Erwin Wurm vor der Installation "Home" in der Ausstellung "Carl Spitzweg, Erwin Wurm – Köstlich! Köstlich?" im Leopold-Museum.

Foto: APA/Harald Schneider

Wien – Wenn am kommenden Donnerstag die Kunsthalle Krems und der Kunstraum Niederösterreich exklusiv ins Palais Niederösterreich bitten, um über die Biennale als Sprungbrett oder Goldener Löwe zu diskutieren, wird eines wohl auch dann nicht gelüftet: das Geheimnis um die diesjährigen Biennale-Beiträge von Brigitte Kowanz und Erwin Wurm.

Nur so viel: Lichtkünstlerin Kowanz hat für ihre raumerweiternden Arbeiten zum Thema Digitalisierung einen eigenen White Cube an den Österreich-Pavillon angedockt. Vor dem Pavillon hat Wurm, den die deutsche Wochenzeitung Die Zeit einmal anerkennend einen "Wahnwitzkünstler" nannte, eine spektakuläre, neun Meter hohe Skulptur und im Hoffmann-Pavillon eine mehrteilige, nicht minder spektakuläre und im wahrsten Sinn des Wortes ebenfalls grenzüberschreitende Installation realisiert.

STANDARD: Waren Sie erstaunt, dass Sie von Biennale-Kommissärin Christa Steinle mit Brigitte Kowanz zusammen eingeladen wurden?

Wurm: Ich habe unter der Bedingung zugesagt, dass ich den Innenraum allein bespielen darf. Nachdem mir das sowohl Steinle als auch Brigitte zugesagt haben, war die Sache erledigt.

STANDARD: Verstehen Sie, wenn Ihnen das manche als Starallüren auslegen?

Wurm: Jeder, der nach Venedig kommt, wird sehen, dass es überhaupt kein Thema ist, wer wo ausstellt. Der Hoffmann-Pavillon ist schwierig, das sagen seit jeher alle: Dreißigerjahre, beeinflusst von der italienischen faschistischen Architektur, kein toller Raum. Aber es hat mich zu keiner Zeit interessiert, bauliche Veränderung vorzunehmen oder über die Architektur zu arbeiten wie viele meiner Kollegen. Natürlich war ich oft bei der Biennale, aber ich habe den Raum erst diesmal ganz bewusst angeschaut.

STANDARD: Wie viel von den 400.000 Euro Biennale-Gesamtbudget haben Sie bekommen?

Wurm: Ich habe zugunsten eines zusätzlichen Ausstellungsraumes für Kowanz zum Großteil auf Produktionskosten verzichtet und die finanziellen Mittel für meine Produktion zur Gänze selbst aufgestellt. Die Hauptarbeit hat Siegfried Wolf in seinem Werk in Nischni Nowgorod hergestellt und auf seine Kosten nach Mestre transportiert. Als ich ihm als Dank eine Skulptur anbot, hat er abgelehnt: Er sei kein Sammler, er mache das nur, weil er mich schätze. Ich muss sagen: Das ist wahres Mäzenatentum und in seiner Selbstlosigkeit wirklich einzigartig.

STANDARD: Merken Sie ein noch größeres Interesse an Ihrer Kunst seit Ihrer Nominierung?

Wurm: Zumindest in Österreich liegt der Fokus auf der Biennale. Im Prinzip ist die Biennale ein kurz- oder mittelfristiger Hype, dann geht man wieder zum Alltagsgeschäft über.

STANDARD: Die Sinnhaftigkeit nationaler Pavillons und von Großveranstaltungen wie der Biennale wird seit Jahren diskutiert und infrage gestellt.

Wurm: Wie wir wissen, werden regionale Besonderheiten wieder wichtig und auch ernst genommen. Aber ansonsten, ja, die Frage stellt sich. Doch es ist nicht meine Aufgabe, das zu diskutieren. Meine Aufgabe ist, meine Arbeit zu machen. Ich stelle mir nicht einmal die Frage, ob die Biennale sinnvoll ist oder nicht. Für mich ist einzig und allein von Bedeutung, ob ich eine gute Arbeit abliefern kann und wie diese ausschauen muss. Mehr kann man nicht tun, außer die Arbeit sich selbst überlassen.

STANDARD: Das kann man natürlich locker sagen, wenn man sowieso von Museum zu Museum weitergereicht wird. In einem Jahr waren es neun Einzelausstellungen ...

Wurm: Stimmt. Aber die Biennale ist die aufwendigste Ausstellung. Unvergleichlich, weil man alles selber machen muss.

STANDARD: Empfinden Sie die Biennale auch als eine "Sehschlacht am Canal Grande" um den Goldenen Löwen, wie es der ehemalige Direktor des 20er-Hauses Alfred Schmeller beschrieben hat?

Wurm: Ich empfinde es nicht als Konkurrenzkampf, aber das hat vielleicht etwas damit zu tun, dass ich bereits ein alter Hase bin. Oskar Kokoschka hat einmal gesagt, er freue sich über eine Ausstellungseinladung und sei mit Ernst bei der Sache. Aber wenn er nicht eingeladen wird, sei es ihm auch egal. So sehe ich das auch, das erspart einem viel. Ich halte es da lieber mit den Buddhisten: Keine Erwartungshaltung!

STANDARD: Auch nicht sich selbst gegenüber?

Wurm: Ich glaube fest daran, dass man sich ständig weiterentwickeln muss. Mit nur einer Idee kommt man nicht weit, man muss sich ständig hinterfragen, auch aus Kritik lernen, was oft schmerzhaft ist. Und trotzdem weitermachen, auch wenn man mehrheitlich an sich selbst zweifelt. Es gibt ja im Prinzip zwei Künstlertypen: die einen, die immer wieder Neues ausprobieren, Picasso ist da vielleicht das prominenteste Beispiel. Und die anderen ziehen eine einzige Idee durch.

STANDARD: Sie zählen sich eindeutig zur ersten Kategorie.

Wurm: Wenn man etwas, das man gut kann, ständig wiederholt, wird es schnell fad und schwach. Man wird zum Vollzugsbeamten seiner eigenen Idee, das merken natürlich auch die Betrachter. Natürlich, Neuland zu betreten bedeutet auch Unsicherheit, hier ist Scheitern immer möglich. Aber genau das, dieser tägliche Kampf, ist für mich essenziell. Ehrlich gesagt gelingt mir nicht alles, ich mache auch viel Dreck, den ich vernichte. Man hantelt sich von einer Verzweiflung zur anderen. Wenn ich etwas Neues beginne, bin ich voller Zweifel. Manchmal kommt die Akzeptanz von außen, die innen noch lange nicht da ist. Mit dieser Diskrepanz arbeite ich vermutlich mein ganzes Leben lang.

STANDARD: Biennale-Kuratorin Christine Macel hat gesagt, Kunst müsse nicht unbedingt über Revolution sprechen, Kunst zu machen allein sei schon ein revolutionärer Akt. Stimmen Sie dem zu?

Wurm: Das kann ich nur unterschreiben. Ich bin ein politisch denkender Mensch und äußere mich zu brisanten Themen. Aber mir war und ist meine Kunst immer zu schade für Politik, genauer gesagt: für Partei- und Tagespolitik. (Andrea Schurian, 16.4.2017)