Gegenwind für ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz und seine Strukturpläne.

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Wien – Die ORF-Redakteursvertreter haben ORF-Chef Alexander Wrabetz nach STANDARD-Infos am Donnerstag ihre formelle Stellungnahme zur geplanten neuen Führungsstruktur des ORF-Fernsehens mit Channel-Managern geschickt. Eine erwartungsgemäß sehr kritische Stellungnahme, die etwa warnt: "Zuallererst müssen Pluralität und Meinungsvielfalt gewährleistet sein, daher dürfen niemals einzelne Personen uneingeschränkten Durchgriff auf die Informationssendungen des ORF haben."

"Wenige Köpfe mit vielen Meinungen"

"Auch die beste Struktur wird ad absurdum geführt, wenn Personen eingesetzt werden, die etwa parteipolitische Interessen vor den öffentlich-rechtlichen Auftrag, vor das Interesse des Publikums, vor ordentlichen Journalismus oder auch den ORF als Unternehmen stellen. Umgekehrt können Strukturmängel durch kluge Personalauswahl kompensiert werden", heißt es gleich einleitend in dem Papier der ORF-Redakteurssprecher.

Die Redakteure sehen ein grundsätzliches Problem: "Flache Hierarchien und gleichzeitige Sicherstellung der Pluralität sind ein Widerspruch in sich, denn wenige Köpfe mit vielen Meinungen wird es auch in Zukunft nicht geben." Zugleich solle "das Management schlank und kostengünstig aufgestellt sein".

Die Stellungnahme liegt dem STANDARD vor. Sie listet auf 14 Seiten sehr detailliert Vor- und Nachteile der zwei von Wrabetz präsentierten Modelle.

Nie dagewesene Machtfülle

In beiden von ORF-General Wrabetz präsentierten Konzepten für eine neue Zuordnung der ORF-Information in der Channelstruktur – mit Kanalverantwortlichen für ORF 1 und ORF 2 – habe der ORF-General "direkten Zugriff auf die TV-Information". "Das ist Machtfülle für den amtierenden Generaldirektor und zukünftige GeneraldirektorInnen, die es bisher in der Geschichte des ORF in dieser Form noch nicht gegeben hat".

Wrabetz präsentierte Ende März bei einer Redakteursversammlung zwei Varianten für die künftige ORF-Struktur: Die TV-Information könnte entweder der Generaldirektion zugeordnet werden (und kleine Infoteams den Channels) – oder komplett unter den beiden Channels ORF 1 und ORF 2 aufgeteilt werden.

Geteilte Information – die Befürchtungen

Bei Aufteilung auf die Kanäle drohten "deutlich höhere Kosten", Doppelgleisigkeiten, Konflikte, auch bei Breaking News insbesondere um Korrespondenten, unklare Verantwortung in der ORF-Führung für die Channels und ihre Redaktionen, auch für die Koordination der Redaktionen. Auch die Redakteursvertretung für die TV-Information in bisheriger Form wäre nicht mehr möglich, monieren die Redakteursvertreter.

Information beim General – die Befürchtungen

Wenn die TV-Information insgesamt zum General übersiedelt, gebe es – abseits der "nie dagewesenen Machtfülle für den General" – drei Chefredakteure: für die Info, für ORF 1 und ORF 2. Unklar sei in Wrabetz' Organigramm etwa, ob die Channel-Chefredakteure dann dem Info-Chefredakteur unterstehen. "Ganz banal: Wer leitet die Redaktionssitzungen? Wer entscheidet, welche Sendungen einen Korrespondentenbeitrag bekommen?", heißt es in der Stellungnahme. Oder auch: Wer entscheidet aktuell über einen "Runden Tisch" – der ORF-General?

Verantwortung: unklar

In beiden Modellen sei unklar, wie die Zuteilung der ORF-Fernsehinformation konkret aussehen soll, heißt es in der Stellungnahme. Unabhängig davon verlangen die Redakteure aber: "Es muss unbedingt vermieden werden, dass für einzelne Redakteure und Redakteurinnen im laufenden Betrieb tageweise die zuständige Direktion wechselt, abhängig davon, wie der Dienstplan gerade gestaltet ist. Nur bei klaren Entscheidungsstrukturen kann – etwa im 'breaking news'-Fall – schnell und effizient gearbeitet werden. Aus den derzeit präsentierten Unterlagen geht die disziplinäre Verantwortung nicht klar hervor."

Programmdirektorin im Spagat

Unklar sei auch, ob die Channel-Manager als Hauptabteilungsleiter installiert würden und welche genauen Befugnisse sie haben. Denn: Die Programmdirektorin sei laut Gesetz nur an Weisungen und Aufträge des ORF-Generals gebunden, sie führe "selbstständig".

Wenn die Channel-Manager aber gleichzeitig Programmaufträge an die Programmdirektorin (Kathrin Zechner) richteten, werde das "ein schwieriger Spagat". Auch laut ORF-Programmrichtlinien sei diese Direktion "federführend" verantwortlich.

In präsentierten Organigrammen unterstehen die Channel Manager dem Generaldirektor und der Programmdirektorin gleichermaßen. Das lässt die Redakteure rätseln: "Was bedeutet das in der Praxis?"

Beim Organigramm für ORF 1 wundern sich die Redakteure, dass Social Media nicht dem für Journalisten zuständigen Channel-Chefredakteur, sondern dem Channel Manager zugeordnet sind.

Unabhängigkeit "aushebeln"

Widersprüche sehen die Redakteure etwa auch zwischen für Personal und Budget verantwortlichem Channel-Manager und der "Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit aller programmgestaltenden Mitarbeiter" laut ORF-Programmrichtlinien. "Direkte Einflussmöglichkeiten" könnten diese Vorgabe der Programmrichtlinien "aushebeln".

