Ein höherer Mindestlohn dürfe nicht zur Abwanderung von Betrieben führen, warnt WKO-Präsident Christoph Leitl.

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Als Drohung will Leitl den in den Raum gestellten Alleingang der Sozialpartner-Abgeordneten nicht verstanden wissen.

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Wien – Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl drängt auf mehr Tempo bei der Bildungsreform und bei der Abschaffung von Mehrfachbestrafungen von Unternehmern im Verwaltungsbereich.

Sollten die Konzepte der Sozialpartner bis zum Sommer nicht umgesetzt werden, könnten Abgeordnete der Sozialpartner im Parlament eigenständig Initiativanträge einbringen, kündigt Leitl im Interview mit dem STANDARD an. Als Drohung will er das aber nicht verstanden wissen.

STANDARD: Sie haben gerade die Wirtschaftskammer-Reform in trockene Tücher gebracht. Jetzt stehen die nächsten Großprojekte vor der Tür: Die Regierung verlangt bis Ende Juni Einigungen der Sozialpartner bei den Themen 1.500 Euro Mindestlohn und Arbeitszeitflexibilisierung, ansonsten drohen gesetzliche Maßnahmen.

Leitl: Die Regierung hat uns diese zwei Aufträge erteilt. Die haben wir zu erfüllen, und wir werden auch liefern, sonst beschädigen wir uns ja selbst. Umgekehrt haben wir der Regierungsspitze im Jänner bei der Neuverhandlung des Koalitionsprogramms gesagt: Wir erwarten als Sozialpartner, dass die seit längerem vorliegenden ganzheitlichen Bildungskonzepte umgesetzt werden. Und auch das Problem der Mehrfachbestrafung im Verwaltungsbereich ist noch immer ungelöst. Das heißt: Jede Seite hat zwei Punkte abzuarbeiten.

STANDARD: Im Bildungsbereich hat die Bundesregierung gerade ein großes Paket vorgelegt, das den Schulen mehr Autonomie einräumt und die Verwaltung neu regelt.

Leitl: Das sind nur organisatorische Maßnahmen. Die unterstützen wir zwar, aber wir brauchen ein Bildungssystem, das noch viel stärker auf die Begabungen und Talente der Kinder eingeht. Es geht darum, wie wir nicht nur 60 Prozent, sondern mindestens 80 Prozent der Begabungsreserven ausschöpfen können.

STANDARD: Die Konzepte der Sozialpartner beinhalten unter anderem eine gemeinsame Schule bis 14. Das war aber immer ein Reizthema innerhalb der ÖVP.

Leitl: Wir haben uns auf eine nach Begabung differenzierte gemeinsame Schule geeinigt. Die Befürchtung eines Einheitsbreis wurde damit ausgeräumt, ebenso die Angst der anderen Seite vor einer frühzeitigen Bildungsselektion im Alter von zehn Jahren. Wir haben auch vorgeschlagen, die Schulpflicht neu zu denken. Wer nach neun Jahren bestimmte Standards nicht erreicht, soll noch ein zehntes oder elftes Schuljahr dranhängen. Auch die Möglichkeiten, mit Lehre studieren zu können, müssen ausgeweitet werden.

STANDARD: Mit Verlaub: Es schaut aber nicht so aus, als ob diese Dinge bis zum Sommer umgesetzt werden. Bis jetzt konnte sich die Regierung nicht einmal auf Modellregionen für die gemeinsame Schule einigen. Was passiert, wenn die Koalition nichts vorlegt?

Leitl: Dann sind Initiativanträge von Abgeordneten der Sozialpartner im Parlament denkbar. Die Regierung sagt uns: Wenn ihr nichts zustande bringt, müssen wir es selber machen. Und wir sagen umgekehrt: Wenn ihr in diesen Bereichen nichts zustande bringt, dann müssen es die Abgeordneten im Parlament selber machen.

STANDARD: Das wäre aber äußerst ungewöhnlich. Würde das nicht massiven Unmut in der ÖVP auslösen, wenn einzelne Abgeordnete einen Antrag zur gemeinsamen Schule einbringen würden?

Leitl: Erstens gibt es auch innerhalb der ÖVP unterschiedliche Strömungen – schauen Sie nach Vorarlberg, nach Tirol. Und zweitens ist für mich nicht entscheidend, ob man sich gemäß irgendeiner Räson verhält. Es geht darum, dass Regierung und Sozialpartner in einer wechselseitigen Ergänzung politische Verantwortung übernehmen und die beste Politik machen. So wie die Regierung Anstöße in Richtung Arbeitszeit und Mindestlohn gibt, geben wir Anstöße in Richtung Abschaffung von Mehrfachbestrafungen und Bildungssystem.

