Lisa Nimmervoll fordert in ihrem Beitrag die Entfernung religiöser Symbole aus dem öffentlichen Raum, die Einführung eines Ethikunterrichts für alle und eine säkulare Vernunftkonzeption des Staates sowie Wissenschaft, Bildung und Aufklärung anstelle eines "passiven, unkritischen Glaubens".

An dieser in vielen Aspekten nachvollziehbaren Sicht bleibt einiges zu hinterfragen: Die fortwährende Forderung nach einem Ethikunterricht trägt sehr stark josephinisches Erbe, welches unterschwellig meint, man solle den Jugendlichen in der Schule Moral eintrichtern (und den Erwachsenen dann mittels der Medien).

Ethikkonzepte sollten tatsächlich alle Schüler unbeschadet ihres Bekenntnisses gelehrt werden, allerdings im Rahmen eines umfassenden Philosophieunterrichts. Ohne philosophischen Hintergrund droht Ethik sich auf banale Formeln und Vorschreibungen zu reduzieren. Philosophieunterricht von der Volksschule an als Erziehung zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der geistigen, kulturellen, wissenschaftlichen und religiösen Tradition wäre ein Gebot der Stunde. Der Religionsunterricht dagegen sollte nicht abgeschafft, sondern weiterentwickelt werden. Ideal wäre eine Kombination aus religionswissenschaftlichen und konfessionell-theologischen Modulen (mit katholischen, evangelischen, orthodoxen, islamischen, jüdischen und anderen Bausteinen), die von verschiedenen Lehrern in Zusammenarbeit verantwortet würden.

Offen diskutieren

Dies hätte den Vorteil, dass religiöse Traditionen sowohl von außen als auch aus einer Innenperspektive im öffentlichen Raum (und nicht im obskuren Hinterhof) diskutiert würden. Einer fundierten Kenntnis der Religion(en) bedarf es schon allein deswegen, weil andernfalls unsere Kultur und ihre symbolischen Ausdrucksformen, die, wie ein unbefangener Blick auf Film und Literatur zeigt, zutiefst religiös codiert sind, unverständlich blieben.

Auch die von Lisa Nimmervoll evozierte Antike als Quelle von Vorstellungen über ein gutes Leben wäre ohne christliche, islamische und jüdische Vermittlung als kulturelle Quelle versiegt. Als Referenz für Menschenwürde wurde sie in erster Linie mittels des biblischen Gedankens des Menschen als Gottes Ebenbild lesbar. Die traditionellen Religionen und ihre Symbole und Texte sind wie die säkularen Wissenschaften und die Kunst Ausdruck menschlicher Rationalität und bedürfen daher – wie Wissenschaften und Kunst – einer entsprechenden kritischen Hermeneutik. Ohne eine solche gleiten sie ins Irrationale und Ideologische ab.

Die gesellschafts- und bildungspolitische Aufgabe unserer Zeit besteht nicht in der Verdrängung oder weiteren Banalisierung der religiösen Tradition, sondern in der Weiterentwicklung eines kritischen, der Aufklärung verpflichtenden geisteswissenschaftlichen, philosophischen und theologischen Diskurses, der Religionen einbezieht und nicht ausschließt. (Kurt Appel, 19.4.2017)