Erstmals wurden die Lesekompetenzen der Schüler und Schülerinnen in der Unterstufe getestet.

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Wien – 17 Prozent der Jugendlichen in Österreich haben nach acht Jahren Schule Probleme beim Lesen einfacher Texte. Besonders schlecht schneiden Schüler der NMS und Hauptschulen, mit niedrig gebildeten Eltern und mit Migrationshintergrund ab. Das zeigen die am Dienstag präsentierten Ergebnisse der Bildungsstandardtestungen unter den 73.000 Schülern der achten Schulstufe.

Leicht verbessert

Im wichtigsten Testbereich Lesen haben die getesteten Schüler der Unterstufe diesmal 537 Punkte erreicht. Der Ausgangswert bei der Basistestung im Jahr 2009 war mit 500 Punkten festgelegt worden, die Leistungen haben sich seither also verbessert. Die Steigerung entspricht laut Bifie-Chefin Claudia Schreiner etwa einem Lernjahr, wobei allerdings die Schüler bisher bei allen Standardüberprüfungen besser abgeschnitten haben als bei der Ausgangstestung. Schreiner vermutet als Hintergrund die höhere Verbindlichkeit, indem erstmals Lernziele festgelegt und dann deren Erreichung auch systematisch überprüft wurde.

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Insgesamt hat die Hälfte der Schüler 2016 beim Lesen die Bildungsstandards erreicht, weitere sieben Prozent schneiden sogar exzellent ab. Allerdings erreicht jeder Sechste das erforderliche Niveau nicht, diese insgesamt 12.700 Jugendlichen haben Mühe mit den einfachsten Leseaufgaben und sind dadurch laut Bifie in ihrer weiteren persönlichen und schulischen Entwicklung "ernsthaft gefährdet". Weitere 28 Prozent erreichen die Standards nur teilweise, sie verstehen also kurze, inhaltlich, strukturell und sprachlich nicht komplexe Texte.

Eltern haben großen Einfluss

Den stärksten Einfluss auf die Leistungen hat der Bildungsabschluss der Eltern: Kinder, deren Eltern maximal die Pflichtschule abgeschlossen haben, erreichen beim Lesen im Schnitt 113 Punkte weniger als Akademikerkinder. Das sind Unterschiede von bis zu drei Lernjahren. Während unter Akademikerkindern nur neun Prozent die Bildungsstandards nicht erreichen, sind es unter Jugendlichen mit gering gebildeten Eltern 38 Prozent.

Die Bildung der Eltern hat damit auch mehr Einfluss als Migrationsstatus und Erstsprache. Jugendliche mit Migrationshintergrund – diese machen ein Fünftel der getesteten Schüler aus – liegen beim Lesen aber noch immer 75 Punkte zurück, der Anteil der Risikoleser ist hier dreimal so hoch wie unter Jugendlichen ohne Migrationshintergrund: 35 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund erreichen nicht die Bildungsstandards im Lesen, unter Kindern Einheimischer sind es zwölf Prozent. In absoluten Zahlen sind damit aber immer noch deutlich mehr Jugendliche ohne Migrationshintergrund Risikoleser (7.300 vs. 5.400 mit Migrationshintergrund). Leseförderung, die nur auf Schüler mit ausländischen Wurzeln abzielt, würde deshalb laut Schreiner auch "zu kurz greifen". Dazu kommt, dass ein Drittel der Leistungsunterschiede sich durch soziale Unterschiede erklären lassen, also nicht direkt mit der Herkunft der Schüler zusammenhängt.

Unterschiede je nach Schultyp

Extrem fallen auch die Unterschiede nach Schultypen aus: Schüler mit schwacher Leseleistungen sitzen fast ausschließlich in den Hauptschulen und NMS, fast ein Viertel erreicht dort nicht die Bildungsstandards. An den AHS sind es gerade einmal zwei Prozent. Das entspricht in etwa den Leistungsunterschieden vom Ende der Volksschule: Während jeder Fünfte beim Übergang in NMS oder Hauptschule Leseprobleme hat, sind es unter den AHS-Anwärtern drei Prozent.

Wie bei allen nationalen und internationalen Vergleichsstudien haben die Mädchen beim Lesen die Nase vorn: Zwei Drittel von ihnen erreichen oder übertreffen die Bildungsstandards, bei den Burschen sind es 49 Prozent. 21 Prozent der Buben fallen hingegen in die Gruppe der Risikoleser, unter den Mädchen sind es zwölf Prozent.

Insgesamt haben 45 Prozent der Schüler in allen vier bei den Bildungsstandards getesteten Bereichen (Lesen, Schreiben, Sprachbewusstsein, Zuhören) die Bildungsstandards erreicht oder übertroffen, zwei Dritteln gelingt das in drei Bereichen. Allerdings erreicht ein Viertel der Schüler die Standards nicht oder nur teilweise, hat also in mehreren Teilbereichen Probleme.

Beim Schreiben haben die meisten Schüler Probleme beim Ausdruck (Wortschatz, abwechslungsreiche Satzgestaltung etc.), nur 54 Prozent erreichen oder übertreffen hier die Lernziele. In den Kategorien Sprachbewusstsein, Zuhören und Sprechen werden die Standards jeweils von mehr als drei Viertel der Getesteten übertroffen. Interessant: Nur ein Prozent erreicht beim Sprechen die geforderten Kompetenzen nicht, kann also nicht altersadäquat und situationsangemessen in der Standardsprache sprechen. Für Schreiner ist das ein Indiz, dass die Sprachförderungsmaßnahmen "im Bereich der mündlichen Kommunikation bereits Wirkung zeigen".