STANDARD: So etwas kann aber eigentlich nur als Drohung verstanden werden. Wenn Teile der Regierungsparteien ohne Abstimmung mit der Regierung Anträge einbringen, ist damit natürlich eine gewisse politische Sprengkraft verbunden.

Leitl: Nein, das ist keine Drohung, darum geht es mir nicht. Das sind wichtige Zukunftssachfragen, parteipolitische Machtfragen sind nicht nützlich. Wenn daraus taktische Spielchen werden, geht in der Sache nichts mehr weiter.

STANDARD: Zieht ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner bei diesen Fragen am gleichen Strang wie Sie?

Leitl: Ich kann nur die Gespräche vom Jänner wiedergeben, als wir mit dem Bundeskanzler und dem Vizekanzler zusammengesessen sind. Da haben wir das wechselseitig besprochen. Jede Seite hat Aufgaben übernommen. Wir haben klare Erwartungen, dass die andere Seite nicht nur uns Hausaufgaben mitgibt, sondern selbst ihre Hausaufgaben erledigt.

STANDARD: Wie weit ist die Wirtschaft bei den Verhandlungen mit der Gewerkschaft zum Thema Mindestlohn? Bis wann wird realistischerweise jeder 1.500 Euro brutto im Monat verdienen?

Leitl: Das werden erst die Verhandlungen zeigen. Beim Mindestlohn sind wir aber schon jetzt die Zweithöchsten in Europa. Die Frage ist immer: Was ist machbar, und welche Folgen sind damit verbunden? Am Beispiel der Lederindustrie, die noch deutlich von 1.500 Euro entfernt ist: International gehen viele Firmen zuerst nach Rumänien, dann nach Russland, nach China, und schließlich landen sie irgendwo in Uganda. So etwas wollen wir verhindern. Wir wollen ja, dass Mindestlöhne in Österreich ausbezahlt werden können, weil die Mitarbeiter noch hier beschäftigt sind. Da muss man pragmatische Wege finden. Ich bin aber überzeugt, dass wir diese mit der Gewerkschaft finden werden.

STANDARD: Sie klingen heute nicht gerade amtsmüde. Einige in der Wirtschaftskammer würden schon gerne wissen, wer Ihr Nachfolger wird, und waren auch nicht glücklich, dass Sie noch eine größere Reform mit geplanten Einsparungen von 135 Millionen Euro bis 2019 angehen wollen.

Leitl: Mein Anspruch ist, im weltweiten Vergleich die leistungsfähigste Wirtschaftskammer zu haben. Ich werde heuer noch zum MIT, nach Harvard, ins Silicon Valley, zur ETH Zürich und nach Singapur reisen, um Kooperationen für unsere geplante Innovationsagentur einzugehen, über die heimische Betriebe Zugang zu wichtigen, internationalen Entwicklungstrends bekommen sollen. Wir haben jetzt eine Wirtschaftskammer, die sich den neuen Herausforderungen – Digitalisierung, Migration, Globalisierung – aktiv stellt. Solange ich hier bin, muss ich volle Kraft bringen. Sie erkennen daraus, dass mir die Arbeit noch immer Freude macht.

STANDARD: Die Landeshauptleute Josef Pühringer (Oberösterreich) und Erwin Pröll (Niederösterreich), die gerade zurückgetreten sind, sind kein Vorbild für Sie, jetzt die Übergabe zu regeln?

Leitl: Beide sind insofern Vorbild für mich, als sie eine geordnete Übergabe zum richtigen Zeitpunkt geschafft haben. Wir stehen jetzt aber drei Jahre vor der nächsten Wirtschaftskammerwahl. Da sehe ich die Nachfolgefrage mit heiterer Gelassenheit. Wir werden das unter Einbeziehung aller Beteiligten zu gegebener Zeit ordentlich regeln.

STANDARD: Sie galten intern stets als Förderer von Frauen. Sollte Ihnen eine Frau an der Spitze der Bundeswirtschaftskammer nachfolgen?

Leitl: Wir haben eine gute Handvoll geeigneter Menschen, darunter sind natürlich auch Frauen.

STANDARD: Noch viel mehr als über Ihre Nachfolge wird spekuliert, ob nicht Sebastian Kurz die ÖVP übernehmen sollte. Wäre es fair, wenn Reinhold Mitterlehner kein einziges Mal als ÖVP-Spitzenkandidat bei einer Nationalratswahl antreten dürfte?

Leitl: Personalspekulationen sind für alle lustig, jeder hat eine Meinung. Ich beteilige mich daran aber nicht. Reinhold Mitterlehner hat selbst gesagt: Drei Monate vor der Nationalratswahl wird diese Sache entschieden. Dem schließe ich mich an. (Günther Oswald, 7.4.2017)