikanischen oder meine deutschen Freunde auch nicht, weshalb sie meine Gegenkandidaten in N1 oder B92 oder in anderen Medien unterstützen. Ich frage nicht einmal diese Kriminellen in den Boulevardblättern, weshalb sie meine Gegenspieler unterstützen, obwohl diese Boulevardblätter behauptet haben, dass ich mit meinem eigenen Sohn Liebe gemacht habe oder meine eigenen Kinder getötet habe.

STANDARD: Der Boulevard ist ein Problem auf dem Balkan ...

Vučić: Ich habe zehn Gegenkandidaten, und die werden alle zusammen so viele Stimmen bekommen wie ich alleine. Das ist ein Problem für die. Deshalb erfinden sie Geschichten über Medienfreiheit und dumme persönliche Angriffe auf mich. Was sollten sie denn auch sonst sagen? Dass ich nicht hart arbeite? Dass ich nicht fleißig bin? Dass ich nicht intelligenter bin oder mehr Charme habe?

STANDARD: Also, Sie denken, dass die Kritik an der mangelnden Medienfreiheit ausschließlich von Ihren politischen Gegnern organisiert wurde?

Vučić: Birodi ist mein politischer Gegner.

STANDARD: Sie haben in den letzten Jahren immer betont, dass Sie gegen Korruption und für Transparenz kämpfen. Wenn es um das Projekt "Belgrad am Wasser" geht, ein riesiges Bauprojekt, argumentieren Kritiker, dass es keine Bauerlaubnis für die Promenade gab, zusätzlich wurden am 24. April vergangenen Jahres in der Nacht Gebäude, die dort standen, demoliert. Es ist noch immer unklar, wer da dahintersteckte. Wann wird die ganze Sache transparent gemacht werden?

Vučić: Ich denke, dass alles sehr transparent und offen ist. Ich habe zwei Tage danach gesagt, was ich darüber denke.

STANDARD: Ja, aber es ist noch immer nicht klar, wer dafür verantwortlich ist.

Vučić: Das wird klar werden. Es ist nicht so einfach für die Staatsanwaltschaft, aber ich mische mich da nicht ein. Das wird eines der besten Projekte in ganz Europa werden. Es wird eine neue Stadt in einer neuen Stadt sein! Und nach fast 200 Jahren, in denen wir versucht haben, Leben an unsere Flussufer zu bringen, werden wir nun damit sehr erfolgreich sein.

STANDARD: Ich habe den Eindruck, dass Sie von Deutschland und der EU-Kommission auch wegen Ihrer Rolle in der Flüchtlingskrise unterstützt werden. Was werden Sie tun, wenn wieder mehr Flüchtlinge kommen?

Vučić: Es gab immer diese Ideen, dass man einen Zaun oder eine Mauer zwischen Serbien und Bulgarien oder zwischen Serbien und Mazedonien bauen sollte. Aber ich werde das nie unterstützen. Wir brauchen kein Europa, das aus Mauern und Zäunen besteht, sondern eines mit offenen Grenzen. Als wir beim ersten großen Balkan-Flüchtlingsgipfel in Brüssel waren, hat uns Angela Merkel gefragt, wie viele Flüchtlinge wir in unseren Aufnahmelagern aufnehmen können. Und die Slowenen haben gesagt: zehn- bis fünfzehntausend, und die Kroaten haben gesagt: zehn- bis fünfzehntausend, und wir haben gesagt: zehn- bis fünfzehntausend. Aber heute haben nur wir Flüchtlinge – etwa achttausend. Slowenien hat null und Kroatien 200, und die erlauben niemandem, in ihr Land einzureisen. Also sind wir die Einzigen, die Flüchtlinge haben und sich um sie kümmern.

STANDARD: In Bulgarien und Griechenland gibt es auch viele Flüchtlinge.

Vučić: Ich spreche von der Westbalkanroute. Wir tun unser Bestes, um unser solidarisches Gesicht zu zeigen. Aber gleichzeitig können wir kein Parkplatz sein.

