Robert Tibbo (re.) mit einer der Familien aus Sri Lanka, bei denen sich der Whistleblower Edward Snowden 2013 in Hongkong versteckt hatte. Den Asylwerbern droht nun die Abschiebung.

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Innsbruck – Vanessa blickt sorgenvoll in die Webcam und bemüht sich, ein Lächeln aufzusetzen. Es ist jetzt zwei Uhr nachts in Hongkong, Vanessa ist sichtlich müde. Wie es ihr gehe, fragt Robert Tibbo via Skype-Call. "Nicht gut, mein Anwalt ist nicht hier, und die Behörde hat mich zum Abschiebungshearing vorgeladen", antwortet Vanessa, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung stehen haben will. Sie hat Angst und kämpft mit den Tränen. Ihr Anwalt ist Tibbo, doch der sitzt tausende Kilometer entfernt in der Aula des Management Center Innsbruck, wo er derzeit als Gastprofessor unterrichtet.

Weltweit bekannt wurde der kanadische Menschenrechtsexperte 2013, als er half, Edward Snowden in Hongkong zu verstecken und ihm die Flucht nach Moskau zu ermöglichen. Snowden bleibt sein prominentester Klient, doch aktuell sorgt er sich um jene drei Familien, die damals halfen, den Whistleblower zu verstecken. Denn Hongkong will diese nun mit allen Mitteln loswerden.

Im Juni 2013 haben Vanessa, eine junge Philippinerin, die mit ihrer fünfjährigen Tochter zusammenlebt, und weitere zwei aus Sri Lanka stammende Familien, die allesamt als Asylwerber in Hongkong ihr Dasein unter schwierigen Bedingungen fristen, dem meistgesuchten Mann der Welt Asyl gewährt. Ausgerechnet jene, die selbst fast nichts haben, weder materiell noch rechtlich, beschützten den US-Staatsfeind Nummer eins.

Nicht gewusst, wer das ist

Es war Tibbo, der die Idee hatte, Snowden in einem der ärmsten und am dichtesten besiedelten Stadtteile Hongkongs inmitten von Asylwerbern untertauchen zu lassen. "Sie haben zuerst nicht gewusst, wer das ist, den ich ihnen da bringe. Aber sie haben sofort erkannt, dass er Schutz braucht. Also haben sie ihn wie einen der ihren behandelt und versteckt", erzählt Tibbo.

Der kanadische Menschenrechtsanwalt engagiert sich seit 2010 pro bono für die Rechte von Asylwerbern in Hongkong. Denn ihre Lage ist verzweifelt. Die Anerkennungsrate liegt bei praktisch null Prozent. "Seit 1992 haben mehr als 30.000 Menschen in Hongkong um Asyl angesucht, bis heute haben nur 73 einen positiven Bescheid erhalten", sagt Tibbo. Von aktuell 11.000 Asylwerbern in der Millionenstadt wurde 2017 bisher ein einziger, ein Syrer, anerkannt. Dank seines Einsatzes für die Asylwerber vertrauen die Menschen Tibbo. Auch als er sie bat, Snowden aufzunehmen, zögerten sie keine Sekunde.

Ärger über Vorgehen der Behörden

Umso größer ist Tibbos Ärger angesichts des Vorgehens der Hongkonger Behörden: "Es ist kein Zufall, dass die drei Hearings so plötzlich und genau für jene Tage anberaumt wurden, an denen ich hier in Österreich bin." Zwar hat er Kollegen, die ihn in dieser Zeit vertreten, doch auch er sorgt sich um die Sicherheit seiner Klienten: "Erst im vergangenen November ließ Hongkong Polizisten aus Sri Lanka einreisen, um nach den beiden von dort stammenden Familien zu suchen, die Snowden versteckt hatten."

Das sei klar rechtswidrig, weshalb Tibbo nun zusammen mit drei kanadischen Kollegen in seiner Heimat um Asyl für Snowdens Fluchthelfer ansucht. Das ist in Kanada rechtlich möglich, auch wenn man sich nicht im Land befindet. Tibbo macht geltend, dass die Sicherheit der Familien sowohl von den Behörden in Hongkong als auch von jenen aus Sri Lanka bedroht würde.

In Kanada versucht man indes mittels öffentlicher Kampagne Stimmung für ihre Anerkennung als Flüchtlinge zu machen. Noch hat die Regierung nicht reagiert.

Auch Snowden steht weiterhin in regelmäßigem Kontakt zu seinen Fluchthelfern. Er mache sich große Sorgen um ihre Sicherheit, so Tibbo. Während Snowdens Visum für Russland eben bis 2020 verlängert wurde, muss Vanessa Montag mit ihrer Tochter vor den Behörden erscheinen. (Steffen Arora, 27.3.2017)