Das umgebaute Haus an der Wiener Adresse Hermanngasse 29 mit 13 Wohnungen, einer Ordination und Geschäften wurde 1989 bezogen.

Foto: STANDARD

Grundriss 1. Stock

Plan: Rüdiger Lainer

Grundriss 2. Stock

Plan: Rüdiger Lainer

Axonometrie 2. Stock

Plan: Rüdiger Lainer

Schnitt

Plan: Rüdiger Lainer

Das Wohnprojekt Hermanngasse, eines der ersten Gemeinschaftswohnprojekte Wiens, befindet sich in einer ruhigen Seitengasse im 7. Bezirk. Eine kleine Privatinitiative beschloss 1985 gemeinsam zu wohnen und ging auf Haussuche.

"Das Haus war eigentlich zum Abriss vorgesehen. Aber dann ist das Denkmalamt gekommen und hat gesagt, es darf nicht abgerissen werden. Der vordere Teil zur Straße hin ist älter und hinten befand sich die ehemalige Fabrik", berichtet Sieglinde Dörfler, Gründungsmitglied des Wohnprojekts.

Das Gebäude, es gehörte der Stadt Wien, wurde von der Gruppe im Eigentum erworben. Bedingung war, es als Gemeinschaftsprojekt zu gestalten und zu nutzen. Nur so war es dem Verein möglich, einen Kredit für den Umbau des Biedermeierhauses zu bekommen.

"Tore zum Reich der Möglichkeiten öffnen"

Dann begaben sich die mittlerweile fünfzehn Mitglieder des Wohnprojekts auf Architektensuche. Sie einigten sich auf Architekten Rüdiger Lainer, der gemeinsam mit der Gruppe das Haus umplanen sollte. Die Herausforderung, ein partizipatives Wohnprojekt realisieren zu können, faszinierte ihn. "Ich habe damals gemerkt, dass das Partizipative – ich wähle aus, beschreibe meine Vorstellungen vom Familienleben und vom Wohnungsgrundriss – zu wenig weit geht. Mir ging es darum, eine Methode zu finden, mit der man die Tore zum Reich der Möglichkeiten öffnet – etwas pathetisch formuliert."

Der Einstieg in die Konzeptionsphase verlief für die Gruppe überraschend: "Rüdiger Lainer wollte, dass wir in freier Phantasie entwickeln, wie wir unsere Wohnungen gestalten wollen", erinnert sich Dörfler. "Ich habe gesagt", erzählt Lainer, "versucht euch vorzustellen, wie ihr gerne leben würdet. Nicht im Sinn von Räumen, sondern: wie lebe ich von Träumen, von Geschichten, etwa: würde ich gerne fliegen können? Schreibt Gedichte, Geschichten oder zeichnet Bilder. Entwerft die Vision einer zukünftigen Welt, die farbig genug ist, um erstrebenswert zu sein, aber vage genug ist, um Potential für konkrete Entwicklung zu besitzen."

Die Phantasie der Gruppe lieferte dem Architekten reichlich Material für die Umplanung des Hauses. Im Wiener Stadterneuerungsfonds "gab es unglaublich engagierte Leute, und da es eines der ersten Totalsanierungsprojekte war, gab es keine Hindernisse", unterstreicht Lainer.

Das Ergebnis beinhaltete architektonische Elemente, die heute im gemeinschaftlichen Wohnen selbstverständlich sind: Freiflächen, die Begegnung ermöglichen, Gemeinschaftsräume und Räumlichkeiten für einen kleinen Kindergarten.

Vier Meter hohe Räume

Die Fabrikräume mit ungewohnten vier Metern Höhe erlaubten ungewöhnliche Raumnutzungen. "Es gibt Wohnungen mit geschwungenen Mauern, Badezimmer in Form einer Schnecke, manche im Halbstock eingebaut, und farbige Innenwände im Haus", sagt Sieglinde Dörfler. Rüdiger Lainer wollte einerseits "aus Respekt vor der Geschichte" mit der Substanz des Hauses schonend umgehen, anderseits musste er technische Funktionen in die Räume integrieren. "Wenn alle sagen, das ist von den Kosten her nicht umsetzbar, dann müssen wir etwas finden, damit es umsetzbar ist. Badezimmer, WCs, Küchen haben wir deshalb als Funktionseinheiten konzipiert und als Implantate eingesetzt."

Für Dörfler ist Lainers architektonisches Konzept voll aufgegangen: "Unser Projekt ist gut geglückt. Es gab in all den Jahren nur drei Besitzerwechsel."

Die Wohnbedingungen sind ein wesentlicher Faktor dafür, dass das Gemeinschaftsprojekt Hermanngasse gelungen ist. Aber, meint Dörfler, damit Gemeinschaft gelebt werden kann, "muss ich zuerst wissen, was mir wichtig ist im Zusammenleben. Und ich muss wissen, welches Konzept ich für mein Leben habe. Auch für mein Alltagsleben: Halte ich zum Beispiel Kinder aus, die Lärm machen."

"Keinen Querulanten dabeihaben"

Die Zeit sei wichtig, um gemeinsam Regeln für das Zusammenleben zu finden. "Alle Beteiligten brauchen viel Geduld mit sich und den anderen, um nicht zu schnell aufzugeben. Aber so lernt man die anderen und sich selbst kennen. Man lernt, wo man vorsichtig oder toleranter, großzügiger sein muss. Und man sollte darauf achten, dass man keinen Querulanten dabeihat."

Partizipative Wohnprojekte erbringen den Nachweis, so Lainer, "dass Architektur eine soziale, eine gesellschaftsverändernde Relevanz hat. Um die Gesellschaft zu verändern, muss man die Bedingungen verändern, und ein Teil davon sind die Wohnbedingungen, es sind nicht nur die Produktionsbedingungen." (Michael Kerbler, 9.4.2017)