In den meisten österreichischen Klassenzimmern hängt es an der Wand. Auch in Gerichten findet es sich noch als Teil der "Schwurgarnitur" (zu der je nach Bekenntnis auch Koran und Thora gehören), wenn im Zivilverfahren ein (seltener) Eid geleistet wird – und geht es nach der Regierung, wird sich das nicht ändern: Das Kreuz steht unter politischem Denkmalschutz. Staatliches Neutralitätsgebot hin oder her.

Umso eifriger wurde über ein Verbot des islamischen Kopftuchs für Richterinnen, Staatsanwältinnen und Polizistinnen diskutiert – zu Recht, nur dann muss auch das Kreuz weg, sonst ist das ein Akt unverhohlen einseitiger Religionspolitik. Denn wo der säkulare Staat agiert und repräsentiert (wird), haben jegliche religiöse, politische und weltanschauliche Symbole nichts verloren. Auch Schulen und Kindergärten sollten also kreuz- und kopftuchfrei sein.

Schlampige Trennung von Staat und Kirche

Offenkundig tut sich dieses Land noch immer schwer mit einer säkularen Vernunftkonzeption des Staats. Trennung von Staat und Kirche? Schlampig. Dazu passt, dass seit 20 Jahren der Schulversuch "Ethik" läuft – aber nur als sittlich-ethischer Ersatzdienst für die vom rechten Glauben Abgefallenen und die "Gottlosen", also jene, die sich vom Religionsunterricht abgemeldet haben oder konfessionsfrei sind.

Diese "Bestrafung" für bewusst gewählte Religionsfreiheit im Sinne persönlichen Freiseins von religiösen Geboten und (Denk-)Verboten ist eine Zumutung und geschichtsvergessen. Denn wer meint, dass Menschen, die nicht "in Gottes Namen" unterwiesen werden, moralisch ohne Kompass durch die Welt irrlichtern, hat ein paar Jahrtausende philosophischer Geistesgeschichte verschlafen und blutige (auch aktuelle) Religionspraxis verdrängt.

Ein Blick in die antike Philosophie hilft. Die ethisch-moralischen Vorstellungen über ein gutes Leben, Gerechtigkeit oder Zusammenleben in Respekt etc. sind älter als diverse religiöse Handreichungen. Werte wie die unantastbare Menschenwürde oder unveräußerliche Menschenrechte sind keine Segnungen von Religionsführern oder göttliche Eingebungen, sondern Produkte menschlicher Vernunft und demokratischer Übereinkunft. Sie gilt es zu stärken und zu fördern.

Gesellschaftlich fahrlässig

Denn gegen passives, unkritisches Glauben, aber auch "alternative Fakten" aller Art helfen nur Wissen(schaft), Aufklärung und Bildung. Gerade in gesellschaftlich schwierigen Zeiten mit sozialer Desintegration und religiös grundierten, mitunter brandgefährlichen Konflikten ist die Idee, dass Kinder getrennt nach Glaubensbekenntnis über hochkomplexe Fragen des (Zusammen-)Lebens nachdenken sollen, pädagogisch und gesellschaftlich geradezu grotesk und fahrlässig.

Möge jede/r glauben, was er oder sie mag, an welche Götter auch immer – Religion ist (nicht staatlich zu finanzierende) Privatsache. Der demokratische liberale Staat aber ist existenziell angewiesen auf mündige, aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger, die gegen blinden Gehorsam gegenüber Religionen, dubiosen Weltsimplifizierern und sonstigen "Obrigkeiten" gewappnet sind. In diesem Sinne wäre Ethikunterricht für alle ein Akt demokratiepolitischer Wehrhaftigkeit. (Lisa Nimmervoll, 18.4.2017)