Vor allem die sowjetischen Monumente wie der Ruhmeshügel faszinieren Besucher von Minsk. Sie scheinen wie durch eine Zeitmaschine ins 21. Jahrhundert gekommen zu sein.

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Belarus? Jetzt hat man die Chance herauszufinden, was sich hinter dem obskuren Landesnamen noch verbirgt außer einem Präsidenten mit Namen Aleksandr Lukaschenko, der bekanntlich kein großer Fan von Demokratie und Menschenrechten ist. Seit Februar 2017 braucht man für eine Reise in das osteuropäische Land, das weitgehend unerkannt zwischen Polen und Russland liegt, kein Visum mehr. Allerdings ist die neue Reisefreiheit, die Bürger von 80 Ländern für Weißrussland in Anspruch nehmen können, an ein paar Bedingungen geknüpft. Wie soll es auch anders sein in einem politischen System, das seit langem unter der Marke "Die letzte Diktatur Europas" firmiert.

Wer nicht länger als fünf Tage bleiben will, dem bietet die neue Regelung die Möglichkeit, einen Blick auf die unbekannteste Hauptstadt Europas zu werfen: auf Minsk samt Umgebung. Unser Autor, der Belarus seit 20 Jahren bereist, hat das perfekte Programm für ein verlängertes Wochenende zusammengestellt.

1. Tag

Das futuristische Gebäude der Nationalbibliothek.
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Wie ein Raumschiff liegt das Hauptgebäude des Minsker Flughafens, umgeben von Wäldern und Feldern, 40 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Die breite Straße begrüßt mit Werbeplakaten für Casinos, Wurstwaren oder Monster-Lastern. In den Randbezirken von Minsk: Wohnhaus-Türme, Baukräne.

Bei der Einfahrt in die Stadt über den Prospekt (Avenue) der Unabhängigkeit, der die Stadt in einer Ost-West-Ausrichtung zerteilt, fällt der Blick auf ein architektonisch gewagtes Gebäude in Form eines Rhombenkuboktaeder: die Nationalbibliothek. Sie hat eine Glasfassade, die nachts in den Farben der rot-grünen Nationalflagge beleuchtet wird.

Kühle Filmkulisse

In der Stadt, die rund zwei Millionen Einwohner hat, fallen die vielen pompösen Gebäude im Stile des sowjetischen Klassizismus auf. Im kühlen Licht der Fassadenstrahler wirken sie wie eine Filmkulisse. Bestimmt überrascht der nächste Eindruck: Es gibt auffallend viele Cafés, Restaurants und Einkaufszentren. Ein "europäisches Nordkorea" ist dieses Belarus also gewiss nicht.

Ein abendlicher Spaziergang am Fluss Swislatsch durch das Viertel Traezkaje Pradmesze mit seinen restaurierten kleinen Häusern und engen Gassen ruft in Erinnerung, dass Minsk als sehr alte Stadt mehr zu bieten hat als das sowjetische Erbe.

2. Tag

Entlang des Flusses Swislatsch ist Minsk überraschend grün.
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Zum Frühstück im Hotel Belarus, das sich mit seinen 22 Stockwerken wie ein Monument über dem Zentrum erhebt, gibt es Bliny, Würstchen und russischen Schlager-Pop.

Artur Klinau beginnt seine literarische Tour "Minsk – Sonnenstadt der Träume" am Hauptbahnhof. Der Künstler und Schriftsteller erzählt während eines Spaziergangs entlang des Prospektes in Richtung Oktoberplatz, auf dem sich der riesige Palast der Republik wie ein Mausoleum erhebt, dass die Kommunisten nach der Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg Minsk als architektonisches Symbol für eine Utopie von Gleichheit und Glück errichtet hätten.

Grün im Gorkij-Park

Durch den grünen Gorkij-Park geht es zum Platz des Sieges, in dessen Mitte ein 43 Meter hoher Obelisk zur Erinnerung an den Sieg der Roten Armee im "Großen Vaterländischen Krieg" in den Himmel ragt.

Die nahe gelegene Galerie "Y", Treffpunkt vieler Hipster, Freaks und Künstler, bietet mit ihren Ausstellungen für zeitgenössische Kunst des Landes ein spannendes Kontrastprogramm. Ein Besuch im angeschlossenen Design-Shop lohnt, wenn man einige originelle Souvenirs erstehen will. Der Tag endet wahlweise im gemütlich-urigen Restaurant Graj in der Oberen Stadt, die in den vergangenen Jahre rekonstruiert wurde, bei weißrussischen Kartoffelpuffern und ein paar Kren- oder Honig-Schnäpsen – oder mit einem Konzert einer lokalen Band im sympathischen Underground-Club Graffiti.

