Ronny Blaschke: "Es fließt viel staatliches Geld in den Fußball. Da kann der Sport auch etwas zurückgeben."

Foto: Reinaldo Coddou H.

Wien – So schnell kann es gehen: Im September 2013 wurde Ronny Blaschke vom Verfassungsschutz Niedersachsens darüber informiert, dass er versehentlich unter Beobachtung stand. Sein Name war aufgrund einer Verwechslung in einer Extremismusdatei gelandet. Dabei schreibt Blaschke nur Bücher. Etwa "Versteckspieler. Die Geschichte des schwulen Fußballers Marcus Urban" oder "Angriff von Rechtsaußen. Wie Neonazis den Fußball missbrauchen."

Sein neuestes Werk heißt "Gesellschaftsspielchen" und befasst sich mit der sozialen Verantwortung des Fußballs. In der Wiener Hauptbücherei war er nun zu Gast bei einer Podiumsdiskussion und sprach nebenbei mit dem STANDARD.

STANDARD: Mittlerweile gehört es zum guten Ton, dass sich Fußballvereine sozial engagieren. Sie sehen die Maßnahmen kritisch zwischen "Hilfsbereitschaft und Heuchelei". Warum Heuchelei?

Blaschke: Heuchelei ist ein starkes, überspitztes Wort. Natürlich sagt kein Verein, kein Verband, dass er soziale Aktionen nur für sein Image setzt. Der Fußball ist aber eine schnelllebige Branche. Vieles passiert anlassbezogen, weniges wirkt nachhaltig.

STANDARD: In Österreich wurden einige Schwerpunkte für Flüchtlinge gesetzt. Es gab Trainings und Freikarten, nun ebben die Initiativen wieder ab.

Blaschke: In Deutschland ist das ähnlich. Aber kann man das den Vereinen zum Vorwurf machen? Es rücken neue Themen nach. Mir geht es um die Widersprüche: Alle Vereine haben Projekte für benachteiligte Kinder. Gleichzeitig machen sie sich von Sportartikelherstellern abhängig, die Kinder in asiatischen Ländern ausbeuten.

STANDARD: Sind sich die Vereine dessen bewusst? Oft sind die Produktionsabläufe nicht transparent.

Blaschke: Ich bitte Sie, mittlerweile weiß doch jeder, unter welchen Bedingungen die Hersteller produzieren lassen. Noch ein anderes Beispiel: Viele Vereine haben Solaranlagen auf dem Dach, gleichzeitig lassen sie sich Besonnungsanlagen bauen, die den Rasen im Winter wachsen lassen. Mit einem vernünftigen ökologischen Konzept hat das wenig zu tun.

STANDARD: Werden soziale Agenden von den Vereinen nicht professionell betrieben?

Blaschke: Manchmal kümmert sich der Praktikant darum, dann die Presseabteilung. Da wird ein Projekt gestartet, aber im Grund weiß man nicht genau, wie es damit weitergeht und ob es überhaupt funktioniert. Auch auf diesem Gebiet benötigt es Experten. Historiker, Umweltschützer, Sozialarbeiter. Die können vielleicht nicht jede Meisterschaft aufzählen, wissen aber, was zu tun ist.

STANDARD: Gibt es auch löbliche Ausnahmen?

Blaschke: Ich nenne gerne Werder Bremen. Der Verein hat eine zehnköpfige Abteilung, die sich nur um Soziales kümmert. Vereine sind Unternehmen, die dutzende Interessengruppen befriedigen müssen. Darauf muss man sich einstellen.

STANDARD: Kann der Verein seinen Fans das Engagement auch in Zeiten sportlicher Misere verkaufen?

Blaschke: Werder überlegt sich genau, ob soziale Projekte nach einer Niederlage publik zu machen sind. Sonst heißt es: Kauft euch lieber einen besseren Stürmer!

STANDARD: Was nützt dem Verein also seine soziale Tätigkeit?

Blaschke: Er konnte neue Sponsoren finden. Man darf nicht naiv sein. Nur mit Idealismus ist in der Kommerzlogik nicht zu bestehen. Bremen spielt seit Jahren keinen erfolgreichen Fußball. Und trotzdem besteht eine hohe Identifikation: bei Sponsoren, Fans und auch in der eigenen Belegschaft.

STANDARD: Das gelingt Anderen auch, Engagement hin oder her.

Blaschke: Die Zahl der kritischen Fans wächst, der Fußball ist nicht mehr uneingeschränkt positiv besetzt. Wenn die Schere zwischen Arm und Reich aufgeht, werden zweistellige Millionengehälter auch skeptischer betrachtet werden. Und die großen Ligen können nicht ewig weiter Rekordumsätze feiern.

