Ihr Lachen, dunkel und kehlig. Das ist bemerkenswert, weil Chloë Sevigny gerne lauthals lacht – auch über ihre eigenen Bemerkungen. Das passt zum Image der Pferde stehlenden Amerikanerin, der Frau in Designer-Boots und abgeschnittenen Jeans-Shorts, der ewigen Hipsterin, die nach einem Zwischenstopp in Brooklyn wieder in Manhattan lebt.

Sevigny, mittlerweile 42, wurde als Teenager mit einem Schlag bekannt. "Kids" hieß der kontroverse Film von Larry Clark, der Mitte der 1990er das Mädchen aus Connecticut zum It-Girl aus Downtown New York machte. In dem Film wurde Jenny, verkörpert von Chloë, mit dem HI-Virus angesteckt, im echten Leben lief es für das coole Mädchen mit dem Pixieschnitt besser.

Trendsetterin: Chloë Sevigny war in den 1990ern das, was heute die Instagram-Stars sind.
Foto: Brigitte Lacombe

Sevigny schauspielerte nicht nur, sie suchte die Nähe der Mode, warf sich in schräge Designerkleider, modelte in Kampagnen für Miu Miu, designte Mode für den New Yorker Concept-Store Opening Ceremony. Die Amerikanerin war eine Vorläuferin der Instagram-Stars von heute: Jede neue Frisur, jede Kleiderkombination wurde in den 1990ern zum Trend erklärt. Ihre sperrige Filmbiografie finanzierte die Schauspielerin mit Kooperationen großer Modeunternehmen. So wie ihren zweiten Kurzfilm. Er läuft in der Filmreihe "Women's Tales" der Modemarke Miu Miu.

STANDARD: Lange haben Sie vor der Kamera gearbeitet, jetzt also auch Regie. Warum?

Chloë Sevigny: Ich liebe einfach den Film und das Drumherum. Mir gefällt es, etwas Eigenes zu schaffen. Lange hat es mir auch Spaß gemacht, für Opening Ceremony Mode zu designen, ich will aber mehr als nur Produkte in die Welt hinausschicken. An der Regiearbeit gefällt mir, etwas Eigenes zu schaffen. Und den gesamten filmischen Prozess von der Vorproduktion bis zum Schnitt unter Kontrolle zu haben. Wenn man schauspielert, dann trifft man ein paar Mal den Regisseur, macht in der Garderobe ein paar Fittings und geht dann wieder.

STANDARD: Sie haben das immerhin zwanzig Jahre lang gemacht ...

Sevigny: Manchmal war das zufriedenstellend, manchmal auch nicht. Ich würde in Zukunft gerne Spielfilme, vielleicht auch Werbung machen.

STANDARD: Haben Sie genug von der Zusammenarbeit mit anstrengenden männlichen Regisseuren?

Sevigny: Ich wünschte, ich könnte öfter mit Regisseurinnen zusammenarbeiten. So wie mit Kimberly Peirce für "Boys Don't Cry" und Marry Hadron für "American Psycho", das waren wichtige Filme für mich. Oder wie die britische Serie "Hit & Miss", für die ich mit zwei Regisseurinnen zusammengearbeitet habe.

STANDARD: Führen Frauen anders Regie?

Sevigny: Mit ihnen fällt mir die Kommunikation leichter, ich fühle mich weniger eingeschüchtert, in der Regel gibt es nicht diese komische sexuelle Energie am Set.

Die Serie "Hit & Miss", eine Produktion des britischen Fernsehsenders Sky Atlantic, illustriert, wie die Schauspielerin Chloë Sevigny ihre Filme auswählt. Darin spielte sie eine transsexuelle Auftragskillerin, bereits in den Anfangsminuten war sie in voller Pracht mit Penisprothese zu bewundern. Sevigny kann heute auf eine unorthodoxe Schauspielkarriere zurückblicken.

Trailer zu "Kids" von Larry Clark.
Movieclips Trailer Vault

In diesem Jahr werden sechs Filme mit ihr erscheinen, ein glatter Hollywoodstar ist sie trotz mittlerweile langer blonder Mähne nicht, eher Heldin abseitiger Filme mit einem Faible für eigensinnige Rollen.