Die Unterschiede nach Bundesländern sind trotz der sehr unterschiedlichen Zusammensetzung der Schüler relativ gering und entsprechen mit maximal 23 Punkten dem Leistungsunterschied von weniger als einem Schuljahr: Im Burgenland, in Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, der Steiermark und Tirol werden die Bildungsstandards von 46 oder 47 Prozent in allen vier Kompetenzbereichen erreicht oder übertroffen. Weniger sind es nur in Kärnten (42 Prozent), Vorarlberg und Wien (je 40 Prozent). Je sieben bis acht Prozent erreichten die Bildungsstandards in allen Bundesländern nicht, nur in Wien haben 15 Prozent in mehreren Deutsch-Bereichen gravierende Mängel.

Wien liegt schlechter

Das verhältnismäßig schwache Abschneiden Wiens liegt laut Schreiner allerdings an der Zusammensetzung der Schüler: Die verschiedenen Subgruppen (zum Beispiel Schüler mit Migrationshintergrund) würden ähnliche Ergebnisse liefern wie in den anderen Bundesländern. Allerdings gebe es in Wien nicht nur deutlich mehr Jugendliche aus Migrantenfamilien als in anderen Bundesländern (44 vs. maximal 17 Prozent), es gebe auch deutlich mehr Jugendliche mit äußerst gering gebildeten Eltern. Das habe dann auch massiven Einfluss auf den Mittelwert bei der Leistung aller Wiener Schüler.

"Extrem groß" (Schreiner) sind die Leistungsschwankungen zwischen den einzelnen Schulen: Über alle Schulen hinweg liegt der Mittelwert beim Lesen beim 537 Punkten. An den schwächsten Standorten wurden beim Lesen im Schnitt allerdings nur 350 Punkte erreicht, dort haben die Schüler im Schnitt also Probleme selbst beim Lösen einfacher Leseaufgaben. An den besten Schulen wurden hingegen 670 Punkte erreicht, hier wurden von einem großen Teil der Schüler die Erwartungen an diese Altersgruppe also zu einem Gutteil sogar übertroffen. Laut Schreiner kann ein gewisser Teil der Schwankungen durch die Rahmenbedingungen (Urbanitätsgrad, soziale Zusammensetzung der Schüler etc.) erklärt werden. Wie der sogenannte "faire Vergleich" zeigt, schnitten allerdings manche Schulen auch deutlich schlechter bzw. besser ab als andere Schulen mit gleichen Rahmenbedingungen. Schreiner berichtet von bis zu 70 Punkten Abweichung, das entspricht etwa zwei Lernjahren. "Das zeigt, dass man mit Unterricht etwas bewirken kann."

Spezialprogramm für "Problemschulen"

Schulen, an denen besonders viele Schüler die Lernziele nicht erreichen, sollen ab Herbst in einem neuen Programm von Schulaufsicht und Experten der Pädagogischen Hochschulen (PH) unterstützt werden. Neben Neuen Mittelschulen (NMS) / Hauptschulen sollen auch Volksschulen betreut werden, so Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) am Dienstag bei der Präsentation der Bildungsstandardergebnisse.

Konkret sieht das Programm vor, dass Schulen, an denen bei den Bildungsstandardtestungen besonders viele leistungsschwache Schüler identifiziert werden, über mehrere Jahre hinweg intensiv begleitet werden. Wie viele Standorte künftig als Fokusschule besondere Betreuung erhalten sollen, konnte Hammerschmid am Dienstag mangels Analyse der Daten noch nicht sagen.

Die Maßnahmen sollen dabei deutlich mehr ins Detail gehen, als das bisher bei den Zielgesprächen der Schulaufsicht mit den Schulen üblich war. Mögliche Ansätze zur Verbesserung wären etwa Änderungen der Didaktik, aber auch Weiterbildungs- oder Personalmaßnahmen wie ein Ausbau der Förderlehrer. Ob die gesetzten Maßnahmen auch greifen, soll in regelmäßigen Abständen überprüft werden. Entwickelt wurde das Konzept auf einer Tagung mit internationalen Experten und Praktikern nach Bekanntgabe der letzten Pisa-Ergebnisse im vergangenen Dezember. Ziel des Programms ist eine deutliche Verringerung der Zahl der Risikoschüler. Finanziert werden soll all das jedenfalls aus dem bestehenden Budget.

Neben dieser kurzfristigen Maßnahme hofft Hammerschmid auch auf mittelfristige Verbesserungen durch den Ausbau der Ganztagsschule. Hier könne die soziale Benachteiligung, die ein wichtiger Faktor für die Leistungen ist, besser ausgeglichen werden als an Halbtagsschulen. Auch der geplante Ausbau der Schulautonomie soll laut der Ministerin zur Verringerung der Risikoschüler führen, indem dort die Lehrer Methodik und Didaktik stärker als bisher an die einzelnen Kinder anpassen können.

Die Neue Mittelschule (NMS) hat sich aus Hammerschmids Sicht übrigens trotz der deutlich schwächeren Ergebnisse als an den AHS bewährt: Dort, wo das pädagogische Konzept der Schulform gut umgesetzt worden sei, würden auch die Ergebnisse der Bildungsstandardüberprüfung passen. An den anderen Standorten müsse man nun nachschärfen. (APA, 28.3.2017)