"Hot Girls Wanted" blickt hinter die Kulissen der Pornobranche.

Foto: Netflix

Berlin – Pornografie auf Knopfdruck, Liebe per Wisch nach rechts: Technologie, weiß Rashida Jones "verändert alles, was wir tun" – nicht zuletzt, wie wir Beziehungen und Sex wahrnehmen. Die Gefahr der zunehmenden Überlappung virtueller und realer Welt ist Ausgangspunkt der Netflix-Dokureihe "Hot Girls Wanted: Turned On", bei der Jones als Produzentin und bei einer Folge erstmals als Regisseurin auftritt.

Primär bekannt ist die Tochter des Musikmoguls Quincy Jones und der Schauspielerin Peggy Lipton als Darstellerin aus TV-Serien wie "Parks and Recreation" und "The Office" oder Liebeskomödien wie "Celeste & Jesse". Dieses Thema aber ist ihr schon länger ein Herzensanliegen. "Mich interessiert weibliche Sexualität verglichen mit der Sexualisierung von Frauen", sagt die 41-Jährige. Letztere ergebe sich auch durch die zunehmende Verschmelzung von Porno- und Mainstreamkultur. "Die einzige Möglichkeit, um heutzutage sexy zu sein, ist zu signalisieren, dass man Sex mit jemandem will. Und zwar in einer ganz bestimmten Art und Weise, die von Pornografie vorgegeben wird."

Beziehen soziale Medien mit ein

Schon bei der 2015 veröffentlichten Doku "Hot Girls Wanted" von Jill Bauer und Ronna Gradus über junge Amateurporno-Darstellerinnen in Florida war die US-Amerikanerin als Produzentin mit an Bord. In der sechsteiligen Anthologieserie "Turned On", die ab Freitag auf Netflix abrufbar ist, porträtieren die drei Frauen Menschen, die in der fast 100 Milliarden Dollar schweren Pornoindustrie arbeiten oder deren Inhalte konsumieren. Und sie beziehen soziale Medien ein, hinterfragen unsere Abhängigkeit von Technologie. "Vor fünf, sechs Jahren war das ein großes Thema: dass wir nur noch dank unserer Smartphones zu funktionieren scheinen", meint Jones. "Und nun macht es den Anschein, wir hätten kollektiv aufgegeben."

Eine Episode erzählt die vermeintliche "Liebesgeschichte" zwischen einem Mann und einer Frau, die Videochats anbietet. Das "Camming", sagt er, ermögliche ihm eine Art von Beziehung, mit der er im echten Leben Probleme hat. "Jeder sucht nach Verbindung, und das Internet war dieses große Versprechen, die ganze Welt zu vernetzen", so Jones. "Tatsächlich birgt es die Gefahr, dass es die Art und Weise, wie wir mit anderen Menschen interagieren, schmälert. Man kann in einem Raum mit Hunderten Menschen sitzen, aber auf sein Handy starren. Ist man wirklich mehr vernetzt, findet mehr Intimität, Liebe und Sex – oder ist das nur eine virtuelle Version dessen und kann die Realität nie wirklich ersetzen?"

"Kinder haben Zugang zu Pornografie, aber nicht zu Sexualerziehung"

Vom Streaming der Dokureihe erhofft sich Jones, "dass es den Diskurs voranbringt". Handlungsbedarf sieht sie in der Bildung. "Kinder haben Zugang zu Pornografie, aber nicht zu Sexualerziehung. Pornos haben die Rolle sexueller Aufklärung übernommen." Sie selbst habe früher aus Neugier heimlich in "schmutzigen Magazinen" ihrer Eltern geblättert. "Heute bedarf es nur eines Klicks, und schon hat ein Zehnjähriger eine explizite Sexszene auf seinem Handy – und kann mit niemandem darüber reden." Pornokonsum sei noch immer mit Geheimnistuerei verbunden, vor allem in ihrer Heimat. "Amerika ist besonders heuchlerisch und widersprüchlich in seinen Ansichten zu Sexualität und Sex. Es gibt diesen christlichen, puritanischen Grundtenor, dass man über Sex nicht zu reden hat. Zugleich kreieren und konsumieren so viele Menschen Pornos hinter verschlossenen Türen. Und die Branche profitiert davon, dass das so bleibt."

Jones lehnt weder Pornografie noch technologischen Fortschritt an sich ab, betont sie. Sie möchte lediglich einen verantwortungsvolleren, offeneren Umgang bewerben – und begleitet in der von ihr inszenierten Episode "Women on Top" dementsprechend feministische Erotikfilmerinnen wie die Schwedin Erika Lust. Ästhetisch anspruchsvoll inszenierte Fantasien aus weiblicher Perspektive, sagt diese, seien in der Mainstreampornografie nicht präsent. Dabei prägen die Inhalte die Vorstellungen Jugendlicher von Erotik, Sex und Geschlechterrollen deutlich mit – eine düstere Vorstellung beim Status quo: Laut einer Analyse der 50 erfolgreichsten Pornovideos durch die US-amerikanischen National Institutes of Health weisen neun von zehn Szenen körperliche Gewalt wie Knebelung und Spanking auf. Diese trifft fast ausschließlich Frauen – und die werden vor der Kamera dazu angehalten, das zu genießen beziehungsweise zu tolerieren.

US-Präsident ist "ein Produkt dieser Gesellschaft"

Donald Trump, ist Jones überzeugt, sei ein Produkt dieser Gesellschaft. Dass ein Mann, der in einem Video mit sexueller Gewalt gegen Frauen prahlt, "ins höchste Amt unseres Landes gewählt wird, hat uns gezeigt, dass wir noch nicht so weit gekommen sind, wie wir dachten. Ich glaube, viele Männer denken und reden insgeheim noch immer so, und das ist eine herbe Enttäuschung." Jones aber kann darin etwas Positives sehen: "Was er sagt, ist so abscheulich, und er tut es so öffentlich, dass sich alle notgedrungen damit auseinandersetzen müssen. Es sollte uns als Gesellschaft wert sein zu analysieren, wie wir das zulassen konnten." (APA, 19.4.2017)