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In der Serie "Big Love".
Foto: Ronald Grant Archive Mary Evans Picturedesk

Untergegangen sind ihre Auftritte aber nie. Dafür sorgt eine wie Sevigny schon selbst, sie hat ein sicheres Gespür fürs provokante Fach – und ein Faible für Nacktszenen. Nach der Präsentation von "The Brown Bunny", einem Film von und mit Vincent Gallo, sprachen alle über ihre Blowjob-Szene. Fünf Staffeln spielte sie die spröde Nicolette Grant, Zweitfrau eines Polygamisten, dafür gewann sie 2010 einen Golden Globe.

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Ihr skandalträchtiger Auftritt in "The Brown Bunny".
Foto: Kinetique Mary Evans Picturedesk

Zum Geschäft gehört in Film und Mode die Öffentlichkeitsarbeit auf dem roten Teppich. Wirklich gerne mache sie das nicht, hat Sevigny in der Vergangenheit erklärt. Sie weiß das allerdings gut zu verbergen.

STANDARD: Fühlen Sie sich auf dem roten Teppich noch immer unwohl?

Sevigny: Ja, das Licht ist grausam, und überall sind Digitalkameras. Niemand will die Leute im Blitzlicht wirklich gut aussehen lassen.

STANDARD: Macht Ihnen das Leben als Celebrity noch Spaß?

Sevigny: Na ja ... es macht mir Spaß, mein Lieblingslokal zu besuchen, würde jetzt wohl jeder Star antworten.

STANDARD: Und was sagen Sie?

Sevigny: Ich repräsentiere in der Branche einen anderen Typus Frau. Das empfinde ich auch als eine gewisse Verantwortung. Es ist mir zum Beispiel ein Anliegen, auf Instagram zu zeigen, dass es nicht nur Models und die Kardashians, sondern auch Frauen wie Anna Magnani, dass es eben verschiedene Arten von Schönheit gibt. Deshalb poste ich dort andere Frauentypen, meist Regisseurinnen oder Schauspielerinnen, die ich gut finde.

STANDARD: Strengen Sie soziale Medien wie Instagram an?

Sevigny: Ach, manchmal poste ich einmal in der Woche etwas, dann wieder täglich. Ich fühle mich eher unter Druck, da ich nicht Unmengen an Followern habe. Ich bin eben älter als die Millennials. (Anmerkung: Sevigny hat auf Instagram 555.000 Fans.) So bekommt man ein Gefühl dafür, welchen Stellenwert man in dieser Welt hat.

STANDARD: Sie sind seit zwanzig Jahren Teil der amerikanischen Celebrity-Kultur. Wie hat die sich verändert?

Sevigny: Es werden junge, schöne Mädchen gefeiert, das war aber schon immer so. Ich weiß auch nicht, wie sich das für diese Leute anfühlt, ich war ja nie Teil davon.

STANDARD: Immerhin sind Sie schon als Teenager vom "New Yorker" zum "coolsten Mädchen der Welt" erklärt worden. Wem passiert das schon?

Sevigny: Damals gab es kein Internet, es war schon alles sehr anders. Ich habe einfach immer mein Ding gemacht, deshalb haben die Leute mich gut gefunden.

An dieser Stelle untertreibt Sevigny gewaltig. Kaum eine Schauspielerin ist es in der Prä-Internet-Ära ähnlich erfolgreich gelungen, sich als Stilvorbild zwischen Underground und Mainstream zu etablieren. Nachzublättern ist Sevignys bunter, eigenwilliger Lifestyle in ihrem 2015 erschienenen, 222 Seiten dicken Buch. Da ist nachzuschauen, wie die Schauspielerin für Kim Gordons legendäres Streetwear-Label X-Girl oder für das Pariser Magazin "Purple" modelte.