STANDARD: Der durchschnittliche Fußballfan wirkt nicht so, als würde er sich an den Gehältern stoßen.

Blaschke: Dabei könnte man sich an dieser Stelle doch wunderbar empören. Aber mir ist schon klar: es wird nichts verändern. Das kann man nur als Argument führen, um den Fußball ein Stück weit in die Pflicht zu nehmen.

STANDARD: Sehen Sie den Sport also in einer Art Bringschuld?

Blaschke: Die Stadionbauten, die Polizeikosten, die Fanprojekte – in Deutschland fließt viel staatliches Geld in den Fußball. Da kann der Sport auch etwas zurückgeben. Die deutsche Bundesliga ist immer ganz stolz, dass sie eine Milliarde Steuern zahlt, großartig, aber sie gibt auch eine Milliarde für Spielergehälter aus.

STANDARD: Warum stellen Sie diesen hohen moralischen Anspruch gerade an den Fußball? Bei anderen Unternehmen muss man froh sein, wenn sie Steuern bezahlen.

Blaschke: Dieses Argument kommt auch ganz oft von den Vereinen. Die Antwort ist einfach: Jeder Träger in der Öffentlichkeit sollte ein Gespür für sein Lebensumfeld entwickeln. Aber der Fußball steht in einem ganz besonderen Maß in der Öffentlichkeit. Neben der Bundesregierung hat der FC Bayern in Deutschland die meisten Medienanfragen. Der Sport schürt die Erwartungen. Sieht man sich den Nachhaltigkeitsbericht des DFB an, denkt man, der Verband rettet die Welt im Alleingang. Eine unerschöpfliche Quelle an sozialer Hilfe.

STANDARD: Sagen wir Positives: In puncto Antidiskriminierung hat der Fußball Zeichen gesetzt.

Blaschke: Ja, aber irgendwann verstauben die Folder in einem Pappkarton. Der gesamte Prozess des Gewinnstrebens sollte hinterfragt werden. Wo kommt das Geld her? Wie soll das Geld verteilt werden? Darüber müsste man nachdenken. Dann würde Bayern München vielleicht ein Trainingsspiel in Saudi-Arabien hinterfragen.

STANDARD: Wie könnte das Geld denn vernünftig verteilt werden?

Blaschke: Man muss überlegen, welche Summen im Spiel sind und wie viel davon in Soziales fließen kann. Die Relationen sind unangemessen. Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp meint, drei Prozent des Gesamtumsatzes wären angebracht. Das ist unrealistisch. Ein Prozent wäre eine gute Sache. Das muss möglich sein.

STANDARD: Aber mit diesen Themen erreicht man keine Massen, es fehlt mediale Aufmerksamkeit.

Blaschke: Es gibt in den Medien Nischen. Die Fußballberichte in der 'Sportschau' im Öffentlich-Rechtlichen unterscheiden sich manchmal kaum noch von Sky und Bayern TV . Dort will man die Dinge nicht verkomplizieren, auf allen Kanälen wird ein teuer erstandenes Produkt beworben.

STANDARD: Ist der kritische Journalismus abhandengekommen?

Blaschke: Kritischer Journalismus – diese Formulierung gibt es auch nur im Sportbereich. Journalismus muss eigentlich per Definition kritisch sein. Aber wenn der Verband der Sportjournalisten ein Recherchestipendium ausschreibt, bewerben sich nur eine Handvoll Leute. Das ist alarmierend. Oder bin ich mit den Kollegen zu streng?

STANDARD: Vor allem vor Großereignissen liest und sieht man doch viel hintergründigen Journalismus.

Blaschke: Und dann wiederum im Negativen meist überzogen. Ob China, Brasilien oder Südafrika – da wird eine Gesellschaft auf die Funktionärskaste reduziert. Ich freue mich auf die Fußball-WM in Russland. Nicht weil ich schreiben will, dass dort nur Schwulenhasser leben, sondern weil man eine vielfältige und komplexe Gesellschaft beschreiben kann.

STANDARD: Fußballvereine können bis zu 100 Millionen Facebook-Abonnenten erreichen, sie haben den direkten Draht zum Zielpublikum. Damit schwindet auch das Bedürfnis, sich den mühsamen Fragen klassischer Medien zu stellen.

Blaschke: So ist es nun mal, das werden wir nicht mehr zurückstellen können. Dann müssen die etablierten Medien den Sport eben als Debattenforum begreifen. Wir sollten über Doping und Gewalt berichten. Aber auch über Integration und Bildung. Niemand soll sagen, dass man im Fußball nicht über den Spielfeldrand hinausblicken kann. (Philip Bauer, 7.4.2017)