Ein Zelt aus Marmor errichtete die Künstlerin Rebecca Belmore auf dem Filopappou-Hügel.


Foto: Fanis Vlastaras

Man erkennt sie an kleinen, weißen Heftchen, auf denen "Athens Map Booklet" steht. Sie wandeln auf Straßen, irren auf Plätzen herum und sind gehäuft vor den Museen Athens zu beobachten. Die Rede ist von den Besuchern, die auf die Documenta 14 kamen und sich nun auf der Suche nach Orientierung befinden.

An 46 Schauplätzen der Stadt sind Ausstellungen zu sehen oder finden Performances statt. Im Radio und im TV richtete man Nebenschienen ein. Fast könnte man sagen, die Ausstellung sei überall. Und doch ist sie nicht zu greifen. Bündig ist einzig das kuratorische Konzept von Mastermind Adam Szymczyk: Er lässt es auf das "Nichtverstehen" ankommen; er stellt Prozesse statt Resultate in den Vordergrund. Athen wird zur großen Werkstatt, in der wir gemeinsam – die Besucher, die Künstler – an einer besseren Welt arbeiten. So weit, so Blabla.

Dahinter verbirgt sich eine nach allen Richtungen ausfransende Fülle von Arbeiten. Darin gibt es freilich, ja, naturgemäß wiederkehrende Themen, die Flüchtlingsfrage etwa, die Müllfrage, den Körper als großen gemeinsamen Nenner. An manchen Schauplätzen wie etwa der Athens School of Fine Arts (Asfa) wird es politischer im engeren Sinne. Hier porträtiert Bouchran Khalilis Video The Tempest Society Flüchtlinge, die in Griechenland leben. Bonita Ely weist mit aus Plastikmüll gebauten Wesen auf die Zerstörung der Umwelt hin. Hinten wird mit einem Schachspiel, dessen Züge durch die Mehrheit "gewählt" werden, über Demokratie reflektiert. Mag hier die thematische Schwerkraft halbwegs klar sein, vermisst man diese andernorts, zumal auf Beipacktexte weitgehend verzichtet wurde. Das ist zwar konsequent im Hinblick auf das kuratorische Konzept, aber auch ziemlich ermüdend.

Nicht allen Arbeiten gelingt es nämlich, ohne Erläuterung des Kontexts auszukommen. Eine, die es schafft, ist jenes marmorne Zelt, das Rebecca Belmore auf dem Filopappou-Hügel unweit der Akropolis aufgestellt hat, ein Symbol für die Migration als überdauernde Konstante der Geschichte. In eine größere Erzählung zu verlocken, das vermag aber auch jenes eigenartige, postapokalyptische Nomadenlager aus Zelten, Fellen, Naturfundstücken, das Joar Nango in einem Innenhof des Konservatoriums errichtete. Abstrakte Zeichen aus Neonröhren erleuchten das Environment. Ein Text erzählt eine kleine Geschichte von der quasi-kolonialistischen Ausbeutung der Kühlschränke, die altbekannte Verhältnisse umkehrt: "Sie brauchten ein Stück von unserer Kälte", sagen die ausgenutzten Kühlschränke hier.

Ein echtes Highlight lässt sich aber kaum finden, vielleicht wäre das auch zu undemokratisch für Szymczyks Konzept. Was man seiner Ausstellung jedenfalls nicht vorwerfen kann, ist, dass sie einem die Stadt vorenthielte. Man kommt viel herum, auch auf die sogenannten "nicht ausgetrampelten Pfade". In ein urbanes Niemandsland aus Geschäftsgebäuden gelangt, wer die Performance von Nikhil Chopra aufsucht. In einer ehemaligen Taverne schafft der Künstler ein tonfarbenes Wandgemälde, das Meer zeigend. Man schaut ihm zu, wie er eine liebevolle "Höhlenmalerei" schafft, die er später hinter sich lassen wird – wenn er sich im Rahmen seiner Performance auf einen "Road Trip" gen Kassel begibt.

Man kommt herum

Wenig reizvoll ist die Performance im archäologischen Museum der Hafengegend Piräus. Drei Tänzer repetieren inmitten der Exponate Gesten, durchmessen den Raum. Der Wille zum Brückenschlag zwischen den Zeiten ist ersichtlich, am Ende wird man aber doch das Museum selbst aufregender finden als das Stück. Und dann fällt einem wieder ein, dass dieser Umstand ja kuratorisch nicht unerwünscht ist. Immerhin beschwor Szymczyk ja die Kraft des "Verlernens", und dann wäre es ja kein Fehler, aus der Documenta nicht schlau zu werden. Unbefriedigend ist es trotzdem.

Vielleicht geht es hier aber tatsächlich bloß um Momente wie den folgenden: Eines Abends machte sich der Autor dieser Zeilen auf die Suche nach einem künstlerisch bearbeiteten Schaufenster in einer Einkaufspassage. Ein so hilfsbereiter wie neugieriger älterer Grieche gesellte sich hinzu. Freundliche Worte wurden ausgetauscht, zwischenzeitlich war man sich unsicher, ob man die Kunst schon gefunden habe. Diese Begegnung hätte es ohne die Documenta 14 nicht gegeben. Und das kann ja bitte nicht nichts sein. (Roman Gerold, 11.4.2017)