Jahrelang distanzierte sich Marine Le Pen von rechtsextremistischen Äußerungen, wie sie ihr Vater Jean-Marie des Öfteren getätigt hatte – offensichtlich vergeblich.

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"Ich denke, Frankreich ist nicht verantwortlich für die Razzia im Vel d' Hiv." Mit diesem einzigen Satz entlarvt Marine Le Pen ihr wahres, fragwürdiges Geschichtsverständnis – und durchkreuzt ihr eigenes, bisher so erfolgreiches Politmarketing.

Die Kandidatin des rechten Front National (FN) verharmlost zwar nicht den Holocaust, wie das ihr Vater Jean-Marie Le Pen noch getan hatte, als er sagte, Auschwitz sei "ein Detail der Geschichte". Ihr, der Tochter, geht es um etwas anderes: die Reinwaschung Frankreichs. Dabei ist unbestritten, dass die französische Polizei 1942 diese berüchtigte Razzia gegen jüdische Einwohner von Paris im Wintervelodrom (Vel d'Hiv) auf behördliche Weisung durchgeführt hatte. Deutsche waren an der Massenfestnahme von 13.000 Juden, die später fast alle in der Deportation umkamen, gar nicht beteiligt, wie auch Präsident François Hollande 2012 erklärt hatte. Offen ist nur, inwieweit solche Razzien auf indirektes Betreiben der deutschen Besatzer erfolgten.

Historiker verweisen darauf, dass das Vichy-Regime bei der Judenverfolgung oft weiter ging als von den Nazis verlangt – so etwa im unbesetzten Süden, aber auch in okkupierten Städten wie Paris.

"Nicht Frankreich"

Trotzdem meint Marine Le Pen, die "rafle du Vel d'Hiv", wie sie in französischen Schul- und Geschichtsbüchern genannt wird, sei "nicht das Werk Frankreichs" gewesen. Verantwortlich seien jene gewesen, "die damals an der Macht waren – nicht Frankreich", erklärte sie dem Radiosender RTL.

Kaum war die Sendung zu Ende, präzisierte Le Pen via FN-Communiqué: "Ich verurteile natürlich absolut und ohne Einschränkung das Vichy-Kollaborationsregime und seine Schreckenstaten." Doch jetzt war das Malheur schon angerichtet: Jüdische Organisationen und auch Israel verurteilten die revisionistischen Aussagen Le Pens.

In Frankreich entbrannte sofort die alte "Vichy-Debatte". Le Pen schob nach, schon die früheren Präsidenten Charles de Gaulle (1959–1969) und François Mitterrand (1981–1995) hätten erklärt, dass "das Vichy-Regime nicht Frankreich gewesen" sei. Diese historische Fiktion, die das Herz der Republik während des Zweiten Weltkrieges in der Résistance-Zentrale in London situiert, ist in Paris in der Tat sehr verbreitet.

Der institutionellen Wirklichkeit entspricht sie mitnichten: Die Nationalversammlung der Dritten Republik hatte Marschall Philippe Pétain 1940 die staatlichen Vollmachten übertragen und damit für eine Kontinuität zum Vichy-Regime gesorgt.

Abgrenzung zu Macron

Le Pen hoffte zweifellos, mit ihrer Bemerkung im Wahlkampf punkten zu können, wenn sie Frankreich von einer Geschichtsschuld ausnehme. Vermutlich wollte sie sich auch von ihrem parteilosen Gegenkandidaten Emmanuel Macron abgrenzen, der den Kolonialismus kürzlich als "Menschheitsverbrechen" bezeichnet hatte. Sie wolle, dass die französischen Kinder wieder stolz auf ihr Land sein könnten, meinte Le Pen in der Radiosendung auch noch.

Etwas weiter gedacht, erweist sich ihr Radioauftritt aber wohl als schwerer Fehltritt. Zweifellos unbeabsichtigt erinnert er an die provokativen Geschichtsthesen Jean-Marie Le Pens – von dem sich die auf Salonfähigkeit bemühte Präsidentschaftskandidatin bewusst abheben wollte. Macron hieb gleich in diese Kerbe und meinte: "Sie ist eben doch die Tochter ihres Vaters!"

Die Episode reiht sich in eine Serie von Rückschlägen für die FN-Bewerberin, darunter Schlägereien ihres Front National mit korsischen Separatisten bei einer Wahlversammlung Le Pens – was auch nicht gerade ihre staatstragende Seite herausstreicht. (Stefan Brändle aus Paris, 11.4.2017)