Das versteht man im Burgenland also unter Bürgernähe: Die rot-blaue Regierung arbeitet so präzise, dass sie Gesetze regelrecht auf Einzelfälle zuschneidert. Das gilt zumindest für die Reform der Mindestsicherung. Von der Begrenzung der Leistung auf maximal 1500 Euro sind ganze elf Haushalte betroffen.

Vom Burgenland, das relativ wenige Bezieher beherbergt, lässt sich nicht per se auf ganz Österreich schließen, und flächendeckende Zahlen liegen noch nicht vor. Doch ein Trend zeichnet sich ab: Auch im schwarz-blauen Oberösterreich ist der "Deckel" ein Minderheitenprogramm für 0,0irgendwas Prozent der Haushalte.

Dabei hatten ÖVP und FPÖ um diese Idee herum einen Popanz aufgebaut, der letztlich zum Scheitern der bundesweiten Regelung der Mindestsicherung führte. Ohne Einschnitte wie die Deckelung, so wurde suggeriert, drohe die Kostenexplosion das Sozialsystem zu sprengen. Nun zeigt sich: Die Folgen sind für die einzelnen Betroffenen empfindlich, die Einsparungen aber – wie die oberösterreichische Volkspartei einräumte – gering.

Mit der Realität kollidieren auch die anderen Argumente, die den Deckel legitimieren sollen. Von einem Signal der Gerechtigkeit sprechen die Befürworter gerne – und weisen darauf hin, dass sich so mancher Job wegen der allzu üppigen Mindestsicherung nicht mehr lohne.

Doch diese Behauptung blendet zwei Tatsachen aus: Erstens müssen sich Bezieher vom Arbeitsmarktservice vermitteln lassen, sonst drohen Leistungskürzungen – hier ließe sich bei Bedarf nachschärfen. Zweitens sind in Zeiten von immer noch rekordverdächtig hoher Arbeitslosigkeit Jobs nicht gerade nach Belieben verfügbar. Da so zu tun, als müssten die Menschen nur wollen, ist einigermaßen zynisch.

Außerdem: Soll sich Arbeit mehr lohnen, sollte die Politik nicht die Arbeitslosen bestrafen, sondern die "Working Poor" unterstützen – etwa mit einer Senkung der Sozialabgaben.

Was die Erfinder des Deckels und anderer Kürzungspläne ebenso ignorieren: Das Niveau der Mindestsicherung wurde vor Jahren nicht per Zufallsgenerator fixiert, sondern es orientiert sich an der Ausgleichszulage für Pensionisten, die als eine Art Armutsgrenze gilt. Warum sollen Menschen, noch dazu bei steigenden Wohnkosten, nun mir nichts, dir nichts mit weniger auskommen können?

Diese Frage sollten sich nicht nur Politiker aus SPÖ, ÖVP und FPÖ stellen, sondern auch die Grünen. Dass etwa in Vorarlberg die Abgeltung der Wohnkosten eingeschränkt wird, tragen sie in der Landesregierung mit – zähneknirschend, aber letztlich koalitionstreu zur ÖVP. Die Armutskonferenz hat die nun vorgesehenen Leistungen mit den Mietpreisen in Bregenzer Immobilieninseraten verglichen. Ergebnis: Selbst von den angebotenen Ein- und Zweizimmerwohnungen sei die Mehrheit für Bezieher der Mindestsicherung unerschwinglich.

Doch dass sachliche Abwägungen zweitrangig sind, ist Markenzeichen der Auseinandersetzung. Das Gewicht der Debatte stehe in keinem Verhältnis zu den Kosten der Mindestsicherung, die nur ein Prozent der Sozialausgaben ausmachen, stellte Christoph Badelt, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts, treffend fest: Dabei werde aber ein soziales "Feuer" entfacht, "das man schwer löschen kann".

Oder, wie die Kürzungsbefürworter sagen: Es geht um ein Signal. Genau das ist das Problem. (Gerald John, 14.4.2017)