Katharina Saurwein beim Schauklettern im erst kürzlich eröffneten Kletterzentrum des österreichischen Alpenvereins in Wien.

Expa Pictures/Michael Gruber

KVÖ-Geschäftsführer Michael Schöpf (li.) und Sportdirektor Heiko Wilhelm.

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Wien – "Klettern ist ein Sport, der in die Vertikale geht, das wirkt auf den ersten Blick vielleicht etwa banal", sagt Heiko Wilhelm, Sportdirektor des österreichischen Kletterverbands (KVÖ) und Betreuer des österreichischen Boulder-Teams. "Andere spulen ihre Kilometer am Laufband runter, beim Klettern fließen so viele Aspekte zusammen: Spaß, Abenteuer, Herausforderung, Gesundheit, Fitness, was du willst." Wider die vorherrschende Meinung ist ihm das Klettern nicht zwangsläufig Individualsport, "es geht immer um Vertrauen", nicht Risikosport, "solange man sich an gewisse Vorgaben hält", und auch nicht Kraftsport, zumindest nicht nur. "Die kognitiven Anforderungen sind in allen Disziplinen extrem hart. Gerade in der Boulder-Disziplin können die Bewegungsformen sehr komplex sein. Man muss den Boulder richtig lesen können, die Bewegungsausführung gut antizipieren. Der Klettersport ist eigentlich ein Denksport", erklärt Wilhelm.

Kletter-Epizentrum Tirol

Man muss keinen Felsen vor der Haustüre haben, um in den Bann gezogen zu werden. "Nach dem Schwimmen ist das Klettern mittlerweile der beliebteste Schulsport, von der Masse an Aktiven geht es längst in Richtung Breitensport", sagt KVÖ-Geschäftsführer Michael Schöpf. Die Zahlen geben ihm Recht. Bereits 2014 knackte man in Österreich die Millionen-Marke an Halleneintritten. Unangefochtener Spitzenreiter ist die Hochburg Tirol, wo der Klettersport seit Jahren einen bedeutsamen Beitrag zur Ankurbelung des Sommertourismus leistet. "Das Gebiet wird als authentisch wahrgenommen", meint Schöpf.

Der Verband ist wirtschaftlich gut aufgestellt. Zu den rund 60.000 Mitgliedsbeiträgen im Jahr kommen Zuschüsse aus dem Sportministerium und vom Land Tirol. Die österreichischen Athleten zahlen es mit Erfolg zurück, mischen alljährlich an der Weltspitze mit. Die Fördergelder fließen in den fortwährenden Ausbau der Infrastruktur. Rechtzeitig zur Heim-WM 2018 wird in Innsbruck das größte Kletterzentrum Europas eröffnet werden, das Athleten aus aller Welt optimale Trainingsbedingungen bieten soll. 12,3 Millionen Euro ist Stadt, Land und Bund das neue, mit 5000 Quadratmetern Kletterfläche ausgestattete Prunkstück wert. Zur WM werden etwa 40.000 Zuschauer erwartet. "Von einem Boom reden wir schon lange nicht mehr", sagt Heiko Wilhelm.

Laut Mitgliederstatistik der Bundessport-Organisation (BSO) ist der Kletterverband der mittlerweile siebtgrößte Sportfachverband Österreichs, vor zehn Jahren lag man noch an 17. Stelle. Der Sport werde von allen wahrgenommen, einzig die Berichterstattung sei laut Schöpf ausbaufähig. "Wir haben es mit einer Entwicklung von Westen nach Osten zu tun." Wien mausere sich, 2016 zählte man 130.000 Eintritte. Um die Popularität weiter zu steigern, sei es mittelfristiges Ziel, den Weltcup auch in der Hauptstadt auszutragen. Die mobilen Kletterwände stellen keinen Nachteil dar: "So kann der Sport auch zu den Leuten kommen."

Strapaziöser Weltcup-Alltag

Das Interesse am Wettkampfklettern erstreckt sich längst über die Kontinente. Am 7. April steigt in Meiringen (Schweiz) der Weltcup-Auftakt im Bouldern. Danach wandert der Kletterzirkus nach Asien und in die USA, ehe er im Juni wieder nach Europa zurückkehrt, wo in Campitello di Fassa (Italien) die Speedkletter- und Vorstiegs-EM steigt. Erst danach läuft die reguläre Saison der Vorstiegskletterer an. Dazu kommen heuer die World Games in Wroclaw (Polen), die Boulder-EM in München und zahlreiche Promo-Events.

