Die Küste Donegals im Norden der Irischen Republik ist reich an natürlichen und geschichtlichen Dramen. Hier wurde das Ende des gälischen Irlands besiegelt.

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Landschaft und immer wieder Schafe.

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Als der schönste Strand ist Ballymastocker Beach am Fjord Lough Swilly weithin bekannt.

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Doe Castle, Sheephaven Bay

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Ein Leuchtturm am Lough Swilly

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Selbst die Wüste ist in Irland eine Insel. "Auf diesem Eiland haben sich im 5. und 6. Jahrhundert Mönche angesiedelt, darunter auch der nachmalige Bischof Assicus. Sie kamen im Gefolge des Heiligen Patrick nach Irland. Für sie war das hier ,dysert', ,Wüste'", sagt Paddy Clarke vom Besucherzentrum Slieve League und deutet auf einen kahlen, der Küste vorgelagerten Hügel.

Slieve League in der Grafschaft Donegal im Norden der Republik Irland ist für seine 600 Meter hohen Klippen berühmt, südlich in der Ferne zeichnet sich die Küste der Counties Sligo und Mayo ab, ansonsten geht der Blick aufs offene Meer. "Viele Besucher haben unwillkürlich das Bedürfnis, die Arme auszustrecken, so elementar ist der Anblick", meint Paddy. Aber vielleicht rudern sie auch nur zurück, um nicht vom Wind davongeweht zu werden, der die endlosen Wolkenparaden wie ein Hirte vor sich herschubst. Alle Augenblicke düstert es, und Meer und Himmel nehmen Farben an, für die man Worte suchen muss: mauve, taupe, petrol, gletschergrau? Dann wieder bricht die Sonne durch und wirft einen gleißenden Lichtkegel aufs Meer – die Ewigkeit ist voller Abwechslung.

Jedem sein Haus

Die Wanderung von Slieve League zum nächsten Küstenort Glencolumbkille gibt einen guten Überblick über die Landschaften von Donegal: Heide- und Moorland, kahle und nicht allzu hohe Hügel – die höchsten Gipfel der Blue Stack Mountains kommen nicht einmal auf 700 Meter -, da und dort "cross-slabs", Steinplatten mit Kreuzgravur aus frühchristlicher Zeit. Und wabenartig durch Hecken oder aufeinandergestapelte Steine abgegrenztes Weideland, auf dem Rinder und Schafe grasen. Letztere haben gelegentlich Hörner, schwarze Köpfe und nennen sich Scottish Black Face. Sie werden mit Farbe bestrichen, um sie von den Tieren auf Nachbarwiesen zu unterscheiden.

Auffallend viele neue Häuser, alle mit makellos gemähtem Rasen und Zierpflanzen, sind in Donegals Wiesen- und Hügellandschaften eingesprenkelt. Wer lebt in diesen schmucken Villen? "Viele sind Überbleibsel aus den Zeiten des 'keltischen Tigers', als Hauskredite sehr günstig waren", erklärt Deirdra Fiel, Guide in der Stadt Ramelton. "Die Finanzkrise hat zwar einiges durcheinandergebracht, sodass manche Objekte jetzt der Bank gehören. Trotzdem: Jeder Ire will sein eigenes Haus haben. Vor allem jene, die aus dem Ausland zurückkommen, um sich hier zur Ruhe zu setzen."

Jedem sein Strand

In Donegal gibt es auch Tourismus, aber schaumgebremst und zu einem Gutteil hausgemacht: Die benachbarten Nordiren machen hier gerne Urlaub und besitzen vielfach Ferienhäuser. Die irische Diaspora – geschätzte 80 Millionen Menschen weltweit – führte dazu, dass viele ins Land ihrer Vorväter zurückwollen – und sei es nur für die Ferien. Sie ergehen sich dann häufig in Ahnenforschung. Den beiden O'Donnell-Schwestern aus den USA etwa ist Genugtuung anzumerken, als sie bei der Führung durch Burg Donegal die Namen dieser bedeutenden Clanführer hören – auch wenn sie selbst nur Namensvettern sind.

Strandurlauber steigen einander in Donegal nicht auf die Füße. "Wir haben eine Menge langer Sandstrände mit sehr wenigen Urlaubern", sagt Guide Sean Mullan. Das liegt daran, dass das Thermometer selbst im Hochsommer kaum mehr als 25 Grad anzeigt. Dafür hat man den Strand dann quasi für sich allein. Als der schönste ist Ballymastocker Beach am Fjord Lough Swilly weithin bekannt. Man kommt hin, indem man die Küstenstraße Wild Atlantic Way abfährt, die sich oft zu einer schmalen, kaum Gegenverkehr zulassenden Landstraße verengt. Aber hinter jeder Straßenwindung öffnen sich neue Blicke auf den Nordatlantik: die weiten Horizonte, die zerklüfteten Küsten mit Buchten, Fjorden und Halbinseln, häufige Regengüsse mit Regenbögen in ihrem Gefolge.

