Und vom Mann mit dem Hammer in den Hügeln vor Boston: der Boston-Marathon 2017

Natürlich bin ich stolz. Und mittlerweile auch glücklich und beinahe zufrieden. Aber als ich über die Ziellinie kam, war das anders. Ganz anders – was für ein beschissener Lauf! 17 Minuten zu langsam. Ab Kilometer 35 oft gegangen. Den letzten Kilometer mit einer 7er-Pace erlitten. Nie den Rhythmus gefunden – obwohl bis zur Halbmarathonmarke auf den ersten Blick alles nach Plan gelaufen war: So läuft man keinen Marathon. So holt man keine "PB" – persönliche Bestzeit. So wird die Langstrecke nicht zum Genuss. So will man nicht im Ziel stehen. Schon gar nicht hier in Boston.

Das dachte ich, als ich am Ostermontag die Finishermedaille umgehängt bekam: 3:46:30 – eine satte Viertelstunde Verspätung. Was für ein toller Marathon, aber was für eine elende Performance

Auch wenn neben mir Läuferinnen und Läufer in Scharen eingegangen waren: Das war nicht mein Tag. Dass (wie ich später von einem Angehörigen einer ausgeschiedenen Läuferin hörte) angeblich fast 2.500 Teilnehmer zumindest Hilfe der Sanitäter gebraucht haben sollen? Dass die Temperatur auf 29 Grad geklettert sein soll und die Strecke keinen Schatten hat? Dass fast alle deutlich hinter Plan im Ziel eingelaufen waren? Egal: Jetzt wusste ich das alles nicht. Und war verzweifelt. Am Boden zerstört. So hatte ich mir Boston nicht vorgestellt.

Foto: Thomas Rottenberg

Schließlich ist Boston eine Legende. Oder mehrere: der zweitälteste Marathon nach dem von Athen. Seit 121 Jahren jährlich ohne Unterbrechung abgewickelt. Ein selektiver – aufgrund des Gesamtgefälles nicht für Rekorde zertifizierter – Kurs. Ein hügeliger Horror. Ein Montagslauf. Ziel eines Bombenanschlags. Der Ort, an dem die erste Frau offiziell einen Marathon lief. Einer der "Majors" – jener großen sechs Marathons, die auf der Wunschliste der meisten Marathonläufer mit Reisefieber stehen.

Ich reise gerne. Fast so gerne, wie ich laufe. Oder ist es umgekehrt? Egal.

Foto: Thomas Rottenberg

Mit dieser Kombi-Leidenschaft bin ich nicht alleine. Marathonreisen – organisierte Trips zu großen und kleinen, exotischen wie superbekannten Läufen – sind ein boomendes Segment der Reisebranche. Angeboten wird meist die Kombi aus Flug, Hotel und Betreuung – prominente Laufcoaches, die vor Ort die Stadt belaufen und Tipps mit auf den Weg geben (hier im Bild mit der blauen Jacke: Marathonlegende Herbert Steffny mit einer deutschen Gruppe), inklusive. Startplatz optional.

In Boston sind etwa 20 Prozent der Startplätze für internationale Reiseanbieter reserviert – und spätestens im Oktober ausverkauft. Es gibt Wartelisten, auf denen sich Läufer oft Jahre im Voraus eintragen. Wenn das eigene nationale Kontingent ausgeschöpft ist, versucht man anderswo einen Platz zu ergattern: Beim österreichischen Veranstalter Runners Unlimited (einem meiner Gastgeber) war heuer ein Däne dabei. "Bei den dänischen Reisebüros käme ich in Boston erst 2022 dran – so lange will ich nicht warten. Es reicht, dass ich bis 2021 auf London warten muss."

