Isabella Rossellini: "Meine Hennen stammen aus Indonesien, Chile, China, Ägypten und Europa. diese Vielfalt soll erhalten bleiben."

Foto: Patrice Casanova / courtesy Schirmer/Mosel
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STANDARD: Isabella Rossellini, wie geht es Ihren Hühnern?

Rossellini: Sehr gut! Ostern steht vor der Tür. Da legen die Hennen die meisten Eier. Wenn die Tage länger werden und die Sonne mehr scheint, stimuliert das ihre Hormone. Wir haben derzeit Eier im Überfluss. Ende Juni beginnen sie wieder weniger Eier zu legen, bis zum Oktober.

STANDARD: Haben Sie auch schon Nachwuchs?

Rossellini: Nein, ich möchte keine Küken haben. Meiner Hühner gehören seltenen alten Rassen an, die zum Teil vom Aussterben bedroht sind. Sie stammen aus Indonesien, Chile, China, Ägypten oder Europa und sehen ganz unterschiedlich aus. Diese Vielfalt sollte erhalten bleiben. Ein Hahn erwählt sich nicht eine Henne und hält ihr die Treue. Er paart sich mit allen Hennen. In der nächsten Generation paaren sich Brüder und Väter mit Schwestern und Müttern. Dann hat man ein Durcheinander und kommt schnell in eine Inzuchtdepression. Die Bewirtschaftung eines Bauernhofs ist sehr kompliziert. Ich lasse meine Hennen nicht brüten.

STANDARD: Dafür haben Sie ein Buch über sie geschrieben ...

Rossellini: Ja, ein Kinderbuch. Ich hatte erwartet, dass Hühner dumme und sehr gewöhnliche Tiere sind. Man kennt sie, wie sie picken und herumspazieren. Aber das liegt daran, dass wir sie meist nur von oben sehen. Wenn man sie fotografiert und sich auf ihre Ebene hinunterbegibt, ist man überrascht, welch seltsame Bewegungen sie vollführen und was für eine ausdrucksstarke Körpersprache sie besitzen. Sie recken und drehen den Hals, spreizen die Flügel und stellen sich sogar auf die Zehenspitzen.

STANDARD: Wie war es für den Fotografen Patrice Casanova, die Hühner zu fotografieren?

Rossellini: Er musste flink sein und viele Aufnahmen machen. Die Hühner bewegen sich sehr schnell. Die Schwierigkeit lag darin, die Fotos scharf zu bekommen.

STANDARD: "Ich wollte Hühner", lautet der erste Satz Ihres Buches. Wie entstand dieser Wunsch?

Rossellini: Ich lebe auf Long Island. Vor einigen Jahren kaufte ich ein Stück Land und machte daraus einen Bauernhof. Zunächst pflanzte ich nur Gemüse. Dann erwarb ich einige Bienenstöcke. Bienen sind gut für die Bestäubung. In der Folge kaufte ich noch weitere Tiere hinzu, um herauszufinden, welche in Betracht kommen. Ich versuchte es mit Truthühnern, Schafen und auch Schweinen. Für Schweine wäre mein Bauernhof hervorragend geeignet. Das Problem ist jedoch das Schlachten. Es gibt in der Umgebung kein vertrauenswürdiges Schlachthaus. Und es ist umstritten, was dem Wohlergehen der Tiere dient. Statt mich mit den Techniken des Tötens herumzuschlagen, bestellte ich lieber Hühner. Die legen Eier.

STANDARD: Sie sind in Rom aufgewachsen und haben lange in New York gearbeitet. Was veranlasste Sie als berühmte Schauspielerin und prominentes Model, einen Bauernhof zu betreiben?

Rossellini: Ich hatte immer eine Liebe zu Tieren. Als ich älter wurde, bekam ich weniger Aufträge als Model, und auch meine Auftritte als Schauspielerin wurden seltener. So kehrte ich an die Universität zurück, um Verhaltensbiologie zu studieren. Das hatte ich schon immer gewollt. Am Hunter College in New York absolvierte ich den Studiengang Animal Behavior and Conservation. Als sich dann die Gelegenheit ergab einen Bauernhof zu betreiben, erschien mir das eine faszinierende Aussicht. Ich erfüllte mir damit einen Kindheitstraum.

STANDARD: Beobachten Sie eine zunehmende Sehnsucht nach einem Leben auf dem Land und in der Natur?

