Herzlich willkommen zu "Lass uns was Verrücktes tun" – advanced level. Nun gut, alte Naturvölker, die Indianer in Amerika aber auch die "Guanches" auf den kanarischen Inseln, haben das sogenannte "Vision Quest" als Ritual gewürdigt. Junge Männer sollten, um richtige zu werden, für drei Tage alleine in den Wald, um auf Visionssuche zu gehen. Nur Wasser, kein Essen, keine Ablenkung. Was den Indianern zu tiefen Einsichten und außergewöhnlichen Erfahrungen gereichte, wollten wir auch probieren. Und zwar in den kühlen Bergen im Norden Teneriffas. 

Die Berge Teneriffas.
Foto: Jakob Horvat

Mein Reisekompagnon Martin suchte sich einen von Wind und Wetter ungeschützten Platz am Gipfel eines Hügels, hatte dort aber auch Sonne und ergo trockenes Feuerholz. Ich entschied mich für ein feuchtes Bachbett im tiefen Wald, kaum Sonne für drei Tage, kein Lagerfeuer, dafür Schutz vor Wind und Regen. In meinem selbst aus Ästen zusammengetragenen Unterschlupf fühlte ich mich kurz wie Rambo – sehr kurz.

Es regnete hinein, es machte meinen Schlafsack nass, kurzum: es war nicht besonders lustig. Aber es öffnete mir die Augen. Noch nie verbrachte ich so viel Zeit in völliger Einsamkeit, ohne Handy, ohne Buch, ohne Musik. Noch nie habe ich drei Tage lang nichts gegessen. Ich darf das ein Abenteuer nennen. So viele Menschen nennen das ihren Lebensstandard. Zwei Tage vor Weihnachten war ein guter Zeitpunkt, um mir dessen bewusst zu werden. 

Wie findet man ein Boot über den Atlantik?

Orte auf Kartonschilder zu schreiben, sich an Kreisverkehre und Straßenränder zu stellen und den Daumen hinauszuhalten, ist das eine. Segler zu finden, die zwei fremde Männer für drei Wochen auf engstem Raum eines Bootes mit über den Atlantik nehmen, ist das andere. In Las Palmas, der Hauptstadt von Gran Canaria, befindet sich der größte Hafen der kanarischen Inseln. Dort wollen wir unser Glück versuchen. Und, wir sind nicht die einzigen, die auf solch glorreiche Ideen kommen. Die schwarzen Bretter der Seglerbars sind voll von den Annoncen derer, die ein Boot über den Atlantik suchen.

Schon am Blackboard Aufmerksamkeit zu erregen war unsere Strategie. Es hat funktioniert, nach drei Tagen kennt man uns im Hafen. Das mag auch daran liegen, dass wir über sämtliche Stegtore klettern, die Typen wie uns eigentlich von den Segelbooten fernhalten sollen. Oder daran, dass wir täglich zehn bis zwanzig Segler ansprechen, Gin & Tonic aus dem Rucksack heraus anbieten, mit einigen sehr inspirierende Unterhaltungen führen und zum Grillen im Hafen eingeladen werden.

Der Hafen von Las Palmas. Ein Hotspot für Weltumsegler und Abenteurer.
Foto: Jakob Horvat

Nach zehn Tagen intensiver Suche ereignet sich zweierlei: Martin entscheidet, mich auf der Odyssey nicht zu begleiten und aus Zeit- und Liebesgründen ein Flugzeug nach Amerika zu nehmen. Als wir im Sonnenschein des Puerto Deportivo von Las Palmas auf zwei außergewöhnliche Monate gemeinsamen Reisens anstoßen, klingelt mein Telefon. Wir haben ein Boot. Ich habe ein Boot.

Zwei Wochen im Trockendock von Arrecife

Bis meine Mitsegelgelegenheit am 2. Februar ablegt, habe ich noch drei Wochen Zeit. Timon, den ich bei meiner Bootssuche in Las Palmas kennengelernt habe, lädt mich ein, auf seinem Katamaran mit nach Lanzarote zu segeln. Der Nachttörn auf die Ostinsel der Kanaren wird stürmisch. Ich versuche, mich daran zu gewöhnen, schlafphasenweise durch die hohen Wellen immer wieder den Kontakt zu meiner Matratze zu verlieren.

Die folgenden zweieinhalb Wochen helfe ich dem sympathischen Schweizer für Kost und Logis bei seiner umfangreichen Bootswartung in Arrecife, der Hauptstadt von Lanzarote. Ich wohne auf einem 50-Fuß-Katamaran im Trockendock und lerne viel über Boote. Manches kann man nicht planen, manches passiert nur von selbst – wenn man es zulässt.

Foto: Jakob Horvat

Ich nutze die Zeit, um mein Spanisch zu verbessern, gehe Salsa tanzen, erkunde die Insel. Und bereite mich mental auf die Atlantiküberquerung vor – mit anderen Worten: mir geht ein bisserl der Reis! (14.4.2017)

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