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Reisebüro-Startplätze sind national kontingentiert: Aus Österreich kamen im Vorjahr 0,1 Prozent der Starter in Boston – 27 Starterinnen oder Starter. Deutschland war mit 171 Läuferinnen (0,6 Prozent) vertreten, die Schweiz mit 66 (0,25 Prozent). Die Zahlen waren heuer in etwa gleich. Freilich sind in diese Zahlen die qualifizierten Läufer schon eingerechnet: Auch wenn mindestens ein Drittel der heuer 30.004 gemeldeten und 27.221 auch gestarteten Läuferinnen und Läufer (nebenbei: Ins Ziel kamen 26.411 Läufer, 14.438 Männer und 11.973 Frauen) in Boston meilenweit von den immer wieder erwähnten Quali-Zeiten entfernt sind, gehört das Qualifikationsreglement zur Legende. Wer starten will, muss – nach Alter und Geschlecht gestaffelt – strenge Erfolgszeiten nicht nur nachweisen, sondern mittlerweile sogar massiv unterbieten: Da die Nachfrage nach Startplätzen so groß ist, werden zunächst Läufer bedient, die ihre Quali-Benchmarks um 20 Minuten unterschreiten. Gibt es dann noch Plätze, kommen die 15-Minüter dran. Und so weiter.

Der Haken daran: Konsequent durchgezogen, würden große Läufe so binnen weniger Jahre zu Leistungssport- und Eliteevents – und verlören das, was sie von geschlossenen Meisterschaften unterscheidet: den Charakter des bunten, weltoffenen Volkslaufs – und genau den brauchen Marathonstädte. Boston macht mit dem Marathon 190 Millionen Dollar Touri-Umsatz. Allein die Marathonmesse wird von 90.000 Menschen besucht. Durchschnittlich gibt jeder Besucher dort 300 Dollar aus.

Die Lösung des Dilemmas: US-Normaloläufer können über etliche Charity-Programme mitlaufen. Der Rest der Welt übers Reisebüro. Genaue Zahlen kommuniziert man nicht – aber mindestens ein Drittel Nichtqualifier müsste hinkommen. Ich bin einer davon.

Foto: Thomas Rottenberg

Boston ist auch Kathrine Switzer. Über die Frau, die 1967 als erste Frau mit Startnummer einen Marathon lief, habe ich vorletzte Woche hier geschrieben. Vor Ostern war eine wunderschöne Würdigung Switzers im STANDARD-Sport zu finden. Auch dass das aktuelle Laufprojekt der heute 70-Jährigen – 261 Fearless – maßgeblich von einer Österreicherin, der Kärnter Laufbloggerin Edith Zuschmann ("Running Zuschi"), getragen wird, ist nachzulesen.

Foto: Thomas Rottenberg

Boston 2017 war ein Fest für Switzer. Die Meet-&-Greet-Events, Lauftreffs und szenischen Lesungen ihres historischen Laufs waren meist Geheimtipps – weil sie sonst überrannt worden wären.

Eines verabsäumte Switzer nie: zu betonen, dass vor ihr schon eine andere Frau in Boston gelaufen war. Roberta "Bobby" Gibbs – allerdings ohne Startnummer. Und somit unter dem Radar der männlichen Funktionärskaste.

derStandard.at

Doch am Ostermontag, heuer zufällig auch der "Patriots' Day", an dem der Boston-Marathon traditionell stattfindet, war das dann nur noch Beiwerk. Race Day. Und was für einer: Alleine der Stunt, rund 27.000 Menschen in Schulbussen an den Start in Hopkinton westlich von Boston zu bringen, ist keine leichte Nummer. Gestartet wurde ab etwa halb zehn in vier großen Wellen. Meine Welle war kurz nach elf Uhr dran – und wer sich in der Zeit im "Athletes' Village" von zigtausend nervösen Läufern nicht von der Hysterie der anderen infizieren lassen wollte, tat gut daran, sich abzulenken. Egal, wie.

Foto: Thomas Rottenberg

In Boston ist alles möglich: von Schneefall und Sturm aus Osten bis hin zu Sonne satt und West-, also Rückenwind. Heute würde es Zweiteres werden – und zwar richtig: Die Strecke liegt nirgendwo im Schatten. Angesagt waren 21 Grad und ein paar Wölkchen. Als die Elite über eine Stunde unterwegs war, saßen wir noch im "Athletes' Village" – und die Temperatur auf der Strecke war, erfuhr ich später, angeblich schon auf bis zu 29 Grad gestiegen.

Fast flehentlich kam alle paar Minuten vom Platzsprecher die Aufforderung, jedes Fuzzi Sonnencreme, das man nicht selbst brauche, beim Rotkreuz-Zelt abzugeben. Anderswo käme da höchstens Stirnrunzeln – aber Laufevents sind anders: Man ist irgendwie Familie.

