Rick Owens meint, leichte Möbel gebe es genug. Deshalb kann ein Möbel, das er gemeinsam mit seiner Frau Michèle Lamy entwirft, schon einmal eine Tonne wiegen.

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Michèle Lamy, die Frau von Rick Owens, bestimmt, in welchen Galerien und Museumsshows ihre Möbel zu sehen sind.

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Skulpturale Entwürfe von Rick Owens und Michèle Lamy ...

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... bei denen unter anderem versteinertes Holz ...

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... und Sperrholz zum Einsatz kommt.

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STANDARD: Wo erwische ich Sie denn gerade?

Rick Owens: In meinem Pariser Haus, ich sitze auf der Terrasse, und die Sonne scheint. Der Frühling ist endlich angekommen. Seit neuestem haben wir übrigens drei Katzen, die hier vor mir herumspielen. Meine Frau Michèle Lamy hatte genug von diesen elektronischen Mäusefallen, die nicht funktionieren.

STANDARD: Bevor wir zu Ihren Möbelentwürfen kommen. Haben Sie schon einmal ein Katzenklo entworfen?

Owens: Nein, Katzenklos inspirieren mich nicht. Toiletten habe ich allerdings schon entworfen, eine aus weißem Onyx. Eine weitere aus Kristallglas habe ich in Planung. Die ist allerdings nur für den Eigengebrauch gedacht.

STANDARD: Sie behaupteten einmal, dass Sie alles, was Sie umgibt, verändern wollen. Wird deshalb auch Ihre Möbelkollektion immer größer?

Owens: Die ersten Möbel, die ich entworfen habe, entstanden aus einer Notwendigkeit. Wir lieben Art-déco-Möbel, diese sind aber für unseren Geschmack zu klein, deshalb designten wir unsere eigene Variante. Zuerst für zu Hause, dann für den Showroom und anschließend für die Geschäfte. In Wahrheit war das Möbelprojekt am Anfang das Projekt meiner Frau Michèle. Sie steckt viel Geduld, Kraft und Hingabe in jedes unserer Stücke. Sie findet die Materialien, geht zu den verschiedenen Marmorsteinbrüchen und Händlern und arbeitet mit den Handwerkern zusammen.

STANDARD: Heute ist Ihre Möbel-Linie ein erfolgreiches Geschäft geworden. Stühle kosten bis zu 50.000 Dollar. Das von Ihnen designte Alabasterbett, in dem Sie schlafen, wiegt eine Tonne.

Owens: Es ist noch immer ein Spiel, das große Freude bereitet. Wir mussten mit den diversen Möbelstücken finanziell nicht erfolgreich sein, um damit fortzufahren. Es war eher wie ein gemeinsames, teures Hobby. Dass wir heute Gewinn machen, ist eine angenehme Nebenerscheinung.

STANDARD: Wie kann man sich Ihren gemeinsamen Arbeitsprozess vorstellen?

Owens: Er ist so schwierig wie eine Liebesbeziehung. Aber es gibt auch immer einen Kompromiss und eine Lösung. Die Vorstellung, dass Michèle und ich etwas zusammen kreieren, ist ganz schön verrückt. Ich bin der totale Faschist, und sie ist die totale Kommunistin. Noch dazu ein italienischer Kommunist, mit feurigem Temperament und Drama. Daher gibt es oft frustrierende Momente. Rückblickend betrachtet gibt das dem Ganzen eine sehr komische Note. Es ist wie eine Komödie, wenn wir zusammenarbeiten.

STANDARD: Wie kommen Sie zu einem Resultat? Passen Sie sich an?

Owens: Nein, ich ziehe mich zurück. Allerdings zeichne ich die ersten Skizzen. Unsere Idee in eine dreidimensionale Form zu bringen ist meine Sache. In diesem ersten Punkt stimmen wir immer überein. Es wird ein Modell aus Styropor angefertigt, und dann perfektionieren wir die Form.

STANDARD: Ihre Materialien reichen von Bronze, Marmor und Leder über versteinertes Holz zu Knochen, Styropor, Sperrholz und Beton. Wonach wählen Sie aus?

Owens: Mich reizt die Kombination von edel, billig und primitiv. Michèle hat diesbezüglich ganz konkrete Vorstellungen, und mir ist alles recht, da ihre Entscheidungen immer richtig sind. Nachdem wir uns für ein Material entschieden haben, beobachte ich nur noch den Werdegang. Sie bestimmt, in welchen Galerien und Museumsshows unsere Stücke gezeigt werden. Sie liebt es, mit den Galerien zu verhandeln und sich mit ihnen zu streiten. Sie setzt sich mit dem technischen und praktischen Dingen auseinander und reist mit den Möbelstücken und Skulpturen. Dafür hätte ich gar keine Zeit – und schon gar keine Geduld.

STANDARD: Wie entstand die Idee der Alabasterwand "Weeping wall", einer Skulptur oder dekorativen Wand, die das Herzstück Ihrer letzten Ausstellung im MOCA in Los Angeles war?

