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Marwan Barghuti, dessen Tanzim-Milizen für Terrorakte verantwortlich waren, wurde 2004 zu fünfmal lebenslanger Haft plus vierzig Jahren verurteilt. Dennoch sehen ihn viele als nächsten Palästinenserpräsidenten.

Foto: AP/Bernat Armangue

Ramallah/Wien – Der versprochene Termin für den Palästinenserchef im Weißen Haus ist nun fixiert: Am 3. Mai wird Mahmud Abbas erstmals in Washington US-Präsident Donald Trump treffen. Sie werden laut einer Aussendung "Wege diskutieren, den Friedensprozess wiederzubeleben und schlussendlich eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts zu erreichen".

Anlässlich des Besuchs des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu sagte Trump einerseits, dass es zwischen Israel und den Palästinensern keine Zweistaatenlösung geben müsse, und andererseits, dass er einen "ganz großen Deal" anstrebe. Ob nun die USA bereits einen konkreten Plan dafür haben und wie die Palästinenser ohne Staat akkommodiert werden können, bleibt zu sehen. Abbas hielt sich in der letzten Zeit bedeckt, der Versuch, Trump nicht zu verärgern, ist unverkennbar. Am Mittwoch erklärte er sich bereit, Netanjahu unter Trump-Ägide zu treffen.

Während Abbas sich also auf das Weiße Haus vorbereitet, haben er und Israel immerhin gemeinsam, dass sie beide aus den Tiefen des Hadarim-Gefängnisses herausgefordert werden. Dort ist Marwan Barghuti in Isolationshaft: der Initiator des Hungerstreiks, dem sich seit Sonntag bis zu 1500 palästinensische Gefangene angeschlossen haben.

Geburt eines Mythos

Barghuti wurde 2004 wegen der Beteiligung an drei Terrorakten mit fünf Todesopfern während der Zweiten Intifada zu fünfmal lebenslang plus vierzig Jahren verurteilt. Schon damals gab es auch in Israel Kritik an diesem Urteil – nicht aus Sympathie mit Barghuti, sondern in Erwartung, dass dies der Beginn des Mythos eines nationalen Führers werden könne, der den Palästinensern die Freiheit bringen würde. Auf den Vergleich mit Nelson Mandela reagiert man in Israel entsprechend allergisch.

An diesem Bezug wird vom Umfeld Barghutis jedoch bewusst gearbeitet: Seine Frau Fadwa, eine Anwältin, startete die Kampagne zu seiner Freilassung 2013 in Mandelas ehemaliger Gefängniszelle auf Robben Island. Die Initiative fand prominente Unterstützung, die aber von Israel leicht abzutun ist, handelt es sich doch sozusagen um die üblichen Verdächtigen, weil Palästinensersympathisanten, wie den US-Expräsidenten Jimmy Carter und den südafrikanischen Erzbischof Desmond Tutu.

Allerdings soll laut der Tageszeitung Haaretz, die sich auf den damaligen Botschafter in Washington, Danny Ayalon, beruft, Ariel Sharon als Premier 2005 bereit gewesen sein, Barghuti freizulassen: im Tausch mit dem in den USA inhaftierten israelischen Spion Jonathan Pollard. Die US-Regierung von George W. Bush lehnte das ab, Pollard kam 2015 nach dreißig Jahren regulär frei.

Weder Freunde noch Feinde Barghutis haben Zweifel daran, dass der ehemalige junge Fatah-Generalsekretär, der nun auch schon auf die sechzig zugeht, angesichts von Abbas' Schwäche einen Anlauf unternimmt, sich als nächster Präsident in Stellung zu bringen. Der Hungerstreik – dessen Motive er in einem Gastkommentar in der New York Times vorstellen konnte – hat ihn mit einem Schlag zurück in die Öffentlichkeit gebracht.

Für die Israelis ist diese Aktion insofern ein Albtraum, als es bei gewaltlosem Widerstand einen sicheren Verlierer gibt – jenen, der Zwang ausübt. Barghuti gilt als Führer, der das Potenzial hätte, auch die Palästinenser draußen für gewaltlose Protestaktionen im großen Stil zu mobilisieren. Präsidentschaftswahlen würde er auch unter Hamas-Anhängern gewinnen, was ein bedeutender Versöhnungsimpuls für die gespaltenen politischen Lager wäre.

Bewaffneter Kampf

Die 2015 gestartete "Messer-Intifada" hat Barghuti als Fehler bezeichnet. Bevor er nach 2000 den bewaffneten Kampf als taktische Möglichkeit begrüßte – wie übrigens Mandela auch – und die Tanzim-Milizen organisierte, hatte er als Modell des pragmatischen, friedenswilligen Palästinenserpolitikers gegolten. Deshalb hält man ihm in Israel vor, dass auch die aktuelle Abkehr von der Gewalt nichts als Taktik sei. Tatsächlich argumentierte Barghuti nach dem Zusammenbruch des Oslo-Prozesses so: Sowohl der bewaffnete Kampf allein als auch das Verhandeln allein habe den Palästinensern nichts gebracht, also sei eine Kombination legitim. Allerdings hat Barghuti stets abgestritten, für Angriffe innerhalb Israels verantwortlich zu sein. (Gudrun Harrer, 21.4.2017)