Für Athleten, die mehr als eine Weltcup-Disziplin mitmachen, kann das mitunter strapaziös werden. Katharina Saurwein, 2015 EM-Dritte im Bouldern und neben Anna Stöhr und Jessica Pilz eine der etabliertesten KVÖ-Athletinnen, weiß ein Lied davon zu singen. "Das viele Herumreisen ist mir mittlerweile zu anstrengend, ich konzentriere mich lieber auf einzelne Bewerbe, schaue, dass ich dort gute Ergebnisse hole." Als knapp Dreißigjährige gehört sie im Weltcup-Starterfeld bereits zur älteren Riege, nach der WM in Innsbruck ist Schluss. 20 Kletterjahre hat Saurwein auf dem Buckel, der Sport habe sich im Laufe der Zeit auch in sozialer Hinsicht gewandelt: "Früher war das Klettern eine reine Männerdomäne. Es war schon eine Ausnahme, wenn man eine Frau am Felsen getroffen hat. Mittlerweile ist es ausgeglichen, auch vom Zuschauerinteresse her."

Olympisierung des Klettersports

Im August 2016 wurde das Sportklettern vom IOC ins olympische Programm für die Sommerspiele 2020 in Tokio aufgenommen. Weil man von Veranstalter-Seite nur eine Medaillen-Entscheidung zulassen wollte, werden die Disziplinen Vorstieg (Lead), Bouldern und Speedklettern zu einem Kombinationsbewerb zusammengefasst. Dieses Olympia-Format wurde im Auftrag des IFSC (International Federation of Sport Climbing) vom österreichischen Verband und sechs anderen führenden Kletternationen beschlossen. "Wir hatten Befürchtungen, es könnte sich negativ auf die übrigen Disziplinen auswirken, wenn nur eine von den dreien bei Olympia im Vordergrund steht", erklärt Heiko Wilhelm. "Das Speedklettern tanzt vielleicht etwas aus der Reihe, weil es weniger komplex ist. Spannend wird die Frage sein, wie man das Training gestaltet. Bei zwei von drei Bewerben sollte man vorne dabei sein, der flexibelste Kletterer wird Olympiasieger."

Neues Format als Streitpunkt

Die Ratifizierung des Beschlusses stößt im Lager der Athleten nicht nur auf Gegenliebe. "Es ist schier so, als ob man Sprint, Hürdenlauf und Marathon zusammenfasst", zeigte sich die ehemalige Boulder-Weltmeisterin Anna Stöhr unmittelbar nach Bekanntmachung des neuen Formats skeptisch. Auch die Olympia-Aufnahme des Sportkletterns wird kritisch betrachtet. "Solange man sich dessen bewusst ist, dass ein Wettkampf noch nie die Grundidee des Kletterns widergespiegelt hat und nie widerspiegeln kann, ist es weder gut noch schlecht. Es ist schlicht und einfach egal", meint Cerro-Torre-Begeher David Lama, der sich bereits 2010 vom Wettkampfklettern abwandte. Nachsatz: "Müsste ich persönlich die Entscheidung treffen, würde ich mich aber klar gegen die Olympischen Spiele aussprechen, um die Kletter-DNA im Wettklettern nicht weiter zu verwässern"

Für den KVÖ dürfte sowohl die Heim-WM als auch eine mögliche Olympia-Teilnahme ein kräftiges Argument bei der Sponsorensuche (gewesen) sein. "Die Saison 2017 und das WM-Jahr 2018 dienen der Orientierung. 2019 müssen wir ready sein, um uns für Olympia zu qualifizieren", blickt Heiko Wilhelm in die sportliche Zukunft. Die Debatte zur Wahrnehmung, ob das Klettern noch Rand-, oder bereits Breitensportart ist, sollte sich spätestens nach WM und Olympia erübrigt haben. (Paul Buchinger, 30.3.2017)