Der Bundesrat in voller Aktion: Vizekanzler Michael Spindelegger stellte dort seinerzeit seine neue Regierungsmannschaft vor. Der ÖVP-Chef ist inzwischen Geschichte, seine Regierungsequipe auch. Den Bundesrat allerdings gibt es noch.

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Das österreichische Parlament besteht aus zwei Kammern: dem Nationalrat und dem Bundesrat, dessen Mitglieder von den Landtagen nominiert werden. Dieser Bundesrat leidet von jeher an einer Sinnkrise: Vertreter nahezu jeder Partei haben schon einmal seine Abschaffung gefordert. In seiner Wirkung und Relevanz ist der Bundesrat von untergeordneter Bedeutung.

Wie wäre es, wenn sich der Bundesrat statt aus Parteimitgliedern aus Bürgern zusammensetzte? Als Bürgerrat statt Bundesrat.

Per Los ins Parlament

Statt der derzeit 61 Bundesratsmitglieder könnte es 100 Bürgerräte geben. Die Mitglieder wären nicht Vertreter der Bundesländerparteien, sondern per Los ermittelte Österreicherinnen und Österreicher, repräsentativ für die österreichische Bevölkerung.

Der Auftrag an jedes Mitglied des Bürgerrats wäre es, z. B. ein halbes Jahr im Parlament den Dienst am Gemeinwohl und der Demokratie zu leisten. Freiwillig, aber für kurze Zeit hauptamtlich und vergütet – wie jetzt Bundesräte auch.

Das Mandat des Bürgerrates wäre, sich mit kritischen Themen umfangreich und intensiv über einen längeren Zeitraum zu beschäftigen. Sich von Experten und Betroffenen beraten und informieren zu lassen. Miteinander umfangreich zu beratschlagen. Und am Ende mit einer überwiegenden Mehrheit zu einer Empfehlung für den Nationalrat zu kommen. Der Bürgerrat würde keine Gesetze beschließen. Er könnte gegen Gesetzesentwürfe des Nationalrats ein Veto einlegen oder gegebenenfalls von selbigem fordern, eine Volksabstimmung einzuberufen. Er könnte Initiative für langfristige, relevante Themen ergreifen und damit wesentliche und für die Regierung womöglich unbequeme Entscheidungen einmahnen.

Bürgerräte wären frei von der Möglichkeit und Notwendigkeit, wiedergewählt zu werden. Der Bürgerrat brauchte vom Parlament für seine Arbeit umfangreiche und vollkommen neutrale organisatorische, juristische und wissenschaftliche Betreuung. Die Information und Beratschlagung unterliegt einem klar definierten Prozess, und die Bürgerräte können den Umfang und die Quellen ihrer Informationsbeschaffung frei mitgestalten.

Die 55-jährige Geschäftsführerin und Mutter aus Wiener Neustadt; die Pensionistin und ehemalige Trafikantin aus Wien; der Maturant aus Wien; die Verkäuferin aus Vöcklabruck; die Ärztin aus Klagenfurt; der Feuerwehrmann aus Bregenz ... Sie alle wären mögliche Mitglieder des Parlaments und würden wichtige Entscheidungsprozesse im Parlament mitgestalten und einfordern.

Es geht dabei nicht darum, Politiker und Parteien durch "einfache Bürger" zu ersetzen. Vollzeitpolitiker und Parteien sind wesentliche Elemente unserer repräsentativen Demokratie und leisten wichtige Arbeit, die leider wenig bis gar nicht wertgeschätzt wird. Es geht um ein besseres Verhältnis zwischen parteiunabhängiger Teilhabe engagierter und mündiger Bürger und den gewählten Parteien und Volksvertretern als Gesetzgebern.

Eine Kammer im Parlament mit gelosten Mitgliedern bedeutet, zurück an den Anfängen der Demokratie zu gehen. Im alten Athen war diese primär auf Verwaltungsorgane gebaut, deren Mitglieder unter den Bürgern gelost wurden. Nur die wenigsten Entscheidungsträger wurden gewählt.

Der belgische Historiker David van Reybrouck schildert in seinem Buch Gegen Wahlen eine Reihe von "Bürgerräten" unterschiedlicher Ausformungen. Wesentliche Erkenntnis ist, dass die mangelnde Verbindlichkeit und fehlende institutionelle Verankerung den Beratschlagungen der Bürger die Wirkung nimmt. Eine der ernsthaftesten Umsetzungen eines Bürgerrats begann 2012 in Irland. Das dortige Parlament setzte "The Convention on the Constitution" ein: ein Gremium von 66 ausgelosten Bürgern, 33 berufenen Politikern und einem unabhängigen Vorsitzenden, das innerhalb eines Jahres Empfehlungen an das Parlament ausarbeitete. Es wurden Themen wie die gleichgeschlechtliche Ehe, das Wahlrecht ab 17 und die Verkürzung der Amtsdauer des Präsidenten behandelt. Die Empfehlungen wurden von Parlament und Regierung akzeptiert. Auch die Bevölkerung gab per Volksabstimmung ihre Zustimmung.

Griff nach den Sternen

Um gestärkt aus der gegenwärtigen Krise unserer Demokratie hervorzugehen, sollten wir diese Möglichkeit des Bürgerrats im Parlament ernsthaft diskutieren. Österreich muss dabei aus Eigeninteresse vorangehen. Mit einem Bürgerrat statt des Bundesrats können wir unsere Demokratie wesentlich verbessern und nebenbei ein Vorreiter in Europa und Vorbild für die Welt werden. (Milo Tesselaar, 30.3.2017)