Essgewohnheiten, die sich ein Leben lang eingeschliffen haben, verändern sich nicht durch eine kurze Zeit des Abnehmens, sondern führen zum berühmten Jo-Jo-Effekt.

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Manuelas* Gewichtskurve gleicht einer Berg- und Talfahrt: Zweimal ist sie den Comrades, einen Ultramarathon von 89 Kilometern Länge, in Südafrika bereits mitgelaufen, hat dafür jeweils 20 Kilogramm abgenommen und hart trainiert. Kaum war das Rennen vorüber, stieg ihr Gewicht langsam wieder an. Insgesamt hat die 42-Jährige in ihrem Leben mindestens 60 Kilogramm ab- und wieder zugenommen – und ist damit keine Ausnahme.

Low Carb, Low Fat, Weightwatchers oder Diätdrinks – Wege, das eigene Gewicht zu reduzieren, gibt es etliche, und alle führen bei entsprechender Konsequenz zum Ziel. Auch wenn vielen schon dieser erste Schritt schwerfällt, die eigentliche Herausforderung kommt nach dem Abspecken: "Über alle Studien hinweg schaffen es nur wenige Menschen, ihr Gewicht dauerhaft niedrig zu halten", sagt die Ernährungswissenschafterin Christine Brombach von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Wunschgewicht – und dann ...

Was zunächst unerklärlich scheint: Wochenlang, manchmal gar monatelang, versagt man sich Schokolade, Weißbrot und Rotwein, isst stattdessen nährstoffdichte Lebensmittel wie gekochte Erdäpfel mit Magertopfen, lässt das Auto stehen, radelt und geht täglich die empfohlenen 10.000 Schritte – und vergisst all die Entbehrungen wieder, sobald das Wunschgewicht erreicht ist. "Die meisten hören mit allen Veränderungen auf, wenn sie ihr Ziel auf der Waage erreicht haben. Das ist wie ein Medikament gegen hohen Blutdruck, das ich so lange nehme, bis der Blutdruck im Normbereich ist, und dann wieder absetze. Natürlich steigt der Blutdruck dann wieder an, und niemand käme auf die Idee, das erfolgreiche Medikament wieder abzusetzen", sagt Thomas Ellrott, Leiter des Instituts für Ernährungspsychologie der Georg-August-Universität Göttingen. Beim Abnehmen geschieht aber genau das.

In den Industrieländern bezeichnen Wissenschafter Übergewicht als Epidemie: "Man spricht inzwischen von 'Globesity', und die WHO hat Übergewicht und Adipositas zu einem der Hauptprobleme der Zukunft erklärt", sagt Brombach. Gesundheitliche Folgen wie Rückenschmerzen, Diabetes und Herzkrankheiten kosten die Gesellschaft Milliarden, weswegen Forscher weltweit versuchen, das menschliche Essverhalten zu verstehen, um Strategien zu entwickeln, ernährungsbedingten Erkrankungen vorzubeugen. Bisher ist es aber noch keinem Land gelungen, die Zunahme an Übergewicht und Adipositas zu stoppen.

Genetisch verankertes Programm

Die Gründe dafür sind vielfältig. Ein besonders starker "Feind" sind unsere jahrtausendealten biologischen Programme. Jedes Tier und jeder Mensch verfolgt bei der Nahrungssuche eine bestimmte Strategie, Evolutionsbiologen nennen das Prinzip "optimal foraging", also optimale Nahrungssuche. So bevorzugen Strandkrabben mittelgroße Muscheln: große Muscheln sind zu aufwendig zu knacken und kleine Muscheln sind zwar leicht zu öffnen, bieten aber kaum Nährwert. Auch der Mensch hat ein solches genetisch tief verankertes Programm, das ihn vor allem kalorienreiche Kost lieben lässt. Aus gutem Grund: Die längste Zeit unserer Stammesgeschichte war Nahrung ein knappes Gut, und wer sich den Bauch vollgeschlagen hat, wenn sie verfügbar war, hatte die besseren Überlebenschancen. "Übersetzt in einfache Botschaften lauten die Vorgaben: Iss, was du bekommen kannst! Bewege dich nur, wenn es für die Nahrungssuche oder Fortpflanzung unbedingt nötig ist!", sagt Ellrott.

Bis in die jüngste Zeit waren wir mit dem Programm bestens an unsere Umwelt angepasst – in Schlaraffenlandzeiten richtet es sich jedoch gegen uns: Lieber Erdnusslocken, Chrunchips oder crispy Tortillas? Lieber Cornflakes, Cheerios, Crispies, Loops, Pops oder Müsli – aber welches nur? Früchte-, Schoko- oder Knuspermüsli? Die Zunahme energiedichter Lebensmittel in den vergangenen 50 Jahren ist beispiellos, und deren Krönung ist die Schokonusscreme, deren Zucker- und Fettzusammensetzung einzigartig ist.

Für uns Menschen der ersten Welt sind die heutigen Lebensumstände Fluch und Segen zugleich: Einerseits müssen wir kaum mehr stark körperlich arbeiten und hungern, andererseits können wir der permanenten Kalorienflut nicht viel entgegensetzen. Noch immer sind wir auf kalorienreiche Nahrung programmiert, vor einem Zuviel mussten wir uns bisher nie schützen. "Darum ist die Veränderung des Ess- und Bewegungsverhaltens so schwierig– sie fordert ein permanentes Verhaltensmanagement gegen neue und –evolutionsbiologisch betrachtet – ungewohnte Umweltbedingungen", so Ellrott.

