Der Nachrichtenüberblick der Austria Presse Agentur zeigt dieser Tage ein klares Bild: Es gibt kaum eine politische Schlagzeile, in der es nicht um Flüchtlinge geht. Das ist ein bestimmendes Thema – sei es, dass Österreichs Regierung Relocation-Pingpong spielt, sei es, dass Lettland nun auch keine Flüchtlinge aufnehmen will oder der rechtspopulistische Premier Ungarns, Viktor Orbán, Asylwerber ab 14 Jahren in Lager internieren möchte. Regierungen aller EU-Länder aller politischen Ausrichtungen spielen auf der Klaviatur der negativen Emotionen rund um Flucht und Migration. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Betroffenen.

Der österreichische EU-Abgeordnete Josef Weidenholzer hat sich angesichts der österreichischen Relocation-Debatte darüber empört, dass so getan werde, als gäbe es kein anderes Thema in Europa. Auch Kanzler Christian Kern hat kürzlich, mitten im von ihm selbst befeuerten Koalitionszwist um 50 minderjährige Flüchtlinge, in einem Radiokulturhaus-Gespräch mit Autorin Christine Nöstlinger beklagt, dass immer nur über Flüchtlinge geredet werde. Ähnliches war von ihm am Sonntag im Burgtheater zu hören. Das grenzt an Ironie.

Tatsächlich zeigt die aktuelle Eurobarometer-Umfrage, dass die Europäer dem Thema Migration große Bedeutung beimessen – ebenso dem Thema Terrorismusbekämpfung, das ja oft im selben Atemzug genannt wird. Allerdings erwarten sie auch Lösungen auf europäischer Ebene – keine kleinstaatlichen Egoismen und ein Ausspielen nationaler Interessen. Das ist ein wichtiger Unterschied, den die Regierungschefs, wenn sie im Rat in Brüssel sitzen, gerne betonen – zurück daheim aber ebenso gerne wieder vergessen.

In der Prioritätenliste der Europäer gibt es auch noch andere wichtige Punkte, die ebenso gerne "vergessen" werden: Etwa erwarten drei von vier Befragten beim Eurobarometer, dass auf europäischer Ebene mehr gegen Arbeitslosigkeit getan wird. Immerhin zwei Drittel wollen auch größere Anstrengungen in Sachen Umweltschutz, und drei Viertel fordern mehr Engagement der Union gegen Steuerbetrug.

Hier schwingt das große Thema Gerechtigkeit mit. Viele Menschen in Europa haben das ungute Gefühl, dass es ihnen schlechter geht als noch vor einigen Jahren: mehr Steuern und Abgaben, seit gefühlten Ewigkeiten keine Gehaltserhöhung mehr, der Job unsicherer denn je, ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber global agierenden Multis, die es sich "richten" können.

Viele sehen nicht ein, dass Abermilliarden in die Rettung der Finanzmärkte gesteckt wurden, aber nun kein Geld da sein soll, um ihre Situation zu verbessern. Dass die SPD-Mitglieder Martin Schulz am Parteitag huldigten, der genau dies anstelle des Flüchtlingsthemas ansprach, ist wohl kein Zufall. Diese Themen aktiv aufzugreifen, dranzubleiben und an einer gemeinsamen europäischen Lösung zu arbeiten hat nichts mit linkem Populismus zu tun. Auch "Bürgerliche", die in Europa starke mittelständische Wirtschaft, Kleinunternehmer und Bauern treibt das Thema um.

Die Menschen wären für das europäische Projekt zu gewinnen, wenn man sie denn gewinnen wollte. Stattdessen geben sich viele Regierungschefs in Brüssel staatstragend europäisch und geben daheim den gallischen Häuptling im Kampf gegen Rom. Was die meisten übersehen: Ihnen fehlt der Druide mit dem Zaubertrank, der sie unschlagbar macht. (Petra Stuiber, 2.4.2017)