TV-Information "umbauen"

Der Channel Manager bekomme laut Präsentation des ORF-Generals Personalverantwortung für dem Channel zugeordnete Personen und könne in Abstimmung mit Generaldirektor und Programmdirektorin Personalentscheidungen treffen, etwa Mitarbeiter einstellen. Befund der ORF-Redakteure: "Mit diesen weitreichenden Instrumenten hat der Channel Manager die Möglichkeit, die Fernsehinformation maßgeblich nach seinen Wünschen zu beeinflussen und umzubauen."

Die Redakteure warnen vor Qualitätsverlust durch eine Auflösung der Fachressorts in der TV-Information, die mehrfach in den Strukturdebatten Thema war.

Mega-Abteilung Kultur, Wissenschaft, Religion

Die journalistische Vielfalt sehen sie auch abseits der TV-Information durch die Strukturpläne gefährdet: Die Magazin-Hauptabteilung kam in der Präsentation des ORF-Generals nicht vor.

Und die Hauptabteilungen Kultur sowie die schon zusammengelegten Bereiche Wissenschaft und Religion sollen laut Präsentation zu einem gemeinsamen Content Cluster für Kultur, Wissenschaft und Religion vereint werden. Der Bereich wäre "inhaltlich und personell unübersichtlich groß", schreiben die Redakteurssprecher. Der Cluster-Chef hätte abseits der Information "alle öffentlich-rechtlichen Kernbereiche unter ihrer/seiner Kontrolle. Das gefährdet die journalistische Vielfalt." Trost der Redakteure: In Wrabetz Planungspapier ist die Fusion zu Kultur/Wissenschaft/Religion mit dem Zusatz "festzulegen" versehen.

Nächste Schritte: Organisationsanweisung, Ausschreibung

Zu Wrabetz' Vorschlägen schickte der ORF-Redakteursrat nun seine formelle, ausführliche Stellungnahme über insgesamt 14 Seiten. Nächste Schritte, nach Ostern erwartet, sind eine Organisationsanweisung des ORF-Generals über die neue Struktur und die Ausschreibung der Jobs der Channel-Manager.

"Akuter Handlungsbedarf bei ORF 1"

Für den Job bei ORF 1 gilt Lisa Totzauer als Fixstarterin. Sie ist bisher Infochefin des jüngeren ORF-Fernsehkanals und wird der ÖVP zugeordnet. Hier finden die Redakteure die Channel-Struktur besonders schlüssig: "Der Marktanteilsverlust von ORF 1 zeigt einen akuten Handlungsbedarf bei der Programmierung", schreiben sie in ihrer Stellungnahme.

Weit umstrittener ist der Sozialdemokrat Roland Brunhofer als Channel-Manager von ORF 2 – wo die wichtigsten Infosendungen des ORF laufen. Der bisherige Landesdirektor in Salzburg und frühere ORF-Redakteur und -Betriebsrat im Landesstudio Oberösterreich soll der von einigen Politikern als zu selbstbewusst und selbstbestimmt wahrgenommenen ORF-Fernsehinformation vorgesetzt werden. Brunhofer dementiert von ihm kolportierte Aussagen von trockenzulegenden Sümpfen, (über die ja die Frösche vorher auch nicht befragt würden).

Anschein parteipolitischer Einflussnahme

In der Präsentation des Generaldirektors stehe "unbestrittene Qualifikation/Performance der Führungspersönlichkeiten". Die Redakteure dazu: "Wenn aber noch vor der Ausschreibung öffentlich klar zu sein scheint, wer die Positionen bekommen soll, bezweifeln wir, dass es vor allem um 'Qualifikation' bei der Postenbesetzung geht."

Neuerlich betonten die Redakteure dazu: "Wir weisen neuerlich darauf hin, dass alleine der Anschein von parteipolitischer Einflussnahme bei der Besetzung von Positionen dem Unternehmen schadet und die Glaubwürdigkeit der ORF-Journalistinnen und Journalisten untergräbt."

Qualität und Zukunft des Journalismus

"In den vergangenen Wochen ist der Eindruck entstanden, dass neue Strukturen um bestimmte Personen herum gebaut werden", kritisieren die Redakteure erneut in ihrer Stellungnahme. Sie vermissen in der Struktur Klärungen über den "seit Jahren geplanten multimedialen Newsroom". Und statt der langwierigen Debatten über Struktur Diskussionen, wie der ORF Qualitätsjournalismus an sein Publikum bringen kann, über "spannende neue Formate", über multimedialen Journalismus.

Und die Redakteure vermissen vor allem Diskussionen darüber: "Wie die Unabhängigkeit des Journalismus trotz sinkender Budgets auch in Zukunft gesichert ist."

Vorbild ORF-Radio

Die Redakteure empfehlen, bei der Channelstruktur im Fernsehen Maß am ORF-Radio zu nehmen, wo es Channels seit mehr als zwei Jahrzehnten gibt – Ö3 und FM4, de facto auch Ö1: "Wesentliches Element der Radiostruktur ist, dass die Radio-Information unabhängig von den Channels ist. Es gibt naturgemäß einige Abstimmung mit den einzelnen Sendern, aber keinerlei inhaltliche, budgetäre oder personelle Vorgaben durch die Senderchefs und Senderchefinnen an die unabhängige Information. Trotzdem ist die Struktur schlank, weil die einzelnen Redakteure und Redakteurinnen alle Channels beliefern, abgestimmt auf deren formale Bedürfnisse. Dieses System funktioniert anerkannt gut", schreiben die ORF-Redakteurssprecherinnen. (fid, 13.4.2017)