Mit Invasionen war zu rechnen

Fixpunkte am Wild Atlantic Way sind die Leuchttürme. Es sind elf Stück in der Grafschaft, der eindrücklichste ist Fanad am Eingang des Fjords Lough Swilly, der von einem Fachmagazin zum zweitschönsten der Welt nach jenem in Lindau gekürt wurde. Das elegante weiße Gebäude auf einer Landzunge, unter der das Meer wütet, wurde im Jahr 1817 erbaut, nachdem eine britische Fregatte in einem Sturm gesunken war. Fanad ist nach wie vor in Betrieb und besichtigbar. Zudem werden drei Appartements vermietet, hauptsächlich an Flitterwöchner.

Fanad und die übrigen Leuchttürme dienten nicht nur der Schifffahrt zur Orientierung, sondern sie waren auch Beobachtungspunkte. An dieser Küste musste man auf Invasionen gefasst sein. Die Franzosen versuchten es im Zuge der Napoleonischen Kriege zweimal und scheiterten. Im Fjord wurde im Ersten Weltkrieg die britische Marine zusammengezogen, ehe sie sich der Schlacht von Jütland stellte. Der Fjord ist durch sieben Forts bewehrt, darunter das 1798 erbaute Dunree, heute Militärmuseum.

So dramatisch die Natur an diesem nordwestlichen Zipfel Irlands ist, so bewegt ist auch dessen Geschichte. Im Norden regierten gälische Könige oder Clanführer wie die O'Donnells und die O'Neills. Über Hunderte von Jahren ging das so, mit wechselnden Auseinandersetzungen und Allianzen auf regionaler Ebene, aber dann wendete sich mit einem Schlag das Blatt.

Das Ende der O's

"In einer einzigen Stunde hat sich das Schicksal Irlands entschieden", sagt Georgina Campbell, während sie durch die Burg Donegal in der Stadt dieses Namens führt. Der Schmerz in ihrer Stimme hört sich an, als wäre es erst vor kurzem passiert. Dabei geschah es im Jahr 1601. Die O' Donnells und die O'Neills führten damals bereits seit neun Jahren auf ihrem Territorium einen Guerillakrieg gegen die englische Krone. Doch die mit den Gälen verbündeten Spanier waren mit ihrer Flotte wetterbedingt im südirischen Kinsale statt im Norden gelandet. Campbell: "Die nordirischen Truppen eilten ihnen in einem Gewaltmarsch zu Hilfe, aber der Heißsporn Red Hugh O'Donnell griff zu früh an." Zudem machten die Verbündeten taktische Fehler und waren militärisch unterlegen – die Schlacht war verloren.

Die Macht der O'Donnells und O'Neills wurde in den Folgejahren beschnitten, sodass ihnen nichts übrigblieb, als sich im September 1607 mitsamt ihrem Gefolge, insgesamt 99 Personen, heimlich einzuschiffen und das Land für immer zu verlassen. Ein Denkmal an der Uferpromenade von Rathmullan erinnert an die Flucht. Ein anderer O'Donnell stand übrigens hunderte Jahre später erneut an einer Weggabelung der Geschichte, diesfalls der österreichischen: Graf Maximilian O'Donnell vereitelte im Jahr 1853 ein Messerattentat auf Kaiser Franz Joseph I.

Wurzel des Nordirland-Konflikts

Die Flucht ihrer Anführer markierte das Ende des gälischen Irlands und den Beginn der systematischen Ansiedlung von zehntausenden Engländern und Schotten im nördlichen Irland. Ein Vorgang, der die Wurzel des 400 Jahre später noch nicht ausgeräumten Nordirland-Konflikts ist.

Der Besitz der Herrscher wurde eingezogen: Die aus dem 15. Jahrhundert stammende Burg der O'Donnells in Donegal ging an den britischen Parteigänger Sir Basil Brooke. Ein bescheidenes Bauwerk, kaum größer als das Gärtnerhaus in anderen Schlössern. Gleiches gilt für Doe Castle mit seinem "normannischen Turm", einem damals bewohnten Burgfried. Die malerische Lage an der Sheephaven Bay war zu dieser Zeit unwichtig, es handelte sich um ein Verteidigungskastell.

Die Siedler der Provinz Ulster – wie das nördliche Irland damals genannt wurde – brachten immerhin Aufschwung. Sie errichteten Städte auf dem bis dahin von Bauern bevölkerten Land und entfalteten gewerbliche Aktivitäten. Ein gutes Beispiel ist die 1610 gegründete Stadt Ramelton am Fjord Lough Swilly: Hier wurde Leinen produziert und Handel bis in die Karibik getrieben.

Das Gälische wird hochgehalten

Wenn man Autos und Schilder wegdenkt, glaubt man sich in einer Stadt des 19. Jahrhunderts: die Häuser gut erhalten im Georgianischen Stil, historische Getreidespeicher am Hafen. "Eine für die britische Ansiedlungspolitik typische Stadt, das erkennt man sofort", sagt Guide Deirdra Fiel. Woran denn? "Sie haben hier weniger Pubs und spielen keine irische Musik, geschweige denn, dass sie Gälisch sprechen."

Umso mehr wird Gaeltacht, das Gälische, an der Westküste Donegals hochgehalten. Es ist dort Alltagssprache, Wegweiser und Ortstafeln sind zweisprachig ausgeschildert. Nicht dass es die Orientierung leichter machen würde: Donegal heißt da Dún na nGall, O'Donnell wird zu Ó Domhnaill. (Harald Sager, 21.4.2017)