Neue Wege: "Hier wird niemandem vorgeworfen, bei null anzufangen, Neues zu beginnen, etwas zu versuchen."

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Neue Herausforderung: "Es war es immer ein Traum, die richtige Fliegerei kennenlernen zu dürfen."

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Neue Freunde: "Es ist dieses außergewöhnliche Gefühl, überall auf dieser Welt in ein Dojo zum Training gehen zu können."

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Wien/Venice – Sabrina Filzmoser geht neue Wege. Die zweifache Judo-Europameisterin ist nach Venice, Florida übersiedelt, um ihre Pilotenausbildung abzuschließen. Die Oberösterreicherin hält sich offen, wie lange sie ihre Karriere fortsetzen wird.

STANDARD: Sie sind in die USA übersiedelt. Ist der Umzug auch ein Ausstieg, suchen Sie nach dem geplatzten Traum von einer Olympia-Medaille die Veränderung?

Filzmoser: Es geht sicher um Veränderung, weil Weiterentwicklung auf keinem anderen Weg funktioniert. Eher noch würde ich es aber als Horizonterweiterung betrachten. Es ist eine riesige Umstellung, ich muss mich neuen Anforderungen stellen. Es braucht die Offenheit, ein neues Handwerk zu erlernen, den Job zu wechseln, den Lebensmittelpunkt, die Umgebung, die Freunde.

STANDARD: Sind die USA für so einen Schritt das ideale Pflaster?

Filzmoser: Ich denke, in dieser Hinsicht sind uns die Amerikaner noch immer einen Schritt voraus. Es wird hier niemandem vorgeworfen, bei null anzufangen, Neues zu beginnen, etwas zu versuchen. Egal wie schwierig es auch erscheinen mag. Scheitern ist nicht schlimm, es geht um Reflexion, um das Lernen.

STANDARD: Mit dieser Einstellung muss man auch nicht langfristig planen.

Filzmoser: Es geht ohnehin nur Schritt für Schritt. Mein ganzes bisheriges Judoleben verlief in Wirklichkeit nie anders. Klar war da immer dieser olympische Medaillentraum, der alle Entscheidungen lenkte. Aber bei jeder Verletzung, bei jedem Verweilen oder Durchschnaufen gab es auch die Möglichkeit, andere Herausforderungen anzunehmen, zu studieren, die Welt der hohen Berge zu entdecken, Entwicklungsprojekte zu realisieren oder auch zu fliegen. So war ich niemals planlos und doch offen für Neues.

STANDARD: Ist Ihnen die Entscheidung für einen Neuanfang also leichtgefallen?

Filzmoser: Nein, das war dann doch nicht so einfach. Aber seit ich 2004 den Privatpilotenschein gemacht hatte und in Alaska und Neuseeland geflogen bin, war es immer ein Traum, auch die richtige Fliegerei kennenlernen zu dürfen. Da die Voraussetzungen in Florida wettertechnisch recht günstig sind und auch die Ausbildung äußerst international abläuft, war mir das lieber als zu Hause im wechselhaften Frühling oder am Simulator.

STANDARD: Entspricht das Leben in den USA Ihren Vorstellungen?

Filzmoser: Ich weiß, dass ich in einer supertollen Gegend wohne, die nicht die USA repräsentiert. Hier wird nicht mit den Problemen gekämpft, die den Großteil der Bevölkerung treffen. Die soziale Absicherung, das Gesundheitswesen, die Arbeitsplätze – an der goldenen Golfküste ist das alles kein Problem. Die Menschen haben genug Geld, um sich das alles leisten zu können. Sie leben und ernähren sich sehr gesund, treiben Sport bis ins allerhöchste Alter und genießen zudem ein außergewöhnlich vielfältiges kulturelles Programm.

STANDARD: Sie leben also auf einer Insel der Seligen.

Filzmoser: Wirklich alles spricht gegen meine bisherigen Vorstellungen von einem US-amerikanischen 20.000-Einwohner-Städtchen. Wenn man bedenkt, dass auf meinem Flugübungsplatz 187 private einmotorige Flugzeuge, 19 mehrmotorige, acht Helis und die Jets von Oprah Winfrey und Stephen King stehen, ist das schon eine eigene Welt. Die Fliegerei ist so normal wie bei uns das Radfahren.

