Die Dokustelle dokumentiert unter anderem Wandbeschmierungen mit islamfeindlichem Hintergrund.

Foto: Dokustelle

Wien – "Muslime sprengen sich in die Luft", "Kopftuch, alle gleich", "Bombe, du gleich in die Luft": Mit diesen Worten wurde in der U2 zwischen den Stationen Schottentor und Volkstheater eine Frau verbal angegriffen, schildert die Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und Antimuslimischer Rassismus in ihrem Bericht für 2016, der am Montag präsentiert wurde. Als die Betroffene der Aufforderung, sich wegzusetzen, nicht folgte, wurde sie laut Report von der Angreiferin geschlagen, ihr Kind begann zu weinen. Als sie geschlagen wurde, schritten andere Menschen endlich ein.

Diesen Vorfall hat die Dokustelle als "Hassverbrechen an Personen" registriert. Es ist einer von insgesamt 253 islamfeindlichen oder antimuslimisch-rassistischen Fällen, die den ehrenamtlichen Mitarbeitern der Stelle im Vorjahr in Österreich zugetragen wurden beziehungsweise von denen sie über Medien erfuhren.

Die Dokumentations- und Beratungsstelle wurde als Projekt der Initiative Muslimischer Österreicherinnen und Österreicher (IMÖ), ein Fachverein der Islamischen Glaubensgemeinschaft IGGiÖ, 2014 gegründet. Im Jahr 2015 hatte man dort noch 156 Fälle gezählt. Die Zunahme wird einerseits auf den stärkeren Fokus auf Internetphänomene sowie die größere Bekanntheit der Dokustelle zurückgeführt, aber auch auf "Zunahmen in der Vorwahlzeit", wie Elif Öztürk, Sprecherin der Dokustelle, am Montag bei der Präsentation des Berichts sagte. "Wir könnten daraus den Schluss ziehen, dass es die angeheizte Stimmung in der Gesamtgesellschaft ist", sagte Öztürk.

Beschimpfungen und Vandalenakte

Zu den Vorfällen, die festgehalten wurden, gehört etwa der eines Mannes in der U-Bahn, der eine Lehrerin anschrie, weil ein paar ihrer Schülerinnen Kopftücher trugen. Oder der zweier mit Hijab bekleideter Frauen, die auf dem Gehsteig zu hören bekamen: "Sie gehören angezündet." Oder der Fall einer Frau, die sich im Sommer vorab erkundigte, ob sie in einem Freibad mit Burkini schwimmen gehen dürfe, und die Auskunft erhielt, dass das gehe, aber dann nach fünf Minuten Schwimmen des Bades verwiesen wurde. Oder die Fälle, dass Schweineköpfe vor eine Grazer Moschee gehängt oder der Eingang einer Boutique in Wien mit roter Farbe und dem Schriftzug "Scheiß Islam" beschmiert wurde.

Auch die Dokustelle selbst erhielt Schreiben mit wüsten Beschimpfungen gegen Frauen muslimischen Glaubens und deren Kinder. Zudem wurde folgendes Ereignis geschildert: Eine Schülerin sei eines Tages mit Kopftuch in der Schule erschienen und von ihrer Lehrerin mehrfach darauf angesprochen worden: Sie sei "zwangsverschleiert", und man merke eine "starke Veränderung". Auch nach persönlichen Gesprächen – unter anderem auch mit den Eltern – lenkte die Pädagogin nicht ein und meldete ihren Radikalisierungsverdacht dem Verfassungsschutz. Dieser sah ihn aber nicht bestätigt.

Die meisten Fälle zu Wahlkampfzeiten

Die Dokustelle erfasste 2016 im Monatsvergleich mit Abstand die meisten Fälle im September, gefolgt vom Mai – also in den Wochen vor den zwei Stichwahlterminen zur Bundespräsidentschaftswahl. Im September wurden "medial und politisch Debatten über das Kopftuch und den Burkini geführt", hält die Dokustelle in dem Jahresbericht fest. Drei der insgesamt acht Hassverbrechen wurden im September registriert.

Den größten Anteil der Vorfälle machten verbale Angriffe (79 Vorfälle beziehungsweise 31 Prozent) aus sowie Hassreden (30 Prozent). 31-mal nahm man Islamfeindlichkeit gegen Institutionen wahr, dazu 17 Beschmierungen und elf Diskriminierungsvorfälle. Das meiste ereignete sich im (halb)öffentlichen Raum, am Arbeitsplatz und in der Schule werde vieles aus Angst nicht aufgezeigt, sagte Öztürk.

Besonders häufig gegen Frauen

In 98 Prozent der gegen Personen gerichteten Angriffe seien Frauen betroffen. " Männer melden sich weniger", sagt Ümmü Selime Türe von der Dokustelle. Öztürk meint, dass das auch damit zu tun habe, dass Hassverbrechen Vorurteilsverbrechen seien – "gegen etwas, das man nicht haben möchte." Sichtbarkeit spiele da eine große Rolle, und das treffe "die Frau mit Kopftuch" besonders. Öztürk beobachtet zudem ein "starkes Verwobensein von Sexismus und Islamfeindlichkeit". Wenn muslimische Frauen sichtbar seien, etwa aufgrund eines Kopftuchs, seien sie stärker betroffen.

Auch Flüchtlingsfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus stünden oft miteinander in Verbindung. Bestimmte Narrative über "die Muslime" hätten sich verfestigt, etwa dass sie "integrationsunwillig" und die Männer gewaltbereit und frauenfeindlich seien.

Auch der Anti-Rassismus-Verein Zara hat in seinem Jahresreport 2016 festgestellt, dass rassistische Vorfälle im Internet zunähmen; Hass und Hetze würden sich vor allem gegen Muslime und Flüchtlinge richten.

Gegen den Begriff Islamophobie

Die Dokustelle empfiehlt, das Wort Islamfeindlichkeit statt Islamophobie zu benutzen, da Letzteres von einer Angst ausgehe und fälschlicherweise eine passive Haltung ausdrücke. Hassverbrechen mit islamfeindlichen Motiven sollten in der Öffentlichkeit stärker thematisiert werden, es brauche eine Sensibilisierung der Gesellschaft, etwa auch von Bediensteten in öffentlichen Verkehrsmitteln sowie in Schulen. Bei Nationalratsreden "und allgemein in der Öffentlichkeit wünschen wir uns, dass Hassreden weniger akzeptiert werden und stärker ermittelt und angegangen werden, da sie die Stimmung stark anheizen", sagte Öztürk.

Die Dokustelle arbeitet ehrenamtlich und finanziert sich mit Spenden, Kleinförderungen und Mitgliedsbeiträgen. Sie dokumentiert die Fälle im Internet unter dokustelle.at. "Wir hoffen, dass wir nächstes Mal mehr Fälle präsentieren können, in denen Zivilcourage gezeigt wurde", sagte Öztürk am Montag bei der Berichtspräsentation. Bei verbalen Angriffen sei zu 30 Prozent Hilfe geleistet worden, bei physischen Angriffen zu 50 Prozent. "Wenn Zivilcourage gezeigt wird, sind solche Vorfälle für die Betroffenen ganz anders zu verarbeiten", sagte Öztürk. (Gudrun Springer, 27.3.2017)