Sportmuffel mit Bürojob

Wer glaubt, dass man Tonnen von Lebensmitteln verdrücken muss, um dick zu werden, täuscht sich. Ja, Übergewicht ist die Folge einer positiven Energiebilanz, das heißt, der Körper bekommt mehr Kalorien zugeführt, als er verbraucht, und wandelt diese in Fett um. Allerdings reichen täglich 500 Kilokalorien zu viel, also eine Tafel Schokolade oder 150 Gramm Gummibärchen, um in einer Woche ein Pfund zuzunehmen. Ein Sportmuffel mit Bürojob und durchschnittlichem Grundumsatz hat da schnell schlechte Karten. Zumal wir leider kein Alarmsystem besitzen, das anspringt, wenn die tägliche benötigte Kalorienzufuhr überschritten wird.

Wer abnehmen will, muss also für eine negative Energiebilanz sorgen und hat dafür zwei Stellschrauben: Kalorienzufuhr einschränken und Kalorienbedarf erhöhen. Mittlerweile existiert ein bunter Markt an Hilfsangeboten: in einer realen Gruppe, in einer virtuellen Community, mithilfe eines Coachs, eines Onlineprogramms oder einer App. Allen gemeinsam ist die Stärkung der Motivation: "Man ist nicht mehr allein mit dem Problem, und das gibt einem ein gutes Gefühl", sagt Manuela.

Wer den Kampf gegen sich selbst erfolgreich aufgenommen hat und Gewicht verliert, startet allerdings ein weiteres biologisches Programm: Der Körper fährt seinen Stoffwechsel herunter, braucht also insgesamt weniger Energie – überlebenswichtig in Hungerszeiten, ungemein demotivierend beim Abnehmen. Wer dann abrupt anfängt, normal zu essen, legt noch schneller zu als zuvor, der berühmte Jo-Jo-Effekt. "Eigentlich müsste man an eine anfängliche Phase des Abnehmens eine lange Phase anflanschen, die man 'Training des Gewichthaltens' nennen könnte", sagt Ellrott. Im professionellen Bereich gibt es das bereits. Denn Essgewohnheiten, die sich ein Leben lang eingeschliffen haben, verändern sich nicht durch eine verhältnismäßig kurze Zeit des Abnehmens.

Langzeitstrategien entwickeln

Ein weiterer Punkt, warum Diäten oft versagen: Viele sind hervorragend geeignet, um abzunehmen. Dauerhaft hält sie aber niemand durch – oder kennen Sie jemanden, der Spaghetti, Brot und Kartoffeln für immer aus seinem Leben gestrichen hat?

Dennoch sind Diäten nicht von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Allerdings muss den Menschen, die nicht zu den Glücklichen mit hohem Grundumsatz gehören, eines klar sein: Mit einer schnellen Diät sind die Pfunde meist nicht dauerhaft aus der Welt zu schaffen. Wer mit seinem Gewicht kämpft, hat ein Leben lang damit zu tun – und muss Langzeitstrategien entwickeln. Das Stichwort heißt "kognitive Esskontrolle".

Starre Esskontrolle mit Verboten wie "Ich esse nie wieder Schokolade, Butter oder Chips" sind dabei nicht hilfreich, denn nur ein kleiner "Fehltritt" – das Naschen vom Schokokuchen, den die Nachbarin vorbeibringt – kann zum sogenannten Deichbruchphänomen führen: "Der Patient gibt seine rigide Esskontrolle zugunsten einer zügellosen Nahrungsaufnahme auf", so Ellrott. Phasen des unkontrollierten Essens wechseln sich mit Phasen strenger Diät ab und fördern so die Entstehung von Essstörungen wie Bulimie und Binge Eating Disorder, Heißhungerattacken, bei denen man hemmungslos isst.

Bewegung einplanen

Besser geeignet ist die flexible Esskontrolle. Auch hier kommt man um eine verminderte Kalorienzufuhr nicht herum, kann sich also nicht vorwiegend von Fertigpizza und Schniposa ernähren. Aber solche "Sünden" sind, als Ausnahme von der Regel, erlaubt und können in einen Wochenplan eingebaut werden: "Wenn ich diese Woche dreimal eine Stunde joggen gehe, darf ich eine Tüte Chips essen." "Man muss neue Gewohnheiten entwickeln, etwa regelmäßige Bewegung einplanen und sich selber 'austricksen', indem man bestimmte Lebensmittel erst gar nicht einkauft", sagt Brombach. Der beste Schutz sei aber: gar nicht erst zunehmen!

Das heißt, einmal pro Woche wiegen. "Regelmäßiges Wiegen beugt einer starken Zunahme vor. Man kann gegensteuern, noch bevor das Kind zu tief in den Brunnen gefallen ist", sagt Ellrott. Ein anderer Trick: sich selbst beobachten, indem man alles was man isst und trinkt, protokolliert oder fotografiert – dank Smartphone ist das fix erledigt.

Manuela kennt all diese Tipps. "Vor allem das Protokollieren hat mir am Anfang ungeheuer geholfen, weil ich mich an etwas festhalten konnte. Auch meine sinkende Gewichtskurve hat mich extrem motiviert. Aber wenn man es schleifen lässt ..." Manches Mal schon wollte sie den Kampf gegen ihre Pfunde am liebsten aufgeben, sich einen Satz "Fettkleider" kaufen und das Leben genießen. Stattdessen hat sie sich zwei Hunde gekauft und sich für einen Halbmarathon angemeldet. (Juliette Irmer, 5.4.2017)

*Name von der Redaktion geändert.