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Mit ihrem damaligen Freund Harmony Korine, 1999.
Foto: Reuters / Claudio Papi

Teil der coolen Gang war Chloë Sevigny schon immer. Zu Hause in Darien, Connecticut, da, wo der weiße Wohlstand, die Yacht- und die Jagdklubs zu Hause sind, gehörte sie dank ihres um drei Jahre älteren Bruders Paul (er betreibt heute ein Lokal in New York und ist mit einer Österreicherin verheiratet) zur In-Clique. So privilegiert wie die anderen in ihrer Umgebung seien sie und Paul nicht aufgewachsen, wird die Schauspielerin nicht müde zu betonen. Diese Attitüde hat sich Sevigny bis heute bewahrt.

STANDARD: Wer waren damals Ihre Stilvorbilder?

Sevigny: Für mich waren meine Freunde und die Leute um mich herum wichtig. Jedenfalls keine Celebritys. Eher Schauspielerinnen aus den 1970ern wie Bianca Jagger und Hannah Schygulla und ihre Outfits oder Frauen wie Patti Smith. Das "Face-Magazin" und das "i-D-Magazin" und die Bilder von Corinne Day, dieses Grunge-Styling, die dekonstruierten Sachen von Margiela, waren wichtig für mich.

STANDARD: Sie gehören zu den wenigen Schauspielerinnen, die ihre Kleidung für öffentliche Auftritte ohne Stylist aussuchen. Nimmt man sich da Kritik am Outfit mehr zu Herzen?

Sevigny: Na ja, das ist immer noch meine eigene Entscheidung, die ich da treffe. Manchmal mache ich mir nicht so viele Gedanken über mein Outfit, das passiert mit einem guten Stylisten natürlich nicht, da ist jedes Detail durchdacht. Aber klar, wenn ich die falsche Outfit-Wahl getroffen habe, bin ich verärgert. Ich würde außerdem schon jemanden engagieren, ich will nur nicht dafür bezahlen (lacht).

STANDARD: Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben, wie die Modephase, in der Sie sich gerade befinden?

Sevigny: Ich würde das nicht als Phase bezeichnen. Ich habe das Gefühl, ich trage seit zehn Jahren dieselben Sachen. Ich mag zum Beispiel Vintage-Gaultier gern.

STANDARD: Sie haben vermutlich einen großen Kleiderschrank ...

Sevigny: ... einen viel zu großen. Zum größten Teil hängen in ihm Secondhand-Sachen.

STANDARD: Wo kaufen Sie die am liebsten ein?

Sevigny: In allen Vintage-Shops, die High Fashion verkaufen.

Chloë Sevigny hat vermutlich schon zu viele Interviews zum Inhalt ihres Kleiderkastens gegeben – so richtig Lust hat sie nicht, über Mode zu reden. Dann vielleicht über etwas, was sie gerade bewegt. Auf Instagram postet Sevigny in letzter Zeit neben Porträts von Frauen wie Jane Campion oder Gena Rowlands auch Bilder zum Women's March und zu Frauenthemen.

STANDARD: Ist es für Sie wichtig, politisch Stellung zu beziehen?

Sevigny: Sagen wir so: Ich fühle da eine gewisse Verantwortung.

STANDARD: Was verstehen Sie unter Feminismus?

Sevigny: Ganz einfach: gleiche Rechte, gleiche Bezahlung. Mich als Feministin zu bezeichnen ist für mich mehr als ein modisches Statement. Feministin war ich einfach immer, glaube ich.

STANDARD: Beobachten Sie unter jungen Frauen ein zunehmendes Interesse an feministischen Themen?

Sevigny: Ich hänge zu wenig mit wirklich jungen Frauen rum, das kann ich so nicht sagen (lacht). Aber es gibt natürlich diesen Instagram-Feminismus. Was ich irritierend finde, ist, dass es jungen Frauen schwerfällt, sich zum Feminismus zu bekennen, weil sie gleichzeitig sexy rüberkommen wollen – und das von Männern und der Umgebung nicht verstanden wird. Da gibt es ja genügend Auseinandersetzungen und Missverständnisse zwischen den alten und den jungen Feministinnen. Ich finde aber, dass es Zeit ist, diese Grabenkämpfe zu überwinden.

STANDARD: Wie haben sich New York und die Kunst- und Kulturszene seit Trump verändert?

