Gewisse Parallelen zur Comic-Figur Deadpool kann man den Nacktmullen nicht absprechen: Die tierischen Superhelden gewinnen vielleicht keinen Schönheitswettbewerb, dafür gelten sie als mehr oder weniger unverwüstlich.

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Die Kolonien der Nagetiere können mehrere hundert Exemplare umfassen – da ist es kein Wunder, dass für einige unter ihnen die Atemluft ziemlich dünn werden kann. Ein spezieller zellulärer Mechanismus ermöglicht ihnen dennoch das Überleben.

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Chicago/Wien – Nacktmulle haben es wirklich nicht leicht. Die meiste Zeit ihres Lebens verbringen die Nagetiere in einem weitverzweigten Bau aus kilometerlangen Gängen. Ähnlich einem Insektenstaat suchen unter dem Regiment einer Königin, des einzigen fruchtbaren Weibchens der straff organisierten Kolonie, mehrere hundert Individuen fortdauernd nach Wurzeln, graben neue Tunnel, kümmern sich um den zahlreichen Nachwuchs oder bewachen die Ausgänge.

Damit die bis zu 15 Zentimeter langen Tiere unter den lebensfeindlichen Bedingungen im Erdreich der Halbwüsten Ostafrikas dauerhaft gedeihen können, haben sie eine ganze Reihe einzigartiger Fähigkeiten entwickelt: Die fast blinden und nur mit einem feinen Haarflaum bedeckten Nacktmulle (Heterocephalus glaber) müssen nie trinken, kennen praktisch keine Schmerzen, sind mit weit über 20 Jahren ungewöhnlich langlebig und erkranken dank einer speziellen Hyaluronsäure nur äußerst selten an Krebs.

Wenn der Sauerstoff zur Neige geht

Fehlende Atemluft ist eine weitere Herausforderung, mit der die Höhlengräber zu kämpfen haben. Wenn in den engen, kaum durchlüfteten Schlafkammern dutzende Exemplare übereinander liegen, kann einigen von ihnen schon einmal der Sauerstoff ausgehen – doch Nacktmulle lassen sich auch davon kaum beeindrucken. Im Unterschied zu den meisten anderen Säugern, die auf einen Sauerstoffgehalt in der Atemluft von mindestens zehn Prozent angewiesen sind, kommen Nacktmulle mit bedeutend niedrigeren Konzentrationen zurecht. Wie die extremophilen Nagetiere das zuwege bringen, ohne schwere Gewebeschäden zu erleiden, hat nun ein US-Forscherteam genauer untersucht und ist dabei auf einen erstaunlichen Mechanismus gestoßen.

Dass Nacktmulle auch mit schlechterer Luft auskommen, ist schon länger kein Geheimnis mehr. Die von Thomas J. Park und seinen Kollegen von der University of Illinois (Chicago) durchgeführten Versuche zeigten allerdings, dass die Tiere stundenlang bei Sauerstoffkonzentrationen überleben können, die beim Menschen binnen weniger Minuten zum Tode führen würden.

Video: Die Forscher von der University of Illinois erklären die speziellen Fähigkeiten der Nacktmulle.
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Überleben ohne O2

Mehr noch: Selbst bei völliger Abwesenheit von Sauerstoff halten die Nacktmulle bis zu 18 Minuten lang durch. Dies gelingt ihnen, indem sie in solchen kritischen Momenten in eine Art Starre verfallen, ihren Puls von 200 auf 50 Schläge pro Minute herunterfahren und die Atemfrequenz auf ein Minimum reduzieren. Sobald wieder sauerstoffhaltige Luft an ihre Nasen gelangt, erwachen die Tiere und verhalten sich, als wäre nichts geschehen.

Zu verdanken ist diese Fähigkeit einem einzigartigen Backupsystem im Stoffwechsel der Nacktmulle. Wie die Forscher nun im Fachjournal "Science" berichten, schalten die Zellen im Herz- und Gehirngewebe bei schwerem Sauerstoffmangel auf anaerobe Prozesse um, bei denen statt Glukose Fruktose und Saccharose metabolisiert und zur Energiegewinnung genutzt werden. Kein anderes Säugetier ist in dieser Form dazu in der Lage, diese Stoffwechselvariante kannte man bisher eher von Pflanzen.

Ausgeklügelter Stoffwechsel

"Der Nacktmull hat offenbar einige Basisfunktionen seines Metabolismus derart umgebaut, dass er auch gegenüber äußerst niedrigen Sauerstoffkonzentrationen weitgehend immun ist", meint Park. Der Prozess verhindert nicht nur, dass sich Fruchtzucker im Gewebe anreichert, was zu zellulären Schäden führen kann, sondern auch, dass gefährliche Lungenödeme auftreten.

Dieser Mechanismus wäre nach Meinung der Wissenschafter auch für die Humanmedizin interessant. Schafft man es, Zellen dazu zu bringen, ihren Metabolismus ebenso zu wechseln wie jene der Nacktmulle, könnte dies dabei helfen, schwere Gewebeschäden nach Herzinfarkten oder Gehirnschlägen zu verhindern. (tberg, 20.4.2017)