3. Tag

Über das Regierungsgebäude wacht noch immer Lenin.
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Die Minsker Metro-Stationen sind zwar nicht so pompös wie jene in Moskau, dennoch gehört eine Fahrt mit der schnellen Untergrundbahn, die 1984 eröffnet wurde, zum Pflichtprogramm. Am Platz der Unabhängigkeit, wo immer noch eine Lenin-Statue vom Sockel grüßt und wo Ende 2010 die letzten großen Proteste gegen Lukaschenko stattfanden, führt ein Spaziergang vom weißen Parlamentsgebäude, das im Stil des Konstruktivismus errichtet wurde, hinüber zur neo-romanischen, römisch-katholischen Backsteinkirche des Heiligen Simon und der Heiligen Helena, die einfach nur die Rote Kirche genannt wird.

Die Rote Kirche in Minsk wurde bis 1910 errichtet.
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Anschließend geht es mit dem Taxi in Richtung Westen zum schön gelegenen Dorf Strotchitsy. Dort befindet sich das ethnographische Museum, auf dessen Gelände Holzkirchen, Stadel, Dorfhäuser und Höfe aus verschiedenen Zeiten und Regionen des Landes zusammengetragen wurden. Das Museum gibt einen spannenden Einblick in die traditionell bäuerlich geprägte Lebensweise der Belarussen.

Ein Bliny als Löffel

In der örtlichen Kartschma (Gasthaus) stillt man seinen Hunger mit Schmalzbroten und einem würzigen Pilz-Fleischgericht, das mit Bliny gelöffelt wird. Zum Abschluss gibt es traditionell einen scharfen Schnaps (Harelka). Der Abend steht an.

In der Minsker Oktober-Straße, wo sich eine der bekanntesten Spirituosen-Fabriken des Landes und andere alte Industrie-Gebäuden befinden, haben junge Hipster und Digital Natives eine neue Zufluchtsstätte gefunden. Es gibt Cafés, Ausstellungs- und Veranstaltungsräume und die Bar Chuligan, wo sich diejenigen tummeln, die dem neo-sowjetischen Einerlei und dem repressiven Arm des Regimes mit dem Willen zur Kreativität und Träumerei entfliehen wollen.

4. Tag

Das Schloss Mir verfügt über einen einzigartigen Stilmix.
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Ein weiterer Ausflug in die belarussische Provinz steht an. Ziel ist Mir, eine kleine Gemeinde rund 100 Kilometer südwestlich der Hauptstadt gelegen, die in der Zwischenkriegszeit zur Zweiten Polnischen Republik gehörte. Damals stellten Juden die Mehrheit der Bevölkerung, wie in vielen belarussischen Städten und Gemeinden. Zudem lebten Belarussen, Polen oder Tataren dort.

Heute atmet der Ort den Geist der belarussischen Provinz. Nur das Schloss von Mir erinnert noch daran, dass sich an diesem vergessenen Flecken Erde etwas von Bedeutung zutrug. Die historische Anlage mit ihren prägnanten Türmen wurde an der Wende zum 16. Jahrhundert errichtet und in den Jahrhunderten danach mehrmals aus- und umgebaut. Ende des 16. Jahrhunderts übernahmen die Magnaten der Radziwiłłs, einer einflussreichen belarussischen Adelsfamilie im litauisch-polnischen Königreich, das Schloss.

Welterbetauglicher Mix

Die Mischung aus Gotik, Barock und Renaissance ist einzigartig, weswegen die Unesco das riesige Bauwerk auf die Liste der Weltkulturdenkmäler gesetzt hat. In den vergangenen 15 Jahren wurde der Komplex aufwändig restauriert. Beim Einmarsch Napoleons war er schwer zerstört worden. Und während der Nazi-Okkupation nutzten die Deutschen das Gelände als Ghetto für die jüdische Bevölkerung.

Ein Besuch des Schloss-Museums ist lohnend, auch wenn die wenigsten der ausgestellten Stücke tatsächlich historisch sind oder den Herren von Mir gehörten. Immerhin fungiert es auch als Teil des Nationalen Kunstmuseums der Republik Belarus.

Zurück in Minsk beendet ein Spaziergang in der Karl-Marx-Straße den letzten Abend. Im Frühling und Sommer finden hier häufig Straßenkonzerte statt. Ein besonderes Gebäude ist die Hausnummer 30, das um das Jahr 1905 gebaut wurde und wundersamerweise alle Kriege überlebt hat. Es ist ein besonders schönes und ein seltenes Beispiel für moderne Architektur in Belarus.

5. Tag

Schnell noch ein paar Souvenirs wie eine Flasche des Bitterlikörs Balsam und ein paar Leinen-Handtücher mit bestickten Ornamenten besorgt, dann geht es in Richtung Flughafen – mit widersprüchlichen, überraschenden Eindrücken und vielen Fragen, die durch den Kopf irrlichtern. Das schönste Souvenir, das man von einer Reise nach Minsk mit nach Hause bringen kann. (Ingo Petz, 26.3.2017)