Foto: Thomas Rottenberg

11.15 Uhr. Endlich! Meine Welle, mein Block. Es ist jedes Mal wieder ein faszinierender Augenblick, wenn sich ein paar tausend Läuferinnen und Läufer in Bewegung setzen. Auch wenn es "Renn-Adrenalin" nicht gibt, ist die Spannung physisch spürbar und ansteckend. Und wenn alles nach vorne schiebt, muss man aufpassen, nicht zu rasch zu schnell zu werden – besonders dann, wenn man in einem langsamen Startblock steht, die Streckenblockierer (die doch alle ihr Tempo laufen) möglichst rasch hinter sich lassen will – und die Strecke ordentlich bergab geht.

Foto: Thomas Rottenberg

Mein Plan war einfach: laufen lassen. Die erste Hälfte auf eine 4'50"er-Pace anlegen. Dann versuchen, den Puffer auf die Zielzeit von 3:30 über die Hügel mitzunehmen. Das Training der vergangenen Monate hatte ziemlich genau dorthin gezielt, Zeiten und Ergebnisse hatten gut ausgesehen – in der Theorie. Dass man einen Marathon nicht in der Theorie, sondern in der Wirklichkeit läuft, weiß ich auch. Auch, dass da tausend andere Faktoren mitspielen oder dazukommen können.

Foto: Thomas Rottenberg

So kam es auch. Wenn auch nicht von Anfang an. Und an den Bewohnern der Umgebung von Boston lag das ganz bestimmt nicht: Der Marathon von Boston ist nämlich eine einzige Party entlang der Strecke. Und das nicht nur, wenn die Elite vorbeirauscht und dann noch eine halbe Stunde: Die Amerikaner – bewusst platt-verallgemeinernd – feiern beim Sport nicht nur Sieger, sondern jeden. Und beweisen dabei mehr Ausdauer als so mancher Sportler.

Foto: Thomas Rottenberg

Und so pathetisch es uns Europäern scheinen mag, wenn Wildfremden zugejubelt und ihnen – mit Schildern und ausgestreckten Händen, mit Wasserflaschen, Bananen, Eis, Snacks, Sprechchören, Melonenstücken, feuchten und trockenen Tüchern und was weiß denn ich noch allem auch noch nach Stunden ohne spürbare Ermüdungserscheinungen alles Gute gewünscht wird: Ist man auf der Strecke, kann das wirklich was.

Foto: Thomas Rottenberg

Und es ist dann vollkommen egal, ob eine Feuerwehrstation, eine Hippie-Kommune, die Army, State-Trooper, FBI-Trupps, Militärpolizisten oder Swat-Teams (das Sicherheitsaufgebot war enorm – ich habe bei neun unterschiedlichen bewaffneten Truppen aufgehört zu zählen) am Straßenrand stehen und anfeuern. Oder die Crew einer Redneck-Autowerkstatt, eine Cheerleader-Truppe, Grill- und Party-Neighbourhood-Gemeinschaften, Bestattungsunternehmer mit Sarg, Müllmänner, an den Straßenrand gesetzte Seniorenheimbewohner oder Anhänger diverser Sekten und Kirchen: Es tut gut, macht Spaß – und Stimmung.

Foto: Thomas Rottenberg

Auch wenn sich der Sinn mancher Botschaften im Vorbeirennen nicht immer ganz nachvollziehen lässt.

Foto: Thomas Rottenberg

Und auch das Nachfragen wenig bringt – außer man akzeptiert "Ho, ho, ho" als Antwort.

Foto: Thomas Rottenberg

Gefeiert wird auch auf der Strecke. Das tut gut: Es lenkt nämlich ab. Etwa davon, dass ich schon nach acht Kilometern gemerkt hatte, dass das eine härtere Nuss als geplant werden würde. Warum? Keine Ahnung. Ich lief nach Plan, fand aber weder Rhythmus noch Leichtigkeit. Es war Schwerarbeit. Ich dachte lieber nicht daran, wie es dann später in den Hügeln werden würde.