STANDARD: Die Flüchtlinge kommen über Griechenland und Bulgarien nach Serbien, eigentlich wären ja diese beiden Staaten zuständig für die Flüchtlinge.

Vučić: Das ist eine Frage für die EU. Und Sie wissen ja, welches Land nicht in der Lage ist, seine eigenen Grenzen zu schützen. Und das ist nicht Serbien.

STANDARD: Haben Sie Sorge, dass der Türkei-Deal platzen könnte und wieder mehr Leute kommen?

Vučić: Ich befürchte das wirklich sehr.

STANDARD: Lassen Sie mich zu Bosnien-Herzegowina kommen. Der Präsident der Republika Srpska (RS), Milorad Dodik, hat gesagt, dass es diese "wundervolle" Idee gebe, dass sich die RS von Bosnien trennt und eine Einheit mit Serbien bildet. Was tun Sie, wenn Dodik wirklich ein Unabhängigkeitsreferendum abhält?

Vučić: Wissen Sie, was ein wenig unfair ist? Sie sehen immer, was Dodik sagt, aber Sie sehen nicht, was die anderen Leute tun. Manche Leute haben ein Verfahren gegen Serbien angestrengt, und das war viel wichtiger als Dodiks Stellungnahmen. (Vertreter der Bosniaken haben gegen Urteile des Internationalen Gerichtshofs Berufung eingelegt, diese wurde mittlerweile zurückgewiesen, Anm.) Aber wie auch immer: Serbien unterstützt ganz und gar die Integrität von Bosnien-Herzegowina. Und ich habe das immer gesagt, auch in Anwesenheit von Milorad Dodik. Und ich ändere meine Haltung nicht, ob ich jetzt mit Ihnen spreche oder mit Präsident Dodik oder mit Herrn Izetbegović. Gleichzeitig respektieren wir die Entität Republika Srpska innerhalb von Bosnien-Herzegowina in Übereinstimmung mit dem Daytoner Friedensabkommen. Das sage ich in Sarajevo, Banja Luka, Washington und Moskau.

STANDARD: Albanien wurde jetzt dafür kritisiert, dass es sich in Mazedonien eingemischt hat.

Vučić: Die haben sich selbst eingemischt, und das tue ich nicht.

STANDARD: Aber Sie werden von europäischen Diplomaten darum gebeten, sich einzumischen ...

Vučić: ... und ich will das nicht. Wir müssen uns in die anderen Nationen hineinversetzen, und das tue ich.

STANDARD: Wäre es besser, wenn sich die Nachbarn gar nicht mehr bei den Nachbarn hier auf dem Balkan einmischen würden?

Vučić: Sie haben vollkommen recht! Und wir wollen das auch nicht tun! Die Grundlagen meiner Politik sind Stabilität, Ruhe und Frieden. Aber unser größtes Problem ist, diese Stabilität beizubehalten.

STANDARD: Sie werden wahrscheinlich Präsident von Serbien. Wird es Initiativen mit der kroatischen Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović zu einer Zusammenarbeit geben? Das Verhältnis zu Kroatien ist sehr angespannt.

Vučić: Die sind immer in Belgrad willkommen, und wir sind bereit, über verschiedene Dinge zu sprechen. Das ist keine einfache Sache. Die haben eine ganze Zeitlang gegen die Serben kampagnisiert. Aber wir müssen näher aneinander herankommen. Dazu gibt es keine Alternative.

STANDARD: Gibt es auch Hoffnung, dass das passieren wird?

Vučić: Ich glaube, dass Präsidentin Grabar-Kitarović eine vernünftige Person ist – obwohl ich nicht sage, dass wir dieselben Ansichten teilen. Und ich hoffe, dass wir Gelegenheit bekommen, bessere Beziehungen in der Zukunft aufzubauen. (Adelheid Wölfl,