London/Brüssel – Neun Monate nach dem Brexit-Referendum reicht die britische Premierministerin Theresa May am Mittwoch offiziell die Scheidung von der EU ein. Damit macht sie den Weg frei für die zweijährigen Verhandlungen mit Brüssel. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union wird voraussichtlich im März 2019 enden.

May wird ihre Erklärung im britischen Parlament gegen Mittwochmittag abgeben. Mitte März hatten ihr die Abgeordneten mit der Verabschiedung des Brexit-Gesetzes die Vollmacht dazu erteilt und damit dem Votum der Briten beim Brexit-Referendum Geltung verschafft. Ungefähr zeitgleich wird mit einem Schreiben beim Europäischen Rat gerechnet. Sobald es eingetroffen ist, liegt der Ball in Brüssel.

Drohszenario Steuerparadies

Fraglich ist, ob sich May zu ihren Verhandlungszielen äußern wird. Wird sie frühere Drohungen wiederholen? "Kein Abkommen ist besser als ein schlechtes Abkommen für Großbritannien", hatte May in einer viel beachteten Rede im Jänner gesagt und gedroht, ihr Land in ein Steuerparadies zu verwandeln.

Wird May Position zu den Spekulationen über eine Austrittsrechnung beziehen? Experten gehen von einem Betrag in der Höhe von etwa 60 Milliarden Euro aus, den die EU von Großbritannien verlangen könnte. Dabei geht es um Verpflichtungen, die das Land als Teil der Gemeinschaft mit eingegangen ist, zum Beispiel Pensionsansprüche britischer EU-Beamter. Außenminister Boris Johnson hatte kürzlich die Frage aufgeworfen, ob Großbritannien überhaupt etwas zahlen will.

Unklar ist auch, ob sich May zur Reihenfolge der Verhandlungen äußern wird. Während die EU erst einmal den Austritt Großbritanniens unter Dach und Fach bringen will, wollen die Briten möglichst rasch über einen umfassenden Freihandelsvertrag reden. Ob das realistisch ist, darf bezweifelt werden. Die Zeit bis zum Austritt ist knapp bemessen, und ein Abkommen muss am Ende noch mindestens vom EU-Parlament, dem Europäischen Rat und dem Parlament in Westminster abgesegnet werden. London könnte daher auch von Beginn an auf eine Übergangslösung dringen, meinen Beobachter.

May hat bereits verkündet, dass Großbritannien den Europäischen Binnenmarkt verlassen soll. Auch der Zollunion soll das Land nicht mehr angehören. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg wollen sich die Briten nicht länger unterwerfen. Keinesfalls sollen weiter ungehindert EU-Arbeitskräfte ins Land kommen können.

Priorität Expats

Gleichzeitig soll eine rasche Einigung über die Rechte von EU-Bürgern getroffen werden, die bereits in Großbritannien leben und von Briten, die sich in anderen EU-Staaten niedergelassen haben. Dem Thema scheinen beide Seiten Priorität einzuräumen.

Auf detaillierte Positionen aus Brüssel wird May wohl noch eine Weile warten müssen. Ein Sondergipfel der 27 Staats- und Regierungschefs beschließt am 29. April Leitlinien. Auf dieser Basis schlägt die EU-Kommission den Start der Verhandlungen und ein Mandat vor und lässt es vom Rat bestätigen.

Der Brexit könnte auch zu einem Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs führen. Schottland lehnt Mays harten Brexit-Kurs ab und fordert ein neues Referendum über die Unabhängigkeit. Als gefährdet sehen manche auch den Friedensprozess im fragilen Nordirland. Der Austritt aus der Europäischen Union macht jedenfalls auch eine neue EU-Außengrenze hin zur Republik Irland nötig. (APA, 28.3.2017)