Wieder einmal gilt Italien als "kranker Mann Europas". Ausschlaggebend für das gegenwärtige Schlamassel an Italiens Wirtschaftsfront sind nicht die Banken- oder Finanzkrise, sondern die seit Jahren anhaltende Wachstumskrise. Zehn Prozent hat das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den letzten Jahren an Wert verloren. Das hat sich nicht nur auf das Kreditsystem, mit der Explosion von notleidenden Krediten auf 350 Milliarden Euro ausgewirkt.

Die Wachstumsverlangsamung ist auch Grund für die Krise an der Beschäftigungsfront (elf Prozent) und für den verzögerten Schuldenabbau. Auch der Abbau des Haushaltsdefizits genügt nicht den Anforderungen der EU. Rom muss im April einen Sparplan im Ausmaß von 3,4 Milliarden Euro präsentieren, um für 2017 das ursprünglich mit Brüssel vereinbarte Etat-Defizit von 2,2 Prozent des BIPs zu erreichen. Erklärungen, dass der Schaden für die erdbebengeschädigten Gebiete beziehungsweise für die Flüchtlingshilfe Italiens Bilanz zusätzlich belastet, werden kaum mehr akzeptiert werden. Denn Rom wurde in den letzten Jahren von Brüssel eine Flexibilität von 16 Milliarden Euro zugestanden.

Hohe Verschuldung

"Die EU zeigte sich mit der Flexibilität gegenüber Italien sehr, vielleicht zu großzügig", kommentierte das einstige EZB-Direktoriumsmitglied und gegenwärtiger Präsident der französischen Société Générale, Lorenzo Bini Smaghi. Von Austerität sei in Italien seit Jahren keine Rede mehr, kommentierte der Nationalökonom auch die beliebte Ausrede italienischer Politiker, dass die Austeritätspolitik weiterhin auf Kosten des Wachstums gehe. Mit einer Gesamtverschuldung von 133 Prozent des BIPs zählt Italien nach Griechenland zu den höchst verschuldeten Staaten im Euroraum. Ein Schuldenabbau ist nur durch Ausgabenschnitte, weitere Privatisierungen und mehr Wachstum möglich. Die Gefahr ist akut, dass die Verschuldung bei einer möglichen Zinserhöhung zunehmen könnte.

Die Gründe für die Wachstumskrise sind mehrere: Geringe Wettbewerbsfähigkeit der Industrieunternehmen, leistungsschwache Infrastrukturen, übermäßige Bürokratie in der öffentlichen Verwaltung und die weitverbreitete Korruption belasten das Wachstum. Die politische Verunsicherung bremst zusätzlich in- und ausländische Investitionen. Auch besteht ein Großteil der italienischen Industrieunternehmen aus klein- und mittelständischen Betrieben, die oft den modernen Anforderungen wie der Digitalisierung nicht gewachsen sind.

Bei Italiens Banken herrsche keine System-, sondern eine Governance-Krise. Der ehemalige Chef der Bank-Austria-Mutter Unicredit, Alessandro Profumo, sagte diesbezüglich zum STANDARD: Die Aufsichtsbehörden haben die Wachstumskrise nicht rechtzeitig erkannt und bei der Governance versagt. "Mich wundert es", so Profumo weiter, "dass es trotz der Rezession der vergangenen Jahre noch zahlreiche gutgehende Banken gibt."

Hilfe für Banken

Beispiel für die mangelnde Governance Kontrolle sind die beiden Volksbanken aus Venetien (Popolare di Vicenza, Veneto Banca): Dort hatte ein korruptes Management die Pleite verursacht. Die Regierung hat nun einen Hilfsfonds von 20 Milliarden Euro geschaffen, wovon acht Milliarden für die weltweit älteste Bank, Monte dei Paschi di Siena, reserviert sind. Die beiden Volksbanken aus Venetien, mit einem Verlust von einer Milliarde Euro und neun Milliarden Euro Problemkredite haben Staatshilfe beantragt. Ob diese mit den EU-Regeln vereinbar ist, wird derzeit überprüft. (Thesy Kness-Bastaroli aus Mailand, 28.3.2017)