Der Morgendunst liegt noch zart über den Gipfeln des saftig grünen Regenwalds im Hinterland Guatemalas. In der Nähe des Ortes Lanquin ist meine Reisegruppe auf dem Weg nach Semuc Champey, das in der Sprache der Maya so viel bedeutet wie "wo der Fluss in der Erde verschwindet". Der verschwindende Fluss, der hier fließt, ist der Rio Cahabon. Er speist zum einen metertiefe Wasserbecken, zum anderen verläuft sein Wasser unterirdisch an den natürlichen Kalksteinterrassen vorbei. Gefährliche Wasserfälle und Strömungen entstehen an einigen Stellen und machen dieses Naturschauspiel zu einem halsbrecherischen, aber verführerischen Abenteuer.

Die natürlichen Pools von Semuc Champey.
Foto: Max Leyerer

Bevor wir zu den Wasserbecken gelangen, führt uns unser guatemaltekischer Guide zu einem Höhlensystem nahe eines Wasserfalles. Mit Fackeln als einzige Lichtquelle ausgerüstet, schreiten wir in die dunkle, unter Wasser stehende Höhle hinein. Nach wenigen Metern sind wir bereits bis zur Hüfte nass und folgen etwas tollpatschig einem gespannten Seil.

Der Weg führt 900 Meter tief hinein in den Berg. Über Felsen klettern wir einen Flussarm entlang. Nicht nur einmal rutscht mir die Fackel ins Wasser – die Dunkelheit raubt mir jede Sicht. Den Wasserfall innerhalb einer Höhle emporzuklettern ist ein halsbrecherisches Unterfangen, doch ist das der einzige Weg, der nach oben führt. Mithilfe des Seils stemmen wir uns mit den Beinen gegen die glitschigen Felsen und ziehen uns hinauf. Tosendes Wasser schnellt uns entgegen, stößt uns nach hinten und erschwert das Atmen – kurz fühlt man sich, als würde man ertrinken. Am Ende des Flussarmes angekommen, wiegen wir uns am Ziel angekommen: einem traumhaften, unterirdischen Wasserbecken.  

Der Weg in die Höhle.
Foto: Max Leyerer

Unser Guide zeigt mit einer Fackel auf einen kleinen Kletterweg in circa vier Metern Höhe. Die, die sich trauen, sollen hinaufklettern und in das Becken springen, sagt er. Mein jugendlicher, lernresistenter Leichtsinn ist Feuer und Flamme für diese hirnrissige Aktion. 

Ich tauche kurz ins Becken ab, um die Tiefe auszutesten. Dann klettere ich die Felsen hinauf und stehe auf einem Vorsprung. Die wenigen Fackeln unserer Seilschaft zeigen mir nur schemenhafte Umrisse – unter mir erkenne ich nichts und sehe nicht, wohin ich springe. Adrenalin schießt durch meinen Körper, ich knalle auf der Oberfläche auf und tauche tief in das Wasser ein.

Ausblick über den Dschungel Guatemalas.
Foto: Max Leyerer
Ein guatemaltekisches Naturerbe.
Foto: Max Leyerer

Eine blaue Klinge im grünen Wald 

Die natürlichen Wasserbecken von Semuc Champey sind stufig angeordnet und ziehen sich durch das immergrüne Tal des Dschungels. Wie eine grün-blau schimmernde Klinge durchschneiden sie den tropischen Regenwald des Naturparks. 

Am Weg hinunter ist die Sehnsucht nach einen Sprung in die Pools groß. Das feucht-warme Wetter des Urwalds erschöpft ungemein. Wir springen in den obersten Pool des Flusses und lassen uns treiben. Springen, tauchen, schwimmen – bis wir das Ende erreicht haben. Die Kletterei zwischen den rutschigen Kalkterrassen erfordert einiges an Geschick, und ein Zurück gibt es nicht.

Schwimmen in den smaragdgrünen Pools.
Foto: Max Leyerer

In Semuc Champey haben sich französische Auswanderer ein utopisches Raumschiff aus Holz in die Baumkronen des Dschungels gebaut. Das Baumhausressort lässt einen selbst vom Aussteigen träumen, auch wenn das Leben im Dschungel auf Dauer wohl weit weniger romantisch ist, als bei Kerzenschein und hoch über die magischen Terrassen eines verschwindenden Flusses. (Max Leyerer, 23.11.2017)

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