Plakat der FPÖ für die Wiener Landtagswahl 2010.

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In der Wirtschafts- und Finanzpolitik pendelt die FPÖ zwischen den Extremen hin und her.

Illustration: Fatih Aydogdu

Wien – Die FPÖ macht es spannend. Seit einem Jahr geistern Meldungen über das Projekt durch die Medien, einige davon augenscheinlich lanciert. Wirtschaftskapitäne in dreistelliger Zahl sollen Input gegeben haben, heißt es, sogar bis New York seien Blaue ausgeschwärmt, um sich Rat an der Wallstreet zu holen.

Sinn der Übung: Die Freiheitlichen wollen sich ein neues Wirtschaftsprogramm verpassen – und damit das notwendige Rüstzeug für eine Kanzlerschaft. Klärungsbedarf gibt es dabei reichlich. Denn oft genug schwankt die größte Oppositionspartei zwischen zwei Extremen.

Über Jahrzehnte fuhr die FPÖ, traditionell eine Partei der Anwälte, Ärzte und auch Hoteliers, auf wirtschaftsliberalem Kurs. Dies blieb erst einmal auch unter Jörg Haider so. Als Gegenpol zur sozialpartnerschaftlichen großen Koalition propagierte die FPÖ Privatisierungen, Deregulierung und eine Flat Tax, die Gutverdiener massiv von Steuern befreit hätte. Um neue Wähler zu ködern, stilisierte sich Haider aber auch zunehmend zum Robin Hood der Entrechteten – und stieß so den blauen Aufstieg in der Arbeiterschaft an. "Die soziale Note existierte aber nur in der Rhetorik", sagt der FPÖ-nahe Historiker Lothar Höbelt, "konkrete Vorschläge fehlten."

Der kleine Mann zahlt

Dies galt auch für die Zeit der schwarz-blauen Regierung. Die FPÖ müsse "links reden" und den Part der Sozialdemokraten übernehmen, habe sich die Führungsriege in Besprechungen vorgenommen, erinnert sich Höbelt. Doch für das Prestigeprojekt des Nulldefizits im Budget zahlte der "kleine Mann" die Zeche, analysierte der damalige Wifo-Chef Helmut Kramer: "Die Konsolidierungsmaßnahmen trafen und treffen besonders die Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen."

In der Folge gab es zwar eine Steuersenkung, doch nach fünf schwarz-blauen Jahren stiegen Arbeitnehmer und Pensionisten laut Rechnung der Arbeiterkammer mit einem Minus aus. Für die Unternehmen belegte die Bilanz hingegen eine satte Entlastung.

Das Gefühl, von Industrie und ÖVP "gelegt" worden zu sein, hatte sich auch in den freiheitlichen Reihen rasch ausgebreitet, erzählt Höbelt – eine Triebfeder für den Funktionärsaufstand von Knittelfeld, der Partei und Regierung ins Chaos stürzte. Der daraus entwachsenen "neuen" FPÖ attestiert der Geschichtsforscher: Erstmals habe die soziale Attitüde "einen konkreten Gehalt".

Sozialabbau nur für Ausländer

Als "soziale Heimatpartei" verkaufen sich Heinz-Christian Strache und die Seinen heute. Im Gleichklang mit linken Globalisierungskritikern bekämpfen sie Freihandelsabkommen, Sozialabbaupläne beschränken sich auf Ausländer. Ob Mindestlohn, Familienbeihilfe oder Mindestpension: Die FPÖ will immer noch etwas drauflegen.

Dem Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister sticht ein Unterschied zu früheren Strategien ins Auge: Anders als Haider, der die "Fleißigen und Anständigen" beschworen hat, halte sich Strache bei Sozialschmarotzerdebatten zurück – man will ja nicht die Arbeitslosen im eigenen Elektorat vergrätzen. Doch im Kern wiederhole sich die Geschichte: "Die FPÖ spricht für die Kleinen, macht aber Politik für die Großen – und ist zu geschickt, um das zu erkennen zu geben."

Für entlarvend hält der Ökonom das Nein zu Vermögenssteuern, die Verteidigung des Bankgeheimnisses passt ebenso ins Bild. Ein neoliberaler Geist stecke auch hinter der propagierten Senkung der Abgabenquote von 44 auf 40 Prozent der Wirtschaftsleistung. Zwar habe die Verwaltung da und dort Speck angesetzt, doch zum Großteil seien die vielzitierten "Strukturreformen", die Strache zur Gegenfinanzierung verspricht, "eine ideologische Fata Morgana", sagt Schulmeister: "Am Ende zahlen jene drauf, die auf Leistungen des Staates angewiesen sind."

So gar nicht im Sinn der kleinen Leute klingt auch ein anderer Vorschlag: Der Wirtschaftsflügel der FPÖ forderte, von den Kollektivverträgen, die Arbeitnehmern Rechte und Lohnniveau garantieren, abzurücken. Eine reine Gedankenspielerei, die es nicht ins Programm schaffen werde, versicherte Strache im Interview mit dem STANDARD, doch eines zeigt die Episode: eine Kluft zwischen proletarisch gefärbten Kadern im Osten und dem in Richtung Westen stärkeren Unternehmertum.

Beobachter Höbelt rechnet damit, dass nun wieder stärker die wirtschaftsliberale Seite durchschlägt: Während das Potenzial in der einst roten Arbeiterschaft weitgehend ausgeschöpft sei, gebe es bei der ländlichen ÖVP-Klientel noch viel zu holen. Als Indiz dafür sieht er den Umstand, dass die FPÖ Barbara Kolm, Leiterin des strikt marktgläubigen Hayek-Instituts, zur Kandidatin für den Rechnungshof gekürt hatte.

Weg zur Knechtschaft

Wie das zur sozialen Heimatpartei passt? Auf den Spuren des Ökonomen Friedrich August von Hayek, der im Sozialstaat den "Weg zur Knechtschaft" beginnen sah, wolle die FPÖ keinesfalls wandeln, sagt Generalsekretär Herbert Kickl, man bediene sich Kolms Instituts vor allem, um Berechnungen anstellen zu lassen: "Wir sind bestimmt keine Neoliberalen." Den Widerspruch zwischen sozialen Verheißungen und Sparprogrammen sieht er nicht – all das werde im neuen Konzept aufgeklärt (siehe Artikel unten).

Helmut Haigermoser wartet auf Antworten. Eine "konturlose Allerweltsgeschichte" biete die FPÖ auf ökonomischem Terrain, sagt der nach einem Krach aus der Partei geschiedene langjährige Chef der blauen Wirtschaftstreibenden. Strache wolle offenbar keine Seite vergrämen – und an "Kapazundern" aus der Wirtschaft fehle es den Freiheitlichen schmerzlich.

Auch das war früher anders: Zwar keimt in der Industriellenvereinigung, etwa in Oberösterreich, schwarz-blaue Nostalgie, doch breiter Rückhalt für eine blaue Regierungsbeteiligung wie seinerzeit zeichnet sich nicht ab. Präsident Georg Kapsch hat Wurzeln im Liberalen Forum, Straches harter Anti-EU-Kurs schreckt ab.

Der Papierindustrielle Thomas Prinzhorn, einst Schlüsselfigur und wirtschaftspolitischer Leitwolf der FPÖ, hat die Führung der eigenen Firma längst an Sohn Cord übergeben. Im Präsidentenwahlkampf hat die Prinzhorn-Holding 20.000 Euro gespendet – für Alexander Van der Bellen. (Gerald John, 11.4.2017)