Foto: Thomas Rottenberg

Vorher wurde es aber eh noch lustig. Und laut: Wellesley College, bei Kilometer 20, ist berühmt für seinen "Scream Tunnel". Das Kreischen der Frauen und Mädchen, die die Strecke säumen, hört man einen Kilometer, bevor man die Damen sieht. Es ist Boston-Marathon-Tradition, dass man hier mit Schildern und Zurufen zu Dingen aufgefordert wird, die jede der Frauen dann, wenn man sie ihnen im normalen Alltag auch nur ansatzweise vorschlagen würde, als sexistische Provokation auffassen würde. Aber hier sind Schilder wie "Lang, hart und ausdauernd ist das, was ich mag" in Ordnung und machen allen Spaß: Die Spielregeln sind nämlich klar – und besagen, dass man grinsend vorbeiläuft.

Foto: Thomas Rottenberg

Bis zur Halbzeit ging alles gut. Dann wurde es zaach. Richtig zaach. Der Wind war kein Helfer: A tergo meist zu schwach, um zu kühlen – oder schlagartig und unangenehm böig von der Seite. Wirklich brutal war die Hitze. Kein Schatten. Die Sonnencreme – ich hatte mich mit Faktor 50 praktisch laminiert – war längst weggeschwitzt. Dass jede Meile Wasser gereicht wurde, war nett, aber nur der Tropfen auf der heißen Stirn: Der Kühlungseffekt hielt keine 100 Meter an.

Foto: Thomas Rottenberg

Meine Pace sank. Meine Zuversicht auch. Was hochging, war mein Puls. Aber: Aufgeben war keine Option. Nicht zuletzt, weil da zahllose Leute unterwegs waren, gegen deren Handicap mein Gesudere lächerlich ist. Die Zahl der Rollstuhlfahrer, Blinden und Kriegsversehrten war mehr als eindrucksvoll. Und auch wenn ich mit Fahnen und Aufschriften wie "Honour the sacrifice" meine Probleme habe: Bei einem Marathon zählt das Nichtaufgeben. Der Beweis, dass man Ziele erreichen kann. Weil man will. Weil es "Geht nicht" nicht gibt. Egal ob 1967 als Kathrine Switzer oder 2017 als Afghanistan-Veteran.

Foto: Thomas Rottenberg

Die Hügel von Newton. Eine der berühmtesten Prüfungen für Marathonläufer, in etwa bei der 20-Meile. Ich habe keine Ahnung mehr, wie oft es da tatsächlich bergauf ging. Gefühlt 50-mal – aber immerhin lief ich. Langsam, aber doch. Und im Gegensatz zu gut der Hälfte des Feldes. Zuletzt kommt dann Heartbreak Hill. Angeblich wird es ab hier leichter. Man muss nur noch runter. Aber: Ich war leer. Absolut leer.

Foto: Thomas Rottenberg

Und bei k35 war es dann vorbei: Ich ging. Zum ersten, aber wahrlich nicht zum letzten Mal an diesem Tag. Einmal blieb ich kurz stehen: Beim Durchlaufen eines Wasserstrahls aus einem der geöffneten Hydranten waren meine Schuhe eingeweicht worden – ich musste sie enger schnüren. Beim Wiederaufrichten hätte ich fast gespieben. Und mein Körper revoltierte. Die Beine wollten nicht. "If your legs won't run – run with your heart", war ein paar Kilometer zuvor auf einem Schild gestanden. Ja, eh: Nicht das "Ich", das "Es" lief jetzt. Keine Ahnung, wie – und keine Ahnung, warum.

Foto: Thomas Rottenberg

Ich war nicht alleine. Oh nein! Rings um mich war jetzt keiner mehr, der lachte. Oder scherzte. Wir waren auf dem Zahnfleisch unterwegs. Alle. Und auch wenn ich gar nicht mehr auf die Uhr zu blicken brauchte, um zu wissen, dass mein Puffer längst mehr als aufgebraucht war: Sooo schlecht, merkte ich, war ich wohl nicht unterwegs. Der Mann mit dem Anzug hatte mich lange vor der Halbmarathonmarke überholt. Lachend, locker, federleicht. So, wie ich eigentlich laufen hatte wollen. Jetzt, in Brookline, gut zehn Kilometer später, holte ich ihn ein. Er heulte wie ein kleines Kind: Krämpfe, Übelkeit, die Hitze. Aber er gab nicht auf. "I will see the finish line." Ich auch.