Owens: Es begann mit einer Schaumstoffwand, die ich für eine meiner Modeschauen designte. Sie wurde in einem schrägen Winkel am Anfang des Laufstegs aufgestellt. Wir manipulierten den Schaumstoff, sodass er sich während der Show langsam auflöste und auf den Boden triefte. Am Ende der Show war die Wand zu einem Haufen geschmolzen, der sich langsam auf den Zuschauerraum hinbewegte. Es sah aus wie speibender Schaum. Diesen Effekt wollte ich auch für mein Geschäft in Mailand kreieren und realisierte das mit hartem Schaum, den wir mit Säure manipulierten. Die Wände schauten aus, als würden sie schmelzen. Fast das ganze Geschäft in Mailand ist mit diesen Speibwänden dekoriert. Für den hohen und relativ kleinen Raum im MOCA wollten wir ein Mittelstück designen und beschlossen eine dieser Wände zu designen. Wir wollten sie wesentlich größer und aus Alabaster herstellen. Ich habe auch aufgehört das Zeug als Speibe zu bezeichnen, da es mit etwas Negativem und Abscheulichem assoziiert wird. Und ich will wirklich niemanden provozieren. Diese Alabasterwand ist ein wunderschönes Stück. Wenn man es mit besagtem Wort benennt, verändert sich die Sichtweise, also nannten wir das Ganze weinende Wand.

STANDARD: Sie wollen nicht provozieren? Ich denke da zum Beispiel an einen Couchtisch, den Sie für Ihr Geschäft in Tokio entworfen haben. Es ist eine Ihnen nachgeformte, auf allen vieren kniende, lebensgroße Wachspuppe, auf der eine Glasplatte liegt. Ähnlich den Tischen der Milchbar in dem Film "Clockwork Orange".

Owens: Doch, doch. Ich provoziere gerne. Ich ziehe alles gerne ins Lächerliche. Ich provoziere gerne mit Humor. Humor ist eines der elegantesten Dinge auf dieser Welt. In dem Fall der Alabasterwand zog ich es vor, auf sanfte Weise zu provozieren. Lieber elegant als aggressiv.

STANDARD: Interessiert Sie mittlerweile das Abstrakte mehr als das Funktionelle?

Owens: Es interessiert mich nicht im Geringsten, Dinge zu entwerfen, die praktisch sind. Das ist ungefähr das Letzte, woran ich während der Gestaltung eines Möbelstücks denke. Ich möchte so abstrakt als möglich sein. Das ist der einzige Grund, weshalb wir mit der Möbellinie anfingen. Das ist auch das Einzige, was Michèle interessiert. Sie ist kein praktischer Mensch, das ist nicht ihre Stärke – und schon gar nicht ihre Priorität. Sie will pure Magie. Gott sei Dank! Ich allerdings bin sehr praktisch veranlagt.

STANDARD: So weit scheinen Sie auch nicht von der Idee der Magie entfernt zu sein. Vielleicht etwas dunklere Magie ...

Owens: Ich liebe Opern. Salome von Strauss gehört zu meinen Lieblingsopern. Was ich so sehr an ihnen liebe, ist diese melancholische Gewissheit, dass alles eine Utopie ist. Mich beeindrucken Utopisten. Die Idee, sich zu verändern, um ein besserer Mensch zu werden, gefällt mir. Allerdings läuft bei den Utopisten immer irgendetwas falsch, und daher müssen sie eine weitere Utopie aufbauen. Dieser ständige Kreislauf fasziniert mich. Es gibt immer Hoffnung, aber gleichzeitig ist alles dem Untergang geweiht. Dessen bin ich mir selbst sehr bewusst.

STANDARD: Designen Sie also absichtlich so unbequeme Möbel?

Owens: Es gibt schon viel zu viel Komfort, viel zu viele gemütliche Möbelstücke. Wenn man das möchte, dann soll man zu Ikea gehen und sich – was immer man braucht – besorgen. Damit kann man dann von einem kleinen Apartment zum nächsten ziehen. Von leichten Möbeln gibt's doch wirklich genug. Mich interessiert genau das Gegenteil. Möbelstücke, die man nicht bewegen kann, die aussagen: So bin ich, und das ist der Platz, an dem ich lebe. Und da werde ich bleiben und sterben. Wer's bequem haben will, kann sich ja einen Polster unterschieben.

STANDARD: Ist das nicht etwas radikal?

Owens: Natürlich ist es radikal. Aber die Welt ist chaotisch, flüchtig und ein großes Durcheinander. Es tut gut, ein Möbelstück um sich zu haben, das einen dazu inspiriert, etwas disziplinierter zu denken. Und dass man in der Folge anfängt, über das Leben in einer organisierten, disziplinierten und ewigen Weise nachzudenken.

STANDARD: Im "T Magazin" der "New York Times" kann man einen Artikel über Sie lesen, in dem Sie erzählen, dass Sie eigentlich weißes, lockiges Haar hätten. Sie sprechen über Ihr Ritual des Haarefärbens, ebenso darüber, wie Sie Ihren Körper durch tägliches Fitnessprogramm und Steroide manipulieren konnten. Ist das Teil Ihrer Disziplin?