STANDARD: Aber auch dort heißt der neue Präsident Donald Trump. Ist das ein Thema?

Filzmoser: Die meisten Menschen hier sind voller Zweifel, ob das gutgehen kann. Bei mir in der Flugschule gibt es einige Saudis, Ägypter oder Libanesen. Jemand von der Akademie hat sich sogar schon bei uns dafür entschuldigt, dass die USA nun eine solch verrückte Politik ausüben. Das hatte ich nicht erwartet, das hat mich beeindruckt.

STANDARD: Welchen Stellenwert hat Judo in den USA?

Filzmoser: Trotz der großen Erfolge bei den Spielen von London und Rio scheint der Judosport hier nur bekannt zu sein, weil er olympisch ist. Allerdings haben Zweikampfsportarten in den USA generell einen größeren Stellenwert als in Europa. Durch die extreme Begeisterung für Mixed Martial Arts, Ultimate Fighting und Jiu-Jitsu haben die Amerikaner auch einen stetigen Drang, Judo-Skills mit ins Kampfsportboot zu bringen. Deshalb üben viele dieser Kämpfer auch auf der Judomatte.

STANDARD: Gibt es Konkurrenz zwischen den olympischen Kampfsportarten?

Filzmoser: Nein, eigentlich nicht. Boxen, Ringen, Taekwondo oder jetzt auch Karate sind wie Judo gut verankert, und aufgrund der olympischen Ideologie ist der gegenseitige Umgang durchaus respektvoll. Das ist mir sofort recht positiv aufgefallen.

STANDARD: Hat die Einstellung zum Sport in den USA ihre Eigenheiten?

Filzmoser: So eine richtige Kämpfernatur hat hier immer eine Art Vormachtstellung. Bis jetzt waren meine Gedanken zu dieser Einstellung unklar, es hat mich verwirrt. Ansatzweise kann ich nun aber bereits den Unterschied zwischen Konsequenz, Disziplin, Demut und bloßer oberflächlicher Show erkennen.

STANDARD: "Es war ein Riesentraum. Das hat mich die vergangenen vier Jahre motiviert", haben Sie nach Olympia 2016 gesagt. Woher nehmen Sie jetzt noch die Motivation für den wettkampfmäßigen Judosport?

Filzmoser: Es ist dieses außergewöhnliche Gefühl, überall auf dieser Welt in ein Dojo zum Training gehen zu können und sich dort sofort zu Hause zu fühlen. Geborgen in der Judofamilie. Egal auf welchem Leistungslevel oder Niveau die Judokas dort trainieren. Du bist immer sofort ein Teil davon. Im Herbst würde ich gerne noch das ein oder andere Turnier kämpfen. Je nachdem, was mein körperlicher und geistiger Zustand bis dorthin hergibt.

STANDARD: Sie haben im Judo viel erreicht, waren zweimal Europameisterin, zweimal WM-Dritte. Hätte eine olympische Medaille an Ihrem Leben wirklich etwas verändert?

Filzmoser: Das denke ich schon. Eine Medaille hätte vieles verändert.

STANDARD: Wären Sie dann jetzt nicht genauso in Florida?

Filzmoser: Vielleicht wäre ich wieder in Nepal oder Bhutan und würde weiterhelfen. Vielleicht wäre ich aber auch irgendwo beim Achttausendersammeln. Vielleicht wäre ich so motiviert und würde bis Tokio 2020 weitermachen. Oder ich wäre zufrieden auf meinem faulen Hintern zu Hause sitzen geblieben.

STANDARD: Dann haben Sie es eh gut erwischt.

Filzmoser: Glücklich bin ich so oder so. Ich lebe an sicheren und lebenswerten Plätzen, ich entscheide völlig selbstständig über meine Zukunft. Damit habe ich es schon besser erwischt als sehr viele Menschen. Ich kann mich also wirklich nicht beschweren.

STANDARD: Sie klingen sehr ausgeglichen, war das schon immer so?

Filzmoser: Schritt für Schritt nähere ich mich doch noch den einstigen weisen Worten meines Jugendtrainers und Mentors Willi Reizelsdorfer: "Der Weg ist das Ziel." Es mag abgedroschen klingen, und gerade in den Jahren auf der Suche nach olympischem Edelmetall war es für mich nicht mehr als eine Floskel. Aber da ist schon was dran. (Philip Bauer, 30.3.2017)