"Erst in der Nähe, erst im unmittelbaren Kontakt sollte die Irritation augenscheinlich werden."

Günter Richard Wett

Auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches. Ein Haus wie jedes andere auch in dieser Straße. Stuck, Gesims, Voluten, Figürchen und Vasenbalustraden, soweit das Auge reicht. Doch mit jedem Schritt, der einen näher bringt, beginnt das Auge zunehmend zu zweifeln. Die im Kopf mit so großer Sicherheit abgespeicherten Versatzstücke der Gründerzeit wollen sich nicht so recht ins Bild fügen. Die Formen werden immer fragwürdiger, die Konturen immer kantiger, die Schatten immer schnippischer. Am Ende dann die totale Verstörung.

"Ich wollte mich mit großer Subtilität an das scheinbar gängige Bild von Fassade heranschleichen", sagt der Wiener Künstler Peter Sandbichler. "Mein Wunsch war es, auf den ersten Blick überhaupt nicht aufzufallen. Das Haus sollte sich ganz selbstverständlich in die üppig ornamentierte Straßenzeile des Getreidemarktes und der Mariahilfer Straße fügen. Erst in der Nähe, erst im unmittelbaren Kontakt sollte die Irritation augenscheinlich werden."

Und das wird sie. Statt der klassizistischen Elemente, die üblicherweise auf einem Gebäude dieses Baujahres prangen, spitzen sich an der 1400 Quadratmeter großen Fassade dramatische Geometrien zu, lassen die zweidimensionale Haut des Hauses zu einer dreidimensionalen, von unzähligen scharfkantigen Pyramiden und Kristallen überzogenen Oberfläche anschwellen und sogleich erstarren. Es ist, als schaute man durch ein Kaleidoskop, das statt der bunten Steinchen, die in der Linse liegen, mit unterschiedlich grauen Licht- und Schattenfragmenten gefüllt ist.

Günter Richard Wett

Unweigerlich denkt man an die fetten Medici-Palazzi in Florenz, die mit von oben bis unten bedrohlich hinauswachsenden Bossen den Fußgänger vom Gehsteig zu schieben scheinen wollen, sowie an die expressionistischen kubistischen Villen in der tschechischen Hauptstadt. "Der Prager Kubismus hat mich immer schon fasziniert", sagt Sandbichler, der sich schon seit Jahren mit modularen Texturen und Strukturen beschäftigt. "In gewisser Weise ist diese kubistische Annäherung eine Neuinterpretation und Neuentwicklung der klassischen Wiener Gründerzeitfassade."

Neu ist auch die Materialwahl. Anders als in der Vergangenheit nämlich besteht der Stuck nicht aus Gips oder Zement und auch nicht aus Styropor, wie dies bei den meisten Fassadenrekonstruktionen heute praktiziert wird, sondern aus aufgeschäumtem, zu Platten gepresstem und anschließend geschnittenem Glasgranulat, sogenanntem Poraver. Das Material, das gerade mal 190 Kilogramm pro Kubikmeter wiegt, besteht aus recyceltem Altglas.

Hinter dem prominenten Gemäuer, besser bekannt unter dem Namen Varta-Haus, befindet sich das Reich des Investors und Immobilienentwicklers Michael Tojner, der hier mit seiner Firma Wertinvest sowie mit der von ihm geleiteten Industriegruppe Montana Tech Components AG und Varta AG beheimatet ist. Das Kunstprojekt, eines von mehreren, die in den letzten paar Monaten am und im Haus realisiert wurden, dient nicht zuletzt als weithin sichtbare Visitenkarte.

Eine gewisse Leidenschaft

"Die Kunstprojekte am Haus sind Ausdruck einer gewissen Leidenschaft", sagt Daniela Enzi, Geschäftsführerin der Wertinvest GmbH. "Es geht nicht darum, uns ein Denkmal zu setzen, sondern darum, der Stadt einen gewissen Mehrwert zu geben." Neben Peter Sandbichlers Haus mit Augenbrauen, so der offizielle Titel des Kunstwerks, gibt es auch den nächtens leuchtenden Tomorrow-Schriftzug von Arnold Reinthaler sowie Roland Kodritschs Skulptur Reasons to believe, eine Figur, die an der Gesimskante steht und wohl kurz davor scheint, sich in den Tod zu stürzen.

"Die schmucklose, im Zweiten Weltkrieg zerstörte Fassade unseres Firmensitzes hat mir nie gefallen", sagt Tojner auf Anfrage des Standard. "Das aus einem kleinen geladenen Wettbewerb hervorgegangene Siegerprojekt von Peter Sandbichler war so überzeugend, dass ich mich entschlossen habe, nicht nur einen Teil, wie ursprünglich geplant, sondern gleich die gesamte Fassade gestalten zu lassen." Die Investitionskosten dafür beziffert Tojner mit "einigen Hunderttausend Euro". Näheres möchte er nicht verraten.

Mehr als ein Kunstprojekt jedoch – Kunst im öffentlichen Raum ist in Wien glücklicherweise längst keine Seltenheit mehr – ist Peter Sandbichlers urbane Intervention eine wertvolle Anregung, um über Schönheit in der Stadt nachzudenken. Markus Rumelhart, Bezirksvorsteher von Mariahilf, bezeichnet das Projekt als "zeitgemäße Fassade, die den Menschen ein schönes Bild zur Betrachtung gibt". Hans-Peter Wipplinger, Direktor des Leopold Museums, der vor Kurzem die Eröffnungsrede hielt, vergleicht die Radikalität und Konsequenz des Kunstwerks sogar mit jener, die Adolf Loos einst bei seinem Haus am Michaelerplatz ("Haus ohne Augenbrauen") hat walten lassen: "Loos würde verstummen." Starke Worte.

"Neuinterpretierte Gründerzeitfassaden sind oft peinliche Stilkopien, doch dieser Ansatz zeigt, was mit heutigen technischen Mitteln und heutigem Verständnis von Stadt möglich ist", sagt Robert Kniefacz von der MA19, zuständig für Architektur und Stadtgestaltung. "Vor allem aber sehe ich dieses Projekt als Einladung an Architekten, Bauherren, Bauträger, Investoren und Projektentwickler, nicht nur verwertbare Wohn- und Bürofläche zu bauen, sondern sich auch wieder vermehrt der Fassade als Gesicht der Stadt zu widmen." Haus mit Augenbrauen ist ein Gestaltungsansatz von vielen. Ein radikaler gewiss. Und er ist eine Kampfansage an den zunehmenden Analphabetismus von Architekten und Bauherren, die die Stadt mit gesichtslosem Vollwärmeschutzsondermüll vollpfropfen. Mögen sich die Übeltäter angesprochen fühlen. (Wojciech Czaja, 16.4.2017)