Perugia – Periscope, Facebook Live, Instagram Stories: Berichterstattung und Nachrichtenproduktion liegen längst nicht mehr allein in den Händen von Journalisten. Smartphones sind überall, und damit Inhalte zu produzieren und zu verbreiten ist kein komplexes technisches Unterfangen. User gestalten Informationen selber mit. Auch im Fall von Breaking News. Doch ist das noch Bürgerjournalismus?, fragte ein Panel zuletzt beim internationalen Journalismusfestival 2017*.

"Die meisten wissen gar nicht, was sie da tun. Es ist einfach zum normalen menschlichen Verhalten geworden, alles zu filmen und zu kommentieren", sagt de Ben de Pear von Channel 4 News auf dem Panel über "The Ethics of Live Video".

"Die meisten wissen gar nicht, was sie tun": Mandy Jenkins (Storyful), Mark Frankel (BBC), Joanna Geary (Twitter Moments), Ben de Pear (Channel 4 News).
Foto: Daniela Prugger für derStandard.at

Medienunternehmen machen mittlerweile ebenfalls von den Funktionen und Tools sozialer Plattformen Gebrauch. So geschehen beim Terroranschlag in der Stockholmer Innenstadt, bei dem vier Menschen starben. Das schwedische Boulevardblatt "Aftonbladet", CNN und RT berichteten in Echtzeit über den Anschlag – auf ihren Webseiten, aber auch mit Live-Videos auf Facebook.

Journalismus vs. Voyeurismus

"Das Problem ist nur, dass, sobald man Live-Videos auf Facebook sendet, Leute kommentieren und über den Täter spekulieren. Das ist die größte Herausforderung für Medien", sagt Mark Frankel, Social Media Editor bei BBC News. Live-Videos stellen Journalisten vor die Frage nach der Ethik und der Verantwortlichkeit. Müssen Medien da mitmachen und mithalten, nur weil sie es können? Welcher journalistische Mehrwert wird geschaffen? Und welche Inhalte sind relevant? Auch über Terroranschläge und Folter hat es in der Vergangenheit schon Live-Übertragung gegeben.

In Echtzeit zum Anschlag in Stockholm.
Foto: Screenshot CNN

"Auf sozialen Netzwerken kommt dann noch die Kommentar- und Reaktionsfunktion für Nutzer dazu", erklärt de Pear. Mit den Happy Faces, Likes und Emojis müsse man in den Redaktionen erst umzugehen lernen – vor allem wenn es um Breaking News geht. "Viele Menschen schauen sich Live-Videos ohne Ton an. Weil es ihnen nur ums Kommentieren geht", ergänzt Frankel.

Live-Videos können manipuliert werden

Trotzdem setzen etablierte Medien auf Live-Video und versuchen mit der Konkurrenz aus dem Internet Schritt zu halten. Doch wie können daraus journalistisch wertvolle Beiträge entstehen und reiner Voyeurismus verhindert werden? "Journalisten dürfen nicht aufhören, Journalisten zu sein. Auch nicht, wenn es um Live-Videos geht", sagt Frankel und hebt die Gatekeeper-Funktion der Redaktionen hervor.

Sich die Nähe und die Informationen von direkten Beobachtern und Zeugen zunutze zu machen ist heute ein Leichtes. Die Überprüfung der Quellen dagegen nicht. "Informationen über die Quelle in Erfahrung zu bringen und herauszufinden, warum sich Personen zum Zeitpunkt am Ort befinden, ist wichtig. Man darf sich auch nicht leichtfertig auf Geotags verlassen", erklärt Mandy Jenkins, Nachrichtenchefin von Storyful. Schließlich können auch Live-Videos manipuliert werden. Man kann zum Beispiel Videos "live" aufnehmen und einspielen und Facebook austricksen, erklärt Frankel.

Verantwortung bei Facebook und Co

"Es geht uns darum, Quellen zu überprüfen", sagt Joanna Geary, Geschäftsführerin von Twitter Moments UK. "Aber es gibt einen guten Grund, warum Live-Videos existieren. Die User vertrauen ihnen mehr, Live-Videos sind schnell und ein wertvoller Beitrag zur journalistischen Arbeit."

Doch brauche es dringend neue Tools, welche die Moderation von Kommentaren erleichtern, mahnt de Pear. Er spielt den Ball zurück zu Facebook und Co. "Die Verantwortung liegt auch bei den sozialen Plattformen, die immerhin viel Geld mit Live-Videos machen. Und für Journalismus nichts zahlen."

Das Nachsehen

Das Video vom Panel "The Ethics of Live Video" beim internationalen Journalismusfestival in Perugia 2017:

International Journalism Festival

(Daniela Prugger, 19.4.2017)