Wien – Natürlich eignen sich Reportagen über Prozesse wie jenen gegen Manfred K., Walter V. und Franz V. auch für anklagende Studien gegen "das System", gegen "Klassenjustiz" und die Überheblichkeit der Mittelschicht gegenüber sozial Benachteiligten. Man kann aber auch einfach schildern, was sich im Saal so abspielt, und die Menschen eigene Schlüsse ziehen lassen.

Am zweiten Verhandlungstag um eine handgreifliche Auseinandersetzung im Lokal Schlingerl in Wien-Floridsdorf spielt es sich jedenfalls zunächst einmal mit Verspätung ab. Der Zweitangeklagte ist um 9 Uhr nicht da. "Ich habe am Freitag mit ihm gesprochen. Er hat gesagt, er wird sich verspäten, da er um 8 Uhr seine Substitutionsmedikamente aus der Apotheke holen muss", verrät der Drittangeklagte der Richterin Olivia-Nina Frigo.

Verspäteter Angeklagter

Die versucht Walter V. erfolglos auf seinen drei Handynummern zu erreichen. Sie spielt mit dem Gedanken zu vertagen, als der Zweitangeklagte um 9.11 Uhr keuchend eintrifft. "Entschuldigung, ich habe die Straßenbahn verpasst und mich dann im Stockwerk geirrt", gibt er sich zerknirscht.

Zur Erinnerung: Alle drei Angeklagten, 40 bis 51 Jahre alt, haben sich am ersten Prozesstag für nicht schuldig erklärt. Jeder will am Abend des 19. Septembers in Notwehr gehandelt haben. Fest steht nur, dass Manfred K. am Ende ein Cut auf der Stirn und Walter V. einen blutenden Mundwinkel hatte.

Bei der Wahrheitsfindung sollen der Richterin nun also Zeugen helfen. Der erste ist der Geschäftsführer des Lokals. Er erinnert sich, dass es am Tattag bereits um 13.30 Uhr eine Auseinandersetzung zwischen Erst- und Drittangeklagtem gegeben hat. "Der Franz hat laut geredet, der Manfred hat sich eingebildet, dass das seinen Hund erschreckt", erinnert sich der Zeuge.

Gastronom intervenierte

Am Abend sei er dann aufmerksam geworden, dass Erst- und Drittangeklagter vor dem Schlingerl wieder einen Streit hatten. Zunächst verbal. "Ich habe nur mitbekommen, wie es zur Sache gegangen ist." Franz habe Walter zu Hilfe gerufen, irgendwann habe er, der Zeuge, interveniert und sei hinausgelaufen. "I hob eam an Deuter gebm", schildert er, wie er den Drittangeklagten wegstieß. "Sads jetz scho gaunz deppad? Gebts a Ruah!" habe er noch zur Mäßigung aufgefordert.

Es seien auch Passanten vor Ort gewesen. "Es ist ja ein Markt. Da gehen auch normale Leute vorbei!", betont er. "Das war um 19 Uhr. Ich kenne den, da sind keine Standln mehr offen", wirft Frigo ein. Und wird belehrt: "Dass Sie sich da nicht täuschen tun! Wir nehmen es da nicht so genau."

Die Richterin interessiert auch, ob es öfters alkoholinduzierte Probleme gebe. "Die zwitschern halt ihre Bier und Gspritze. Wenn was getrunken wird, gibt es öfter Meinungsverschiedenheiten. Dann muss man die Burschen ein bissl dämpfen", schildert der Zeuge seinen Alltag.

Zielgerichteter Dialog

Anschließend kommt ein Gast, der schon bei der Auseinandersetzung am Nachmittag dabeigewesen ist. Der Dialog zwischen Erst- und Drittangeklagtem sei sehr zielorientiert gewesen, erinnert er sich. K. habe begonnen: "Kennts ned endlich die Goschn hoidn?" – "Gib a Ruah, und sauf aus!" – "I hau da in die Goschn!".

Unnötige Bewegung vermied dieser Zeuge, er blieb bis zum Abend im Lokal. Die Vorgänge will er nur am Rande registriert haben. "Hob i ned mitkriagt, hod mi ned intressiert, soin si in die Goschn haun", fasst er seinen Standpunkt zusammen. Unverständlich ist ihm allerdings, warum der Erstangeklagte die Exekutive alarmiert hat. "So was mocht ma si unta uns aus, do braucht ma ka Polizei für den Schas."

Die Richterin ist am Ende davon überzeugt, dass es bei Erst- und Zweitangeklagtem keine Notwehr gewesen ist. Den unbescholtenen K. verurteilt sie bei einer Strafandrohung bis zu einem Jahr zu zwei Monaten bedingt.

Zwei Verurteilungen, ein Freispruch

Härter trifft es Walter V.: Der hat bereits zehn Vorstrafen, außerdem wird er noch wegen einiger anderer Delikte verurteilt, dafür drohen ihm bis zu drei Jahre Haft. Frigo entscheidet sich für ein Jahr, vier Monate davon unbedingt. Dazu kommt der Widerruf einer offenen Vorstrafe von vier Monaten. Franz V. wird dagegen freigesprochen, keines der Urteile ist rechtskräftig. (Michael Möseneder, Žarko Janković, 28.3.2017)