Sevigny: Die Leute beginnen sich in Gruppen zu organisieren, gehen raus auf die Straße, protestieren – letztens auch bei mir direkt vor dem Haus. Ich hoffe, diese Stimmung hält an.

Chloë Sevigny, ledig, kinderlos, hält privat am unverbindlichen Leben einer Mittzwanzigerin fest. Seit einigen Jahren an ihrer Seite: Ricky Saiz, ein New Yorker Szenetyp, dunkelhaarig, blass, tätowiert, Lederjacke, noch dazu Co-Designer des gehypten Streetwear-Labels Supreme.

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Zusammen mit ihrem Freund Ricky Saiz.
Foto: Picturedesk / dpa Picture Alliance / Dennis Van Tine

Mit ihm wurde sie im Mikrobikini am Strand von Los Angeles oder auf dem Flohmarkt oder knutschend an einer Häuserwand fotografiert. Brav geht anders – Sevigny war immer im Visier der Paparazzi und der Objektive. Jetzt hat sie den Spieß umgedreht.

STANDARD: In Ihrem zweiten Kurzfilm spielen nicht Sie, sondern eine Frau die Hauptrolle, die man nicht unbedingt kennt.

Sevigny: Carmen Lynch ist Comedian, wuchs in Virginia auf und lebt heute in New York. Sie hat einen sehr trockenen Humor, die Leute lieben oder hassen sie. Vor meinem Film habe ich einige Vorstellungen von ihr gesehen. Einmal habe ich sie in New York erlebt, als kein Mensch über ihre Witze gelacht hat. Das war am Times Square, da saßen vor allem Touristen und viele Trump-Fans im Publikum. Dann habe ich sie in Downtown New York gesehen, wo vor allem echte New Yorker im Publikum saßen – da haben sich alle totgelacht.

Spieglein, Spieglein: Comedian Carmen Lynch in Sevignys zweitem Kurzfilm, erschienen in der Reihe "Women's Tales" von Miu Miu.
Foto: Brigitte Lacombe

STANDARD: Was hat der Film mit Ihnen zu tun?

Sevigny: Ich wollte ein Porträt über eine Künstlerin machen. Der Film ist eine Studie über eine Frau, die unterwegs ist und ihre Arbeit macht. Ich kenne das, ich bin auf Drehs oft in schrägen Städten unterwegs. Zum Beispiel in Portland, wo auch Carmen spielt.

STANDARD: Ihre Protagonistin betrachtet sich eingehend im Spiegel, kennen Sie das?

Sevigny: Mir selbst fällt es in meinen Filmrollen immer schwer, mich im Spiegel zu betrachten, deshalb habe ich das zum Thema gemacht.

STANDARD: Hängen bei Ihnen zu Hause etwa keine Spiegel?

Sevigny: Ich habe tatsächlich nur einen im Badezimmer. Da versuche ich morgens erst eine Stunde nach dem Aufstehen hineinzuschauen.

STANDARD: Dabei ist es heute doch normal, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Alle machen ständig Selfies. Sie auch?

Sevigny: Ich hasse Selfies, ich hasse diese ganzen Smartphone-Fotos. Und ich vermisse die guten alten Blackberry-Zeiten, als es noch ein Vergeben und Vergessen gab. Wenn jemand auf Instagram zu viele Selfies postet, folge ich dieser Person einfach nicht mehr. Das ist mir zu selbstbezogen. Gleichzeitig bin ich natürlich Teil dieses Geschäfts. Manchmal, wenn mich Fans bitten, ein Foto mit ihnen zu machen und ich mich schlecht fühle, lehne ich das ab.

Die Interviewzeit ist um, Chloë Sevigny hat beruflich viel um die Ohren. Vielleicht ist zur Abwechslung aber einfach wieder einmal Ricky am Zug. Das verrät sie leider nicht. (Anne Feldkamp, RONDO Exklusiv, 8.4.2017)

Chloë Sevigny, 2016 erstmals als Regisseurin in Cannes zwischen Sandrine Kiberlain und Laetitia Casta.
Foto: APA / AFP / Valery Hache

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