Owens: Ich bin wahrscheinlich ein sehr oberflächlicher Mensch, der eine Vorstellung davon hat, wie er aussehen möchte. Deshalb arbeite ich so hart an meinem Körper. Er ist eine meiner Prioritäten. Das heißt aber noch lange nicht, dass es jedermanns Priorität sein muss. Ich habe mich irgendwann dafür entschieden. Und ich spreche gerne darüber, und ich ziehe auch gerne jederzeit mein Shirt aus, um meinen Körper zur Schau zu stellen.

STANDARD: Das heißt, es gab Zeiten, in dem Sie Ihr Shirt nicht ausgezogen hätten?

Owens: Früher hätte ich es niemals ausgezogen. Ins Gym zu gehen und meinen Körper zu perfektionieren hat mir Selbstbewusstsein gegeben. Ich sag nicht, das jeder ins Gym rennen soll, aber wenn man so einen Körper mochte, kann man das erreichen. Meine Message ist: Jeder kann so aussehen.

STANDARD: Erinnern Sie sich an das erste Möbelstück, von dem Sie begeistert oder inspiriert waren?

Owens: Was mir da in den Kopf schießt, ist der Glassarg aus Schneewittchen. Ein Glassarg in einem Wald, mit einer Prinzessin darin. Gibt es etwas Besseres? Es ist glamourös, zauberhaft und ein bisschen gruselig. Alles, was ich liebe! Aber auch der zur Seite geschobene Stein des Grabes Christi. Ich ging in eine katholische Schule und fand diese Geschichte dramatisch und beeindruckend. Wenn Sie sich meine Möbel ansehen, finden sie diese Elemente wieder. Reduziert, radikal, ursprünglich, archaisch, monolithisch, extrem und rigoros.

STANDARD: Auch Ihre Modeschauen scheinen immer extremer zu werden. Letztens schickten Sie Models auf den Laufsteg, die wie wandelnde Skulpturen aussahen. Sind Sie an einem Punkt angekommen, an dem Sie mit Mode aufhören wollen?

Owens: Heute ist es nicht mehr genug, einfach nur Mode zu zeigen. Es gibt so viele Shows, so viel Mode, so viele Designer. Ich schaue mir Shows mit einem sehr zynischen Auge an. Ich reduziere: Bleistiftrock, Chanel-Jacke. Und ich sehe in erster Linie bereits da gewesene Ideen. Da werden die Basics genommen und einfach etwas dazugegeben. Das ist mir zu einfach. Ich möchte, dass sich Formen in eine andere Richtung entwickeln, dass sie abstrakter werden. Je länger ich als Designer arbeite, desto klarer wird mir, dass der Laufsteg ein Platz sein muss, an dem Ideen weiter geführt werden müssen. Trotzdem designe ich nie etwas, was nicht auch in meinen Geschäften zu finden ist. So weit bin ich noch nicht. Alles, was in meinen Shows zu sehen ist, kann man kaufen, weil ich es auch selbst kaufen würde. Aber Shows und nur Kleidung – diese Zeit ist definitiv vorbei. Aber vielleicht ist sie auch einfach nur für mich vorbei. Meine Möbel sind meine Form von Couture.

STANDARD: Was ist denn der Unterschied zwischen Modedesign und dem Entwerfen von Möbeln?

Owens: Die Ausdrucksmöglichkeiten bei Möbeln und Skulpturen empfinde ich als wesentlich größer. Da ist ein ganz anderes Gefühl dabei als bei der Mode. Meine Möbel und Skulpturen berühren mich. Es ist eine sehr persönliche, sehr ehrliche Welt. Es ist die Welt, die ich für mich kreiert habe – Pardon, die Michèle und ich miteinander kreiert haben.

STANDARD: Wie hat sich diese Welt über die Jahre verändert?

Owens: Für uns und unser Team ging es in der ersten Phase um schlichtes Überleben. Heute ist meine Existenz mehr als gesichert. Das ist eine gute, starke Basis, damit ich meine Arbeit weiterführen kann. Jetzt geht es um Verfeinerung, um ein Erforschen und auch darum, einen Schritt weiter zu gehen. Auf anderen Ebenen hat sich überhaupt nichts verändert. Michèle und ich leben genauso, wie wir es vor 20 Jahren getan haben. Wir essen zusammen Abend, wir spielen mit den Katzen auf unserer Terrasse. Sie geht viel aus, und ich gehe nicht aus (lacht).

STANDARD: Verraten Sie bitte zum Abschluss, ob Sie Ihrem Jugendtraum, Künstler zu sein, nähergekommen sind?

Owens: Vielleicht. Das lasse ich mir offen. Wenn ich eines Tages zurückblicken werde und mein Lebenswerk betrachte, werde ich mich vielleicht als Künstler bezeichnen. Das kann ich jetzt noch nicht entspannt sagen. (Cordula Reyer, RONDO OPEN HAUS, 26.4.2017)