Rossellini: Die Vorstellung eines idyllischen Lebens auf dem Land entspringt meist der Fantasie von Städtern. In Wirklichkeit bedeutet die Landwirtschaft eine Menge Arbeit, und Geld gibt es dabei kaum zu verdienen. Manche Menschen wollen Geld verdienen und sich dann einen Lebensstil kaufen. Andere sagen sich, dass sie zwar kein Geld haben, aber dennoch ein Leben nach ihren Vorstellungen führen möchten. Sie hoffen, dabei ihr Auskommen zu finden. Eine handwerkliche Landwirtschaft, wie ich sie auf meinem Bauernhof betreibe, ermöglicht das. Wer Freude daran findet, kann damit seinen Lebensunterhalt bestreiten. Meine Mitarbeiter führen eine Art Künstlerleben. Sie geben sich der Arbeit mit Leidenschaft hin, auch wenn sie dabei nicht reich werden. Die Frau, die sich bei mir um das Gemüse kümmert, war 25 Jahre lang in einer Führungsposition tätig. Jetzt genießt sie es, draußen unter freiem Himmel zu sein und die Pflanzen zu versorgen.

Standard: Was lieben Sie an der Landwirtschaft?

STANDARD: Da ich immer noch arbeite, muss ich viel reisen. Komme ich dann nach Hause, freue ich mich, auf dem Bauernhof zu sein. Es ist ein völlig anderes Lebensgefühl. Außerdem erleichtert mir das Leben auf dem Land, mich auf mein Studium und das Schreiben zu konzentrieren. In der Stadt ist man dauernd Versuchungen ausgesetzt. Da wird eine Ausstellung eröffnet, ein neuer Film läuft an, oder man ist auf eine Party eingeladen. Immer gibt es etwas, das wichtiger zu sein scheint. Auf dem Land dagegen widmet man sich gern dem Studium. Vor allem im Winter gibt es nichts anderes zu tun. Da findet man leichter die Disziplin, dranzubleiben. Wenn man ein schwieriges Kapitel zu lernen hat, kann man nur versuchen, es zu verstehen, oder sich langweilen.

STANDARD: Die Erkenntnisse Ihres Studiums haben Sie in amüsanten Kurzfilmen über das verblüffende Liebesleben der Tiere umgesetzt ...

Rossellini: Die Vielfalt des Sexuallebens von Tieren ist beeindruckend. Es gibt so viele Arten der Fortpflanzung, Verführung und Aufzucht. Ich habe mehrere Serien dazu gestaltet: Green Porno, Seduce Me und vor zwei Jahren Mammas über die Aufzucht von Jungen. Als Beraterin hatte ich die feministische Wissenschafterin Marlene Zuk an meiner Seite. Sie stellt in ihren Arbeiten die Frage, ob es Mutterinstinkt tatsächlich gibt und ob Frauen mit dem Instinkt geboren werden, sich für ihre Kinder und die Familie zu opfern. Es gibt nämlich auch Muttertiere, die ihre Kinder auffressen, wie zum Beispiel die Hamster.

STANDARD: In Ihrer Autobiografie "Some of Me" erzählen Sie, dass bereits Ihr Vater Spielfilme über Biologie drehen wollte und Sie im Meer nach Seeigeln tauchten, damit er die Befruchtung der Eier filmen konnte. Brachte Sie diese Erfahrung auf die Idee zu den Filmen?

Rossellini: Ich erinnere mich, wie ich meinem Vater half. Es war faszinierend, durch das Mikroskop die Eier zu beobachten, die sich nach der Befruchtung durch eine Samenzelle teilten und wieder teilten. Am Ende wäre ein Seeigel entstanden. Aber so weit kam es in der Petrischale nicht. Außerhalb des Meeres sterben die befruchteten Eizellen schnell ab. Mein Vater interessierte sich sehr für Wissenschaft. Entscheidend für mich waren die Tiergeschichten Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen von Konrad Lorenz, die er mir gab. Das war eine Offenbarung. Ich las das Buch und wusste sofort: Das will ich studieren. Allerdings wurde Verhaltensbiologie zur damaligen Zeit an den Universitäten kaum angeboten. In Oxford und Cambridge gab es ethologische Studiengänge, aber nicht in Italien, wo ich aufwuchs. Darum habe ich es jetzt nachgeholt.

STANDARD: "Wer einmal mit Hunden, Katzen, Kaninchen, Vögeln, Schweinen gelebt hat, dem ist nichts mehr fremd", schreiben Sie. Haben Sie vor diesem Hintergrund auch Verständnis für den derzeitigen amerikanischen Präsidenten?

Rossellini: Der ist schwer zu verstehen. Vor allem ist mir unverständlich, wie er Präsident werden konnte. Es herrschte in Amerika eine große Politikverdrossenheit. So war das eine Protestwahl. Aber ich frage mich, ob diejenigen, die aus Protest gewählt haben, nachher nicht selbst über das Ergebnis erschrocken sind. Die Lage ist sehr besorgniserregend. Es ist eine schwierige politische Zeit für Amerika. (Ruth Renée Reif, Album, 16.4.2017)