Perugia – Zaina Erhaim wurde in Idlib geboren – in jener syrischen Stadt, die kürzlich Ziel eines Giftgasangriffes wurde. Die syrische Journalistin kennt die Stadt und ihre Straßen, sie weiß, es könnten ihre Freunde oder Familienmitglieder unter den Opfern sein. Die persönliche Betroffenheit unterscheidet einheimische Journalisten wie Zaina Erhaim von Korrespondenten aus anderen Ländern – aber nicht allein diese Betroffenheit.

Tod oder Flucht?

Seit sie auf der schwarzen Liste des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad stehe, hielt sie sich nicht mehr in den von der Regierung kontrollierten Gebieten auf, sagte Erhaim beim Journalismusfestival in Perugia. Ihre journalistische Arbeit würde dadurch stark beschränkt, doch will sie nicht riskieren, in Gefangenschaft des Regimes zu geraten. "Wenn ich aus Gebieten berichte, die der IS ("Islamischer Staat", Anm.) oder die Rebellen kontrollieren, dann weiß ich, dass ich zwar jederzeit von einer Bombe getroffen werden könnte, aber ich weiß auch, dass keine explizite Gefahr der Gefangennahme besteht, und das ist das Wichtigste."

Zaina Erhaim beim Journalismusfestival 2017 in Perugia.
Foto: Veronika Felder für derStandard.at

Mit ihrem Mann hat Erhaim bis 2015 in Aleppo gewohnt. Als Regierungstruppen ihr Viertel erreichten, standen sie vor der Frage: Wohin, wenn die Truppen ihr Haus erreichen? Eine Frage, die sich Syrern laut Erhaim seit dem Beginn des Krieges häufig stelle. Flüchten? Selbstmord? Festnehmen lassen? Erhaims Mann sagte, er würde sie beide umbringen. Lieber der Tod als die Gefangenschaft und Folter, die auf Journalisten im Falle einer Festnahme zukommen würde. Erhaim hätte sich für die Flucht entschieden.

Der Mann fürs Video

Vor dem Krieg, nach dem Abschluss ihres Studiums in Damaskus und London, arbeitete Erhaim für BBC Arabic Television. 2013 ging sie zurück nach Syrien. In den folgenden Jahren berichtete sie mit ihrem Mann von den schrecklichen Ereignissen, die Syrien erschütterten.

Ohne ihn wäre das nicht möglich gewesen, so Erhaim – eine Frau allein an einem Kriegsschauplatz in Syrien sei undenkbar. Die Aufmerksamkeit, die sie auf sich ziehen würde, wäre zu groß, die Fragen zu kritisch. Manchmal durfte sie den Schauplatz als Frau erst gar nicht betreten. Sie brachte ihrem Mann die Videoberichterstattung bei, der dann das Filmen übernehmen musste.

Institut für Kriegsberichterstattung

Erhaim lernte die Kriegsberichterstattung am Institute for War and Peace Reporting (IWPR), 2007, bevor das syrische Regime das Institut des Landes verwies. Heute arbeitet sie für das IWPR.

Erhaim auf dem Screen im Sala dei Notari (Perugia).
Foto: Veronika Felder für derStandard.at

Seit der Revolution und dem Beginn des Krieges berichten auch viele syrische Bürger über den Krieg und ihr Land, der "Citizen Journalism" begann sich zu entwickeln. Um diesen Menschen Unterstützung zu bieten, wurde auch das IWPR wieder in Syrien aktiv. Es stellt Equipment und Mittel zur Verfügung, schult, berät und hilft beim Redigieren. Derzeit finanziert das Institut etwa fünf Kurzfilme aus Syrien.

Frauen, die über den Krieg berichten

Für Frauen, sagt Erhaim, sei die Kriegsberichterstattung besonders schwierig und Journalismus ganz grundsätzlich in einem Land, in dem es weder Gesetz noch Gerichte noch eine Obrigkeit gibt, sondern nur Chaos, Krieg und Gewalt. Und in einem Land mit äußerst konservativen Vorstellungen über die Rolle der Frau, gegen die sie tagtäglich ankämpfen müssten. Ganz besonders, wenn sie mit Radio- und TV-Journalismus sichtbar und präsent arbeiten müssten.

Und doch berichteten viele Frauen unter diesen Bedingungen. Viele von ihnen waren einfache Hausfrauen – und ließen sich nicht mehr in diese Rolle zurückdrängen. Sie wüssten nun, wie es sich anfühlt, finanziell unabhängig zu sein, wie man mit den von ihnen produzierten Artikeln Geld verdiene und wie sich ein selbstbestimmtes Leben anfühlt.

Regime will sie tot sehen

Zaina Erhaim lebt seit 2016 in der Türkei. In Syrien wird sie vom Assad-Regime gesucht, das sie, so ihre Worte, tot sehen will. Ihre Berichterstattung erschwert das naturgemäß, sie habe keinen Zugriff auf Dokumente und sei Erpressungsversuchen ausgesetzt. Und sie sieht sich auch in anderen Staaten potenziell in Gefahr – immer wieder würden auch dort Regimekritiker ermordet.

Als Syrerin könne sie aber auch nicht so einfach in westliche Staaten reisen. 2016, sagt Erhaim, konnte sie etwa am International Journalism Festival in Perugia nicht teilnehmen, da ihrem Mann das Visum verweigert wurde. (Veronika Felder, 12.4.2017)