Die Sargfabrik in der Goldschlagstraße in Wien-Penzing hat nicht nur das Grätzel verändert, sondern auch den Wohnbau beeinflusst.

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Wien – Die Sargfabrik, Österreichs größtes selbstverwaltetes Wohnprojekt, hat Maßstäbe im sozialen Wohnbau gesetzt. Was 1987 als Initiative für leistbares Wohnen begann, wurde 1996 bezogen und im Jahr 2000 erweitert. Ute Fragner, Mitgründerin und Bewohnerin: "Wir wollten damals nicht nur kritisieren. Wir wollten es anders machen und zeigen, wie es anders geht. Wir wollen Leben und Arbeiten nicht als Gegensätze oder als sich ausschließende Situationen erleben. Sondern wir wollen ganzheitlich an einem guten gemeinsamen Leben arbeiten und auch Verantwortung dafür übernehmen."

Hindernislauf

Die neun Jahre zwischen Gründung des Vereins und Eröffnung des Wohnheims in der ehemals größten Sargfabrik der K.-u.-k.-Monarchie waren ein Hindernislauf aus Umplanungen, Anrainereinsprüchen und Gerichtsentscheiden. Architekt Franz Sumnitsch von BKK-3, der selbst im Haus wohnt, beschreibt den aufwendigen Planungsprozess: "Der ist wie ein Wohnbausymposium, nur mit dem Unterschied, dass er viele Jahre dauert. Anfangs wird über die Bedürfnisse von Nutzungen und Funktionen diskutiert, und diese werden grob festgelegt. Das ergibt einen Freiraum für eine sehr breite Auseinandersetzung und ermöglicht das Einbringen von vielen verschiedenen Ideen."

Schon die ersten Gruppendiskussionen mit dem mittlerweile verstorbenen Architekten Johann Winter hatten es in sich, erinnert sich Fragner: "Johnny hat darauf bestanden: 'Ich möchte wissen, was ihr da drinnen tun wollt und welche Qualität das haben soll.' Und diese Auseinandersetzung war eine wichtige."

"Meilenstein"

Für die Stadt Wien, die das Projekt aus Mitteln der Wohnbauförderung unterstützt hat, ist das Projekt "im Kontext des Planens und Bauens im Kollektiv und aus Sicht des ökologischen Wohnens ein Meilenstein in der österreichischen Wohnbauarchitektur". Auch die Integration behinderter und sozial benachteiligter Menschen wurde als Verpflichtung betrachtet, betont Architekt Sumnitsch: "Diversität war uns wichtig. Dazu gehört eben, dass es Junge und Alte gibt, dass es Menschen gibt, die aus Österreich, aber auch aus anderen Ländern und Kulturen kommen. Und es gehört auch dazu, dass Personen mit Handicaps Teil der Gemeinschaft sind. Deshalb haben wir uns schon relativ früh damit auseinandergesetzt, welche Bedingungen es dafür braucht."

Die Entscheidungsfindung in der Gruppe basiert auf klaren Regeln. "Wir haben gesagt, wir diskutieren so lange, bis alle sagen: 'Ich kann damit leben.' Nicht: 'Es müssen alle dafür sein', sondern 'Ich kann damit leben'", sagt Fragner; außerdem zwinge der kollektive Planungsprozess dazu, sich in die Mitbewohner hineinzuversetzen. "Dadurch, dass ich erkenne, dass jemand anderer etwas anderes will, komme ich ins Nachdenken. Das ist der Mehrwert dieser Gruppenprozesse, dass ich viel deutlicher weiß, was und warum ich etwas will."

Viele Gemeinschaftsflächen

Diese Haltung wird auch in der sozialen Programmierung der Architektur sichtbar: Baugruppen denken gemeinschaftlich und stützen sich gegenseitig. Bestes Beispiel: die Gemeinschaftsräume. "Fast 25 Prozent der Gesamtfläche – etwa 2000 Quadratmeter – sind Gemeinschaftsflächen. Das würde man in einem normalen Wohnbau nicht vorfinden. Im sozialen Wohnbau würde man vielleicht einen Raum mit 100 Quadratmetern einrichten, in dem man eine Kinderparty machen kann. Das unterscheidet die Wohnhäuser der Baugruppen grundlegend von gewöhnlichen Wohnbauten", unterstreicht Sumnitsch.

Die Sargfabrik, in der heute 210 Menschen wohnen, endet nicht an der Haustür. Sie hat in den vergangenen 20 Jahren nicht nur das Grätzel im 14. Bezirk verändert, sondern auch den sozialen Wohnbau und die Stadtplanung beeinflusst. "Wir haben sehr schnell gemerkt, dass man das Umfeld mitdenken muss. Der soziale Anspruch, der dahintersteckt, ist eigentlich ein egoistischer: Je besser ich mit meinem Umfeld kommuniziere, desto besser geht es mir. Wir haben einen Kindergarten errichtet, weil der im Quartier gefehlt hat. Auch weil wir Plätze gebraucht haben. Wir haben ein Badehaus errichtet, nicht nur für uns, sondern als Drehscheibe nach außen", betont Fragner. Dass sich dieses Verhalten langfristig auch rechnet, sei ein positiver Nebeneffekt. "Die Schwungmasse, die dadurch entsteht, macht auch den Betrieb ökonomischer. Wir hatten auch eine gute Förderung von der Stadt, und das steht ja immer in Diskussion: Wohngruppen wollen eine gute Förderung, und was hat die Stadt davon? Ja, die Gesellschaft hat etwas davon, indem wir uns darum kümmern, dass das Grätzel lebt." (Michael Kerbler, 16.4.2017)