Foto: Thomas Rottenberg

Aber so sicher war das nicht: Die letzten Kilometer – DER letzte Kilometer – waren dann die Hölle. Ich wusste, dass ich eigentlich nicht mehr konnte. Aber ich wollte. unbedingt. Und genau dann wird Laufen gefährlich. Kurz bevor man in Boston die letzten beiden Kurven vor der Zielgeraden läuft, kommt eine Unterführung. Dort, wo es bergab zu gehen beginnt, war plötzlich Domino Day auf der Strecke: Vor und neben mir klappten fast zeitgleich vier oder fünf Läufer zusammen. Und am Straßenrand hatten die Cops auch alle Hände voll zu tun. "Runter vom Gas!", befahl der letzte Rest Hirn meinem Körper. Aus Trab wurde Gehen: Nicht jetzt. Nicht jetzt. Nicht jetzt. Da hätte ich gleich bei k12 die Einladung zum Grillnachmittag annehmen können ...

Foto: Thomas Rottenberg

Zielgerade. Boylston. Ein paar hundert Meter noch. Obwohl die Sieger schon vor Stunden hier durchgelaufen sind, trotz der Hitze, sind die Tribünen brechend voll: Boston feiert seine Heldinnen und Helden. Feiert auch mich. Plötzlich laufe ich wieder. Lache. Bin glücklich. Da vorne, das ist die Ziellinie. Um zu jubeln, um die Arme hochzureißen, um irgendwas Heroisches zu tun. Nur: Dazu fehlt mir die Kraft. Nicht nur mir – allen.

"Oh my god, it's over", höre ich die Frau hinter mir aufstöhnen. Verzweifelt – und erleichtert.

Ich atme zweimal tief durch, schaue auf die Uhr – und würde am liebsten heulen: 17 Minuten hinter Plan. Debakel, Niederlage, Blamage, sagt der Kopf – aber trotzdem fühlt es sich nicht so an: Da ist auch Stolz. Stolz, überhaupt durchgekommen zu sein.

Dass es heute weit besseren Läufern als mir sehr ähnlich gegangen war, dass kaum einer sein Ziel erreichen konnte, dass angeblich fast 2.500 Läufer ohne Sanitäter oder ärztliche Hilfe nicht durchgekommen wären, dass es tatsächlich so heiß war, wie es sich angefühlt hatte, wusste ich da noch nicht.

Es ist auch egal. Was zählt, ist etwas ganz anderes: nicht aufgegeben zu haben. Aus einem schlechten Tag das Optimum herausgeholt zu haben. Meinen sechsten Marathon, meinen dritten "Major", geschafft zu haben.

Ganz einfach: Boston gelaufen zu sein.

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Epilog. Stunden später – gegen 20 Uhr – sind wir auf dem Weg zum Abendessen. Das Ziel ist offiziell längst geschlossen. Als wir die Boylston überqueren wollen, hören wir Sirenen. Aus den Bars und Cafés rennen die Leute auf die Straße. Applaudieren. Jubeln. Brüllen. Mitten auf der Straße, eskortiert von zwei Polizeimotorrädern, wankt eine ältere Dame in einem "261 Fearless"-Dress in Richtung Ziel. Könnte sie sich nicht auf eine andere Frau neben ihr stützen, käme sie keinen Schritt mehr weit.

Aber sie gibt nicht auf. Strahlt. Hat ein Ziel – und erreicht es.

Die Motorradcops bleiben alle zehn Meter stehen, applaudieren, feuern mit an – einer von ihnen wischt sich eine Spur zu oft über die Augen, um bloß ein Staubkorn wegzubekommen.

Ein Gänsehautmoment.

Das – dieses Bild – ist Boston. (Thomas Rottenberg, 20.4.2017)

Mehr Bilder und Impressionen zum Boston-Marathon gibt es auf Thomas Rottenbergs Facebook-Account.


Anmerkung im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Thomas Rottenbergs Teilnahme am Boston-Marathon erfolgte auf Einladung der Boston Athletic Association und auf eigene Kosten. Aufenthalt und Flug wurden von Runners Unlimited und der KLM unterstützt.


Weiterlesen:

Boston-Marathon: Heartbreak Hill, here I come!

